26.03.2021 •

Ist das Bildungswesen eine Kritische Infrastruktur?

Pilotstudie

Ta­ken / pi­xa­bay.com

Die Corona-Krise hat nicht nur die Vulnerabilität des Bildungswesens in Deutschland deutlich gemacht – die vorübergehenden Schulschließungen haben auch aufgezeigt, wie wichtig ein zuverlässiger Betrieb von Kindertagesstätten und Schulen für die gesamte Gesellschaft ist. 

Fast die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder zumindest indirekt von der Funktionsfähigkeit des Bildungswesens abhängig: Krisensituationen in Bildungseinrichtungen wirken sich nicht allein auf die zahlreichen Kinder und Jugendlichen, Lehrkräfte sowie weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Institutionen aus, sondern ebenso auf Eltern und – im Rahmen von Kaskadeneffekten – auch auf das gesamte soziale und berufliche Umfeld von Familien. Zudem sind Kindertagesstätten und Schulen unersetzlich: Das gemeinsame Lernen und der soziale Kontakt zu anderen Kindern und Jugendlichen lässt sich durch „Homeschooling“ beispielsweise nicht kompensieren. 

Die Organisation des Alltags in Kindertagesstätten und Schulen unter Pandemiebedingungen erweist sich jedoch als eine hoch komplexe, schwierige Herausforderung. Bisherige Planungen für Notfälle und Krisen im Bildungswesen haben vor allem Ereignisse in den Blick genommen, die relativ kurze Zeit angedauert und nur einzelne Schulen betroffen haben, etwa Amokläufe, Brände oder Unglücke auf einer Klassenfahrt. Langfristige und großflächige Krisenlagen wie eine Pandemie, die das Bildungswesen insgesamt, d. h. systemisch, betreffen, wurden in der Vergangenheit kaum thematisiert.

Vor diesem Hintergrund führt die MSH Medical School Hamburg im Auftrag des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe nun eine Pilotstudie durch. Dabei wird untersucht, inwiefern das Bildungswesen als eine Kritische Infrastruktur betrachtet werden muss – und was getan werden kann, um die Krisenfestigkeit von Bildungseinrichtungen zu erhöhen, und zwar nicht nur im Kontext einer Pandemie, sondern auch im Hinblick auf andere Extremereignisse, wie z.B. Unwetterlagen oder Terrorakte.

Die MSH wertet dazu Medienberichte, verfügbare Fachliteratur sowie die bisherigen Notfallplanungen für Kindertagesstätten und Schulen inhaltsanalytisch aus. Auch sind Interviews mit Expertinnen und Experten geplant. Auf diese Weise soll in einem ersten Schritt die Kritikalität des Bildungswesens eingehend analysiert werden. Auch Abhängigkeiten von anderen Bereichen, wie zum Beispiel dem öffentlichen Personennahverkehr, werden dabei in den Blick genommen. 

In einem zweiten Schritt werden erste Handlungsempfehlungen zur Resilienzsteigerung des Bildungswesens erarbeitet. Dabei soll es ausdrücklich nicht nur um Aspekte der Digitalisierung gehen, sondern auch um personelle, strukturelle und rechtliche Fragen des Krisenmanagements. Zudem wird untersucht, inwiefern das Bildungswesen nicht nur einer besonderen Stärkung und Unterstützung in Krisenzeiten bedarf, sondern auch einen eigenen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Krisenbewältigung leisten kann. Bildung als solches soll eben nicht nur als Schutzgut, sondern auch als eine wertvolle Ressource betrachtet werden.

Schließlich werden Desiderate und weitere Forschungsfragen abgeleitet, die in etwaigen Folgeprojekten aufgegriffen werden können. Zwar obliegt das Bildungswesen im Wesentlichen der Regelungshoheit der Bundesländer. Von der Pilotstudie soll jedoch ein wichtiger Impuls ausgehen, um das Bildungswesen aus einer Perspektive des Bevölkerungsschutzes weiterzuentwickeln. Erste Projektergebnisse werden für Ende Juni dieses Jahres erwartet und der Fachöffentlichkeit vorgestellt.

Weitere Informationen und Auskünfte erteilt der Projektleiter Prof. Dr. Harald Karutz: harald.karutz@medicalschool-hamburg.de

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