Kompetenzentwicklung und -diagnostik in der ­Ausbildung ehrenamtlicher Führungskräfte im ­Bevölkerungsschutz

Johannes Runte, Harald Karutz, Heiko Neumeier

Tony Braun

Große Schadenslagen oder Katastrophen sind Ereignisse, die so ungewöhnliche Gefährdungen und Beeinträchtigungen hervorrufen, dass zu ihrer Bewältigung eine einheitliche Lenkung, sowie der Einsatz besonderer Einheiten und Einrichtungen, erforderlich ist. Die Führungskräfte dieser Einheiten, insbesondere des Katastrophenschutzes, müssen komplexe Lagen möglichst objektiv erfassen, Prioritäten festlegen und in enger Abstimmung mit allen beteiligten Akteuren den Gesamtschaden weitestgehend reduzieren. Ein Großteil derer, die sich diesen vielfältigen Herausforderungen stellen, sind ehrenamtlich aktiv, parallel zum Berufs- und Privatleben. Zeiten für Aus- und Fortbildung sind daher begrenzt.

 Lehrgänge im Bevölkerungsschutz gilt es daher nicht nur inhaltlich weiterzuentwickeln, sondern auch aus pädagogischer Perspektive auf den aktuellen Stand zu bringen. Die Teilnehmer müssen genau diejenigen Kompetenzdimensionen erweitern, die sie für ihre Führungsarbeit benötigen. Diese Herausforderung kann nur mit angepassten Lernprozessen bewältigt werden, die auf Basis der individuellen Eingangskompetenzen ausgewählte Kompetenzdimensionen stärken. Ein hohes Maß an Handlungsorientierung wirkt dabei motivierend auf die Teilnehmer, ist effizient und sichert kontinuierlich einen anhaltenden Lernerfolg.

Dieser Artikel beschreibt vier Kompetenzdimensionen einer Führungskraft im Bevölkerungsschutz und zeigt darüber hinaus auf, wie diese Dimensionen in angepassten Prüfungssituationen valide, reliabel und objektiv begutachtet werden können. Mit dem beschriebenen Prüfungsdesign können bestehende Lehrgangskonzepte sukzessiv neuen Erkenntnissen der Lernpsychologie, ­­insbesondere dem Konzept der Kompetenzorientierung, angepasst werden und entsprechen damit den aktuellen Anforderungen einer zeitgemäßen Erwachsenenbildung.

Führungskompetenz

Immer dann, wenn Menschen koordiniert tätig werden, ist eine Führung notwendig. Führung ist insbesondere in komplexen und zeitkritischen Situationen alles andere als eine triviale Aufgabe. Unter Führungskompetenz wird die Fähigkeit verstanden, Ziele festzulegen und das Verhalten der Beteiligten so zu beeinflussen, dass die intendierten Ziele erreicht werden. Führen heißt demnach, Entscheidungen vorzubereiten, zu treffen und umzusetzen. Ziele müssen hierfür von der Führungskraft klar dargestellt und kommuniziert werden.

Sozialkompetenz

Führungsarbeit ist Teamarbeit. Beispielsweise wird gemäß Feuerwehr-Dienstvorschrift 100 der Einsatzleiter bereits ab der Führungsstufe B von einem Führungstrupp oder einer Führungsstaffel unterstützt. Die Verantwortlichen des Bevölkerungsschutzes agieren demnach in der Regel innerhalb einer Führungsstaffel oder Führungsgruppe. Führungsarbeit in dieser Größenordnung eines Einsatzes ist in keinem Fall die Leistung eines Einzelnen. Um die Arbeit innerhalb der Führungseinheit effizient und zielführend gestalten zu können, benötigen die Führungskräfte daher ein großes Maß an Sozialkompetenz. Sozialkompetenz ist die Bereitschaft und Fähigkeit, soziale Beziehungen zu leben und zu gestalten. Hierfür müssen auch Zuwendungen und Spannungen erfasst und verstanden werden. Es ist essentiell notwendig, sich mit den Beteiligten verantwortungsbewusst und möglichst konstruktiv zu verständigen.

Die soziale Kompetenz der Führungskräfte gewinnt aus einem weiteren Aspekt heraus zunehmend an Bedeutung. Sinkende Mitgliederzahlen im ehrenamtlichen Bereich haben negative Auswirkungen auf die Taktik im Einsatz, da oft nicht mehr die eigentlich erforderliche Anzahl an Einsatzkräften zur Verfügung steht. Dies betrifft auch Übungs- und Ausbildungsprozesse. Eine besonders wichtige Aufgabe der Führungskräfte ist es, ideale Rahmenbedingungen und eine motivierende Atmosphäre für den Ausbildungs- und Übungsdienst zu schaffen. Hierfür müssen sie das Zusammenwirken der verschiedenen Charaktere der Einheiten aktiv gestalten, um ein funktionierendes Team zu erhalten. Auf diese Weise können sie ausgebildete Einsatzkräfte langfristiger an ihre Mannschaft binden. Zukünftig muss daher bereits in der Ausbildung sichergestellt werden, dass angehende Führungskräfte frühzeitig lernen, die Verantwortung für ihr Handeln im Rahmen des Geflechts gesellschaftlicher Interessen Schritt für Schritt selbst zu übernehmen.

Kommunikative Kompetenz

Kommunikative Kompetenz ist die Bereitschaft und Fähigkeit, kommunikative Situationen zu verstehen und zielführend zu gestalten. Hierzu gehört es, eigene Absichten und Bedürfnisse sowie die der Partner wahrzunehmen, zu verstehen und darzustellen. Relevant ist diese Kompetenzdimension, da Führungsarbeit in der Regel nicht „mit Muskelkraft der Hände“ stattfindet. Führungskräfte müssen Absichten und Ziele verbalisieren, Kommunikation auch in kritischen und dynamischen Situationen bewusst lenken und mit Worten, Mimik und Gestik fokussieren und klarstellen.

Fach- und Methodenkompetenz

Fachkompetenz ist die Bereitschaft und Fähigkeit, auf der Grundlage fachlichen Wissens und Könnens, Aufgaben und Probleme zielorientiert, sachgerecht, methodengeleitet und selbstständig zu lösen und das Ergebnis zu beurteilen. Fachkompetenz ist damit mehr als deklaratives Fachwissen. Vielmehr geht es um handlungsbezogenes, prozedurales und damit anwendbares Wissen und Können. Um als Führungskraft die richtigen Entscheidungen vorbereiten und durchsetzen zu können, bedarf es geeigneter Methoden u. a. zur Entscheidungsfindung. Methoden- und Fachkompetenz sind in der Führungsausbildung daher eng miteinander verbunden.

Kompetenzdiagnostik

Der Begriff „Kompetenz“ umfasst die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. Kompetenzen basieren demnach immer auf einer konkreten Wissensbasis, welche für jede Situation die angemessene Leistung generiert. Da sich die Kompetenz einer Person immer erst in einem konkreten Handlungszusammenhang offenbaren kann, sind sie als solche primär nicht prüfbar. Es ist lediglich möglich, Indikatoren abzuprüfen, die Rückschlüsse auf die Kompetenzen der Lernenden zulassen. Solche Indikatoren sind beispielsweise Verhaltensweisen, Lösungsstrategien oder das Ergebnis einer Tätigkeit.

In Prüfungen wird demnach eine realitätsnahe und für die jeweilige Kompetenzdimension typische Handlungssituation in einem geschützten, weitgehend objektivierbaren Rahmen simuliert. Die Performanz der Lernenden macht die zur Ausführung benötigten Kompetenzen sichtbar und ermöglicht auf diese Weise auch ihre Bewertung.

Prüfungen sind ein Instrument zur Normalisierung und Normierung von Subjekten. Das Prüfungsergebnis ordnet dem Subjekt eine Zugehörigkeit zu und positioniert es zwischen einem positiven und negativen Pol auf festgelegten Maßstäben. Die Prüfung gibt den beteiligten Akteuren eine Rückmeldung zur Wirksamkeit der Lernprozesse. Diese Rückmeldung ermöglicht eine gezielte Förderung und die Weiterentwicklung der Lernprozesse. Prüfungen sind damit ein wesentlicher Bestandteil der Diagnostik im pädagogischen Handeln. Dem diagnostizierenden Akteur muss hierfür eine Zustandsbeschreibung vorliegen, mit der er die erhobenen Daten abgleicht, um Abweichungen davon zu erkennen. Die erfasste Leistung muss innerhalb der Diagnose immer im Kontext des gesamten Lernumfeldes sowie personaler und sozialer Faktoren der Lernenden eingeordnet werden. Die Lernenden sind demnach grundsätzlich am Diagnoseprozess zu beteiligen. Diagnostische Rückmeldungen ermöglichen es ihnen ihr eigenes Handeln zu reflektieren und damit selbst Verantwortung für ihren Lernprozess zu übernehmen.

Diagnostische Verfahren können als Statusdiagnostik angewendet werden, um einen momentanen Zustand zu erfassen und daraus eine mögliche Entwicklung zu prognostizieren. Als Prozessdiagnostik können sie sich aber auch auf einen möglichen Veränderungsprozess beziehen, der Förder- und Entwicklungsmaßnahmen in möglichst kurzen Abständen ermöglicht, wodurch ein Kreislauf von Informationsgewinnung, Ursachenklärung und Planung von Fördermaßnahmen ermöglicht wird. Die in den Lernprozess integrierte pädagogische Diagnose bleibt hierbei nicht punktuell und stichprobenartig, sondern zeigt idealerweise prozessorientiert und kontinuierlich Entwicklungen auf.

Die Grenzen pädagogischer Diagnosen resultieren dabei aus zeitlichen, organisatorischen und personellen Ressourcen der jeweiligen Bildungseinrichtung.

Kompetenzdiagnostik im Verbandsführerlehrgang

Die Begutachtung der vier ausgewählten und oben beschriebenen Kompetenzdimensionen kann in einem dreiteiligen Prüfungskonzept erfolgen. Die Fach- und Methodenkompetenz der Teilnehmer wird im schriftlichen Prüfungsteil begutachtet. Hierfür erhalten die Teilnehmer ein Schadensszenario, das mit Hilfe des Führungsvorganges bearbeitet werden muss. In diesem 45 Minuten dauernden Prüfungsteil müssen die Teilnehmer eine komplexe Lage richtig erfassen und reduzieren. Sie müssen ihre Erkundungsergebnisse bewerten, durch Abschnittsbildung eine Struktur schaffen und begründete Entscheidungen treffen. Die zur Verfügung stehenden Einheiten müssen sie entsprechend ihrer selbst festgelegten Priorität zielführend einteilen. Bewertet wird in diesem Teil unter anderem das systematische und stringente Vorgehen.

Im zweiten Prüfungsteil agieren die Teilnehmer innerhalb einer Führungsstaffel. Sie übernehmen Funktionen innerhalb der Technischen Einsatzleitung, die es jeweils erfordern, dass sie die Lage in ihrem Zuständigkeitsbereich erfassen und selektieren, was bedeutsam ist. Sie müssen in der stattfindenden Lagebesprechung ihre Ziele und Absichten eindeutig verbalisieren und sich konstruktiv in das Führungsteam einbringen. Im praktischen Prüfungsteil werden die Führungskompetenz und die kommunikative Kompetenz begutachtet.

Die Rückmeldung zur Stärkung der sozialen Kompetenz der Teilnehmer stellt den dritten Baustein des Prüfungskonzeptes dar. Zum Lehrgangsbeginn dokumentieren die Teilnehmer hierfür zunächst ihre individuellen Eingangskompetenzen in einem Erfassungsbogen. Es folgt die Einteilung aller Teilnehmer in vier heterogen zusammengestellte Lerngruppen. Im fünftägigen Lehrgang findet ein Großteil der Ausbildungseinheiten in Gruppenphasen statt, wodurch die Teilnehmer den gruppendynamischen Prozess ihrer Lerngruppe aktiv gestalten können. Es folgt ein individuelles Reflexionsgespräch am letzten Lehrgangstag, in welchem die Eingangskompetenzen und der Gruppenprozess mit dem der Gruppe zugeordneten Ausbilder besprochen werden. Ziel dieses Prüfungsbausteines ist, dass die Teilnehmer das Potential ihrer Sozialkompetenz erkennen, reflektieren und zukünftig bewusst erweitern.

Fazit

Die Pädagogik im Bevölkerungsschutz befindet sich in einem hoch dynamischen Entwicklungsprozess. Eine Hürde, die diesen Entwicklungsprozess derzeit häufig ausbremst, sind die vorhandenen, häufig lediglich auf Fachwissen reduzierten Prüfungscharakteristiken. Im Rahmen einer Masterarbeit wurden daher vier beispielhafte Kompetenzdimensionen für die Verbandsführerausbildung herausgearbeitet und ein abgestimmtes Prüfungsdesign entwickelt. In der dreigliedrigen Prüfung werden genau die Kompetenzdimensionen begutachtet, die das Handeln der Verbandsführer im Einsatzgeschehen maßgeblich beeinflussen. Es wurde ein Prüfungskonzept geschaffen, welches reliabel, objektiv und vor allem valide Aussagen über den Kompetenzerwerb der Teilnehmer liefert. Diese bekommen zukünftig eine präzise Rückmeldung über ihren individuellen Lernprozess, den sie über den Lehrgangsabschluss hinaus zielgerichtet fortführen können. Der theoretische Prüfungsteil wurde bereits vor einiger Zeit an der Hessischen Landesfeuerwehrschule eingeführt und erfolgreich validiert. Die Rückmeldungen der Teilnehmer als auch der Lehrkräfte sind durchweg positiv zu sehen. Nach Schaffung der strukturellen Voraussetzungen werden auch die hier vorgestellten weiteren Prüfungsteile umgesetzt.

Mit der Anpassung der Prüfungscharakteristiken kann die Optimierung der Lernprozesse hin zur Kompetenzorientierung weiter voranschreiten. Die Einführung der neuen Prüfung verbessert damit insgesamt die Ausbildung der ehrenamtlichen Einsatzkräfte, die in Ausnahmesituationen bereitstehen, um der Bevölkerung kompetent helfen zu können.


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