Landkreise können mit vernetzten Notfallplänen „vor die Lage kommen“!

Konstantin Hartmann

Pixabay

Neben einem Anstieg von Naturkatastrophen, Cyberangriffen und geopolitischen Veränderungen stellen komplexer werdende Systeme Kommunen vor neue Herausforderungen. Interdependenzen und daraus im Katastrophenfall resultierende verkettete Kaskadeneffekte verlangen von Landkreisen und kreisfreien Städten als verantwortliche untere Katastrophenschutzbehörden neue Bewältigungsstrategien. Doch die Vorbereitung von Städten und Gemeinden auf solche komplexen Gefährdungslagen ist noch unzureichend. Eine Befragung von 370 Städten und Gemeinden ergab deutliche Defizite. Um die Unübersichtlichkeit für die unteren Katastrophenschutzbehörden zu reduzieren, die Handlungsfähigkeit in Krisen zu gewährleisten und um effektiv „vor die Lage zu kommen“, sind koordinierte Maßnahmen und ein umfassendes 1+n-Notfallplan-Rahmenwerk dringend erforderlich.

Waldbrände, Unwetter und Flutkatastrophen, IT-Ausfälle, Cyberangriffe und Sabotage kritischer Infrastrukturen (KRITIS) haben in den letzten Jahren Strukturen und Fähigkeiten zur Bewältigung solcher Ereignisse vermehrt auf die Probe gestellt. Neben der Häufigkeit hat sich auch die Tragweite von Ausfällen der KRITIS stark erhöht. Durch Interdependenzen verschiedener Sektoren der KRITIS können einzelne Ausfälle zu weitreichenden verketteten Kaskadeneffekten oder sogar zum vollständigen Zusammenbruch der KRITIS und damit der Daseinsvorsorge führen. So führt bspw. ein Ausfall der Stromversorgung innerhalb weniger Stunden u.a. zum Ausfall der Wasserver- und -entsorgung, der Verkehrsinfrastruktur und dem Telefonnetz.

Hinzu kommt eine geopolitische Lage, die sich durch den Ukrainekrieg grundlegend verändert hat. Durch die daraus resultierende Mangellage bei Weizen und fossilen Kraftstoffen stehen sowohl der Zivil- als auch der Katastrophenschutz vor Herausforderungen, die in den letzten 30 Jahren so nicht existierten.

Abbildung 1: Vorbereitende Maßnahmen der befragten Kommunen. Notfallpläne...
Abbildung 1: Vorbereitende Maßnahmen der befragten
Kommunen. Notfallpläne wurden spezifisch für das Thema
Blackout/Stromausfall abgefragt. Stab, Versorgung und
Notstrom wurden unabhängig vom Szenario abgefragt.

Die kommunale Ebene von Landkreisen muss stärker in den Katastrophenschutz integriert werden

Unabhängig von den Ursachen müssen die unteren Katastrophenschutzbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte mit diesen neuartigen Situationen umzugehen lernen. Dabei zeigt sich mehr denn je, dass sie bei großflächigen Lagen auf Unterstützung aus den Städten und Gemeinden innerhalb der Landkreise angewiesen sind. Sei es, weil die Verbindung zu den unteren Katastrophenschutzbehörden unterbrochen ist, oder weil die Städte und Gemeinden für die Bevölkerung in Notlagen eine Leuchtturmfunktion innehaben und deren Rathäuser als erstes aufgesucht werden: Die Städte und Gemeinden sind in Notfallsituationen grundsätzlich gefordert, eine effektive Koordination und Unterstützung zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit zwischen Verwaltungen, Einsatzkräften und Bevölkerung ist dabei von entscheidender Bedeutung, um die Auswirkungen zu minimieren und Schäden zu verhindern.

Inwieweit sind Städte und Gemeinden in Deutschland auf potenzielle Gefährdungen vorbereitet?

Dies Frage wurde anhand von vier Indikatoren bewertet:

(1) Vorhandensein grundlegender Stabsstrukturen

(2) Konzept zur Verpflegung der Stabsmitglieder

(3) Verfügbarkeit einer Notstromversorgung

(4) Vorbereitung von spezifischen Notfallplänen

Für die Analyse führte die KomRe AG im Rahmen von Kommunalen Impact Analysen zum Thema Blackout/Stromausfall (KIA) eine Befragung durch, an der insgesamt 370 Gemeinden und Städte aus 28 Landkreisen in 7 Bundesländern teilnahmen. Der Erhebungszeitraum umfasst die Jahre 2021-2023 und die Auswertung der Daten erfolgte anonym.

Abbildung 2: Entwicklung der Vorsorgemaßnahmen innerhalb der letzten 3 Jahre.
Abbildung 2: Entwicklung der Vorsorgemaßnahmen innerhalb der letzten 3 Jahre.

Lediglich 41% der Gemeinden haben grundlegende
Stabsstrukturen vorbereitet

Die qualitative Befragung der 370 Gemeinden und Städte aus den KIA-Projekten zeigt, dass durchschnittlich lediglich 41% der Kommunen grundlegende Stabsstrukturen (Verwaltungsstab oder Führungsstab) vorbereitet haben. Die Verfügbarkeit von Notstrom lag im Durchschnitt bei nur 29%, während gerade einmal durchschnittlich 14% über Verpflegungskonzepte für Stabsmitglieder und ebenso 14% über Notfallpläne für Stromausfälle verfügten. Dieses ernüchternde Bild der kommunalen Katastrophenvorsorge verdeutlicht eindrucksvoll, dass dringender Handlungsbedarf besteht.

Ein optimistischeres Bild zeigt sich, wenn die Ergebnisse der Befragungen aus verschiedenen KIA-Projekten zu unterschiedlichen Zeitpunkten betrachtet werden:

• bis Q1 2022 (Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine),

• Q2 und Q3 2022 sowie

• Q4 2022 bis Q2 2023 (die befürchtete Gasmangellage für den Winter 2022/23).

Insbesondere zwischen dem zweiten und dem dritten Zeitraum hat sich der Vorbereitungsgrad der befragten Kommunen verbessert. Die Implementierung von Stabsstrukturen stieg um 30% und die Versorgung der Stäbe mit Notstrom verdreifachte sich. Jedoch ging der Anteil an Kommunen mit organisierter Verpflegung für Stäbe mit 12% sogar zurück und der Anteil mit vorbereiteten Notfallplänen (24%) blieb relativ gering.

Der Anstieg von kommunalen Vorbereitungsmaßnahmen im Befragungszeitraum ist absolut begrüßenswert. Sowohl die befürchtete Gasmangellage, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sowie auch die Flut im Ahrtal können als Gründe hierfür gesehen werden, wenngleich Vorsorge immer mit einem erheblichen zeitlichen und finanziellen Vorlauf verbunden sind und der Anstieg der Resilienz nicht unbedingt monokausal zu begründen ist.

Der Fokus der Kommunen auf den Katastrophenschutz
schwindet bereits wieder

Trotz positiver Entwicklungen bestehen weiterhin große Bedenken hinsichtlich der kommunalen Vorsorge. Der Fokus auf den Katastrophenschutz verschwindet bereits wieder von den Agenden der Kreisverwaltungen. Zudem verfügt nach wie vor mehr als die Hälfte der Kommunen über keine der hier aufgeführten Vorsorgemaßnahmen. Selbst bei Städten und Gemeinden mit etablierten Stabsstrukturen fehlen oft weitere Vorbereitungen wie Verpflegungskonzepte und Notfallpläne, was zu Problemen bei längeren Lagen führt. Auch die angegebenen Stabsstrukturen weisen Mängel auf und sind innerhalb eines Landkreises keineswegs einheitlich. Diese Heterogenität kann die Handlungsfähigkeit der unteren Katastrophenschutzbehörden wiederum einschränken.

Ein Rahmenwerk aus vernetzten Notfallplänen sowie aktuelle Informationen zur Resilienz der KRITIS sichern die Handlungsfähigkeit in Krisenlagen. Diese Ergebnisse verdeutlichen den dringenden Handlungsbedarf sowohl auf Seiten der Kommunen als auch der Landkreise. Eine koordinierte Handlungsfähigkeit, die auf Einheitlichkeit beruht, ist in Krisensituationen von entscheidender Bedeutung und kann zur flächendeckenden Steigerung der Resilienz beitragen. Dadurch ist der unteren Katastrophenschutzbehörde im Fall einer Krise zu jeder Zeit bekannt auf welcher Grundlage jede Kommune agiert, wo diese ihren Stab eingerichtet hat und wie dieser besetzt und ausgestattet ist.

Ein Rahmenwerk aus 1+n-Notfallplänen, welches für einen gesamten Landkreis mit allen Städten und Gemeinden oder für eine kreisfreie Stadt entwickelt wird, ist ein Schlüsselbeitrag zur Erhöhung der Resilienz. Durch gezielte Vorplanung kann zu Friedenszeiten die erforderliche Informationsgrundlage erstellt werden, die den Hauptakteuren im Krisenfall die wichtigsten Informationen liefert. Zusätzlich können solche Notfallpläne auch einen Beitrag zu logistischen Vorbereitungsmaßnahmen wie die Bevorratung von Lebensmitteln, Arbeitsmaterialien und Kommunikationslösungen leisten.


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