27.04.2023 •

One-Way-Ausstattung für nachhaltigere ­Massennotunterkünfte – Feldtest und Ausblick

Sven Grasselt-Gille

Überarbeitetes Feldbett mit verschiedenen Ausrüstungsoptionen
TU Dresden/Sven Grasselt-Gille

Die Unterbringung der Betroffenen ist eine zentrale ­Herausforderung in vielen Szenarios der Soforthilfe. Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die Lösung dieser Aufgabe drei Facetten hat: Die Beschaffung, den Einsatz selbst und die Verfahrensweise nach dessen Ende. Das Kooperationsprojekt AidBoards der Technischen Universität Dresden (TU Dresden) und u. a. des DRK LogHub zeigt eine gesamtheitliche Lösungsmöglichkeit auf. 2022 wurde eine offene Feld­studie durchgeführt, zu der auch auf crisis-prevention.de eingeladen und die Hintergründe erläutert wurden. Die Erkenntnisse sollen 2023 in Form verbesserter Produktlösungen Eingang in die ­Praxis finden.

Als Ergebnis der an der Professur für Holztechnik und Faserwerkstofftechnik durchgeführten Forschung mit Fokus auf Feldbetten sind Konzepte für kostengünstige, leicht palettierbare Steckbausätze für den einmaligen Transport entstanden, die auf einem Papierwerkstoff basieren: Die verwendete Schwerwellpappe ist ein typisches Industrie-Verpackungsmaterial. Sie besteht aus nachwachsenden Rohstoffen mit vergleichsweise geringem CO2-Fußabdruck gegenüber den bei z. B. Klapp-Feldbetten überwiegend verwendeten Metallen und Kunststoffen. Schwerwellpappe kann regional kostengünstig und schnell verarbeitet ­werden, dazu ist sie über das sehr gut ausgebaute Alt­papier­wertstoffsystem 100% recyclebar. Beide Faktoren, leichte Herstellung und Entsorgung, haben nicht nur am Standort Deutschland, sondern in nahezu allen europäischen Staaten Gültigkeit.

Der in der Feldstudie verfügbare modulare Feldbett-Demonstrator nutzt neben der Wellpappe-Struktur eine frei hängende ­Liegefläche aus Jutegewebe, ähnlich den bekannten Klappfeldbetten. Für die Kampagne wurden zusätzlich ein Tisch und ein Hocker bereitgestellt. Zusammen bildeten sie das Testpaket für die Grundelemente einer Notunterkunft, das über den Onlineshop des sächsischen DRK (retterstore.de) abrufbar war. Die Motivation und Herleitung des damit präsentierten Konzepts wird in dem bereits erschienen Onlineartikel (crisis-prevention.de/katastrophen­schutz/one-way-ausstattung-fuer-nachhaltigere-massennotunterkuenfte.html) zusammen mit den Vorteilen und Grenzen dar­gelegt.

Testpaket aus vier Feldbett-Modulen, einem Tisch und zwei Hockern
Testpaket aus vier Feldbett-Modulen, einem Tisch und zwei Hockern

Erfahrungen aus dem Feldtest

Dank einer Bundes-Förderung konnten 100 Feldbetten, 100 Tische und 200 Hocker seriennah gefertigt und für den Post-Versand vorbereitet werden. Bereits dieser Teil der Arbeiten hat eine Reihe von technischen und wirtschaftlichen Fragestellungen aufgezeigt, die aus den vorherigen Arbeiten mit einzelnen Prototypen nicht absehbar waren.

Der Bezug der Testpakete war aufgrund der Förderung mit geringen Kosten zur Deckung der Unkosten der Industriepartner verbunden. Dafür wurde mit dem Paket ein Fragebogen ausgegeben, um die Erfahrungen der NutzerInnen zu erfassen. Diese haben ein ambivalentes Bild hinsichtlich des Aufbaus gezeigt. Während einige NutzerInnen teilweise ganz auf Aufbauanleitungen verzichten konnten, haben an anderer Stelle weder die aufgedruckte Anleitung noch die Videoanleitung zum Erfolg geführt. Den korrekten Aufbau der Produkte vorausgesetzt, waren alle TeilnehmerInnen positiv überrascht von der Belastbarkeit. Der in dieser Hinsicht hervorzuhebende Hocker wiederrum hat bei kleinen Personen zu unangenehmen Druckstellen geführt. Dem gegenüber wurde das Feldbett durch die hängemattenartige Bespannung als sehr bequem beschrieben, auch wenn die Stoßstellen der einzelnen Module etwas irritierten. Dieses hat dadurch auch eine begrenzte Traglast und bewirkte bei den NutzerInnen, dass die ersten Liegeversuche vorsichtig angegangen wurden.

Angehörige des Katastrophenschutzes der Stadt Dresden demonstrieren die...
Angehörige des Katastrophenschutzes der Stadt Dresden demonstrieren die Stabilität eines Feldtisches auch jenseits der geplanten Belastungsgrenze

Am Ende der jeweiligen Testläufe hatte das eingesetzte Personal die oftmals vorhandene anfängliche Skepsis überwunden und Vertrauen in die Stabilität und damit das Produkt-Konzept gewonnen. Die Anlieferung als kompaktes Paket wurde im Sinne der effektiven Logistik positiv bemerkt.

Aktuell noch vorhandene Restbestände werden genutzt, um den längeren Einsatz in verschiedenen Umfeldern zu erproben. Das sind z. B. der Einsatz als Werkbänke, Büroarbeitstische oder im Falle der Hocker als Notbestuhlung für Massenveranstaltung.

Neun Einweg-Tische in fixierter Anordnung als übergroße Werkbank
Neun Einweg-Tische in fixierter Anordnung als übergroße Werkbank

Ergebnisse aus dem Feldtest

Die Vorteile des Konzepts wurden erkannt bzw. bestätigt und Vorbehalte konnten beseitigt werden, wodurch der praktische Einsatz sinnvoll erscheint. Dafür steht an erster Stelle, die Konstruktion zu vereinfachen, um in jedem Fall einen erfolgreichen Aufbau z. B. auch durch Betroffene vor Ort zu gewährleisten. Dies bedeutet nicht unbedingt, weniger Montageschritte vorzusehen, sondern vor allem eine Konstruktion zu realisieren, die kein großes technisches Verständnis von den zukünftigen NutzerInnen fordert. In diesem Sinne werden auch die grafischen Aufbauanleitungen neugestaltet. Eine andere Einsicht betrifft die Struktur des Bedarfs von Organisationen des Katastrophenschutzes. Da das Konzept weniger auf Bevorratung als auf kurzfristige Verfügbarkeit im Notfall ausgerichtet ist, ist keine gleichmäßige Nachfrage zu erwarten. Dies ist aus wirtschaftlicher Sicht für eine Umsetzung problematisch.

Hinsichtlich des Feldbetts resultieren diese Erfahrungen in einer grundlegenden Überarbeitung: Das nun für die Großserie vorgesehene Modell verzichtet auf die Jutebespannug zu Gunsten einer Lösung mit Matratze o. ä.

Der Nachteil daraus ist der Bedarf an einer Auflage, mindestens einer Decke oder Isomatte. Entwicklungsarbeiten zu einer zu dem Konzept passenden Lösung auf Basis von Papier haben bereits begonnen. Dem gegenüber steht eine Reihe von Vorteilen. Der Aufwand für Herstellung und Logistik kann kostenseitig nahezu halbiert werden, gleiches gilt für die Bereitstellungszeit. Es ist die Nutzung einer größeren Bandbreite an Herstellern möglich, da keine speziellen bzw. kleinere Produktionsanlagen ausreichend sind. Damit rücken Lieferzeiten von wenigen Tagen auch für sehr große Stückzahlen in Reichweite. Die Traglast des Feldbetts erhöht sich signifikant und die Versagens-Anfälligkeit wird wesentlich reduziert, was bereits optisch zu einem größeren Vertrauen in das Produkt führt. Der Verzicht auf Jute an sich ist positiv im Sinne der nicht länger vorhandenen Fusseln und der beseitigten Abhängigkeit von einem aus Fernost zu importierenden Material. Zusätzlich können eine Reihe von zusätzlichen Funktionen, die teilweise bereits in dem Testpaket-Feldbett angelegt waren, ausgebaut werden.

Neben der vergrößerten Ablage unterhalb des Kopf- bzw. Fußendes findet sich nun Stauraum für größere Kisten. Die Liegefläche kann mit stabilen Aufnahmepunkten für Anbauten wie Bettgeländer und Infusions- oder Garderobenständer versehen werden. Zusätzlich zu der Möglichkeit, ein Mosquitozelt zu montieren, ist es jetzt auch vorgesehen, das Bett nach wenigen Handgriffen in der Behandlung von Durchfallerkrankungen einzusetzen (als s. g. Cholerabett). Die letzten beiden Punkte sind Anforderungen, die ursprünglich aus der internationalen Katastrophenhilfe stammen und relativ einfach aufgegriffen werden konnten. Das zugehörige Bettgeländer erfordert ein überschaubares Maß an Produktentwicklung, die zukünftig außerhalb des universitären Forschungsumfeldes stattfinden wird.

Überarbeitetes Einweg-Feldbett im Vergleich mit einem Standard-Klappfeldbett
Überarbeitetes Einweg-Feldbett im Vergleich mit einem Standard-Klappfeldbett

Ausblick

Für den Transfer der Forschungs- und Feldtestergebnisse in die Praxis werden wirtschaftsnahe Strukturen benötigt. Diese werden zukünftig durch die Gesellschaft für Wissens- und Technologietransfer der TU Dresden in Form eines Innovationszentrums bereitgestellt. Ab April 2023 sollen die optimierten Feldbetten, Hocker und Tische regulär verfügbar sein. Um eine wirtschaftliche Basis zu schaffen, werden die Produkte auch außerhalb des direkten Katastrophenschutzes verfügbar gemacht. Dies geschieht in Form eines Gesamtpakets mit der Mobiliar-Grundausstattung für eine Person, bestehend aus Bett, Tisch, zwei Hockern und einem zusätzlichen Regal. Möglicher Bedarf besteht z. B. bei Sozialämtern oder Geflüchteten in privaten Unterkünften.

Notfallpaket mit der Mobiliar-Grundausstattung für eine Person
Notfallpaket mit der Mobiliar-Grundausstattung für eine Person
Quelle: alle Bilder: TU Dresden/Sven Grasselt-Gille

Als dauerhaft erhältliches Testpaket soll es auch weiterhin eine niedrigschwellige Möglichkeit für Katastrophenschutzorganisationen bieten, die Ausrüstung zu erproben. An erster Stelle stehen für die Verbesserungsarbeiten zukünftig jedoch praktische Erprobungen im tatsächlichen Einsatz, z. B. parallel zu der bisher gewohnten Ausstattung. Bei wirtschaftlichem Erfolg dieser ersten Artikel können weitere Produkte entwickelt werden, wie z. B. das erwähnte Bettgeländer oder eine erhöhte Patientenbett-Version. Mehrmalige Verwendbarkeit der Produkte ist eine mögliche zukünftige Aufgabenstellung, ebenso wie die Ausweitung des Herstellernetzwerks für dezentrale Fertigung. Die Fragebögen des Feldversuchs enthalten erfreulicher Weise eine ganze Reihe von Vorschlägen, die auf die Umsetzung warten: Durch die Mitarbeit als Kooperationspartner können innovationsbereite Hilfsorganisationen zukünftige Ausrüstung mitgestalten. Daneben freuen wir uns immer über Praxis-Anwender für neue Referenzprojekte, wozu wir sie weiterhin ausdrücklich einladen möchten.



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