23.11.2023 •

#SozialkürzungenStoppen: Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege sehen Sozialstaat in Gefahr

Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege sehen den Sozialstaat in Deutschland angesichts der Kürzungspläne im Bundeshaushalt 2024 ernsthaft gefährdet. Eine Woche vor der abschließenden Sitzung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, in der die Abgeordneten letzte Änderungen am Bundeshaushalt erwirken können, fordern die Spitzen von Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (AWO), Deutschem Caritasverband (DCV), Deutschem Roten Kreuz (DRK), der Diakonie Deutschland, dem Paritätischen Gesamtverband und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) eine Rücknahme der Kürzungspläne. Auf der heutigen von der AWO organisierten Kundgebung in Berlin warnten sie vor massiven Einschnitten in eine Vielzahl sozialer Angebote und einer damit einhergehenden nachhaltigen Schwächung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Der zu beschließende Haushaltsplan sieht aktuell für Leistungen der Freien Wohlfahrtspflege eine Kürzung von insgesamt etwa 25 Prozent vor.

#SozialkürzungenStoppen: Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege...
Quelle: Willing-Holtz / DRK

Was ist geplant und mit welchen Folgen?

- Kürzungen in Höhe von etwa 30 Prozent im Bereich der Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE), obwohl die Nachfrage nach qualitativer Beratung unverändert hoch ist. Damit geraten die etablierten und bewährten Strukturen des Beratungsangebotes massiv unter Druck.

- Kürzungen für das Programm der bundesweiten, behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung (AVB). Durch den Wegfall von 50 Prozent der für das nächste Jahr mindestens benötigten Mittel wird der zugesagte Aufbau torpediert. Es drohen Insolvenzen und eine Verschlechterung des Beratungsangebots durch Wegfall der Landesfinanzierungen.

- Ein weiteres betroffenes Bundesprogramm ist das der Psychosozialen Zentren (PSZ). Es soll eine Kürzung von 17 Millionen auf sieben Millionen Euro geben. Die Verbände sehen die Versorgung und Teilhabe von geflüchteten sowie anderen zugewanderten Menschen massiv gestört und damit auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gefahr.

- Die Mittel für die Freiwilligendienste sollen über alle Formate hinweg um 23,7 Prozent gekürzt werden. Die geplanten Kürzungen hätten zur Folge, dass jeder vierte Freiwilligenplatz wegfallen würde - das wären bundesweit rund 30.000 Freiwillige.

- Im Bereich Digitalisierung hebeln Einsparungen in Höhe von 3,5 Millionen Euro das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgesetzte Förderprogramm zur Zukunftssicherung der Freien Wohlfahrtspflege durch Digitalisierung komplett aus. Hier werden die Verbände mitten im Aufbruch und in wichtigen strategischen Entwicklungen stark beeinträchtigt.

BAGFW-Präsident Michael Groß (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband) betont:

„Der Entwurf zum Bundeshaushalt bedeutet für viele unserer Einrichtungen und Angebote schmerzhafte Einschnitte, bis hin zur Schließung. In einer so unsicheren Weltlage, in der viele Menschen massiv verunsichert sind und große Sorgen haben, stehen jetzt die letzten Anlaufpunkte auf dem Spiel, die den Menschen noch Sicherheit und Orientierung geben können. Die Arbeitsbereiche der Freien Wohlfahrtspflege machen nur einen minimalen Bruchteil des Bundeshaushalts aus – minimale Einsparen sorgen für maximalen Schaden!“

Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes (DCV):

„Die Grenze zwischen „Drinnen“ und „Draußen“ wird heute über digitale Zugangsbarrieren bestimmt: Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer, wo Menschen digital abgehängt werden. Passgenaue Angebote der Wohlfahrtsverbände müssen analog und digital gestaltet werden, um diese Kluft zu schließen. Das gilt etwa für unsere Beratungsstellen, die auch online erreichbar sein müssen. Wenn die Förderung der digitalen Transformation der Wohlfahrtsverbände von der Bundesregierung auf Null gesetzt wird, geht das zulasten der Zukunft des Sozialen.“

Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes:

„Es ist erschütternd, dass die Bundesregierung in einer Zeit wachsender sozialer Spaltung bei solchen Strukturen kürzt, die Menschen in Armut und prekären Lebenslagen helfen - von Hilfen für Arbeitslose bis zur Unterstützung Geflüchteter. Die Haushalts- und Finanzpolitik der sozialen Kälte muss gestoppt werden! Es steht nichts weniger als der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Stabilität unserer Demokratie auf dem Spiel.“

Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK):

„Migrationsberatungsstellen helfen Zugewanderten, sich zu orientieren und ihre Ansprüche wahrzunehmen. Sie sorgen langfristig dafür, dass Menschen, die zu uns kommen, Fuß fassen, sich einbringen und selbstverständlich alle Möglichkeiten haben, die andere auch haben. So kann Zuwanderung die Gesellschaft bereichern. Sie in Zeiten steigender Zuwanderung zu streichen ist schlicht unverantwortlich.“

Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland:

„Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, die Freiwilligendienste zu stärken. Die Kürzungen stehen dazu in klarem Widerspruch und dürfen auf keinen Fall beschlossen werden. Notwendig wäre eine Aufstockung der Mittel und mehr Unterstützung für die Freiwilligen: zum Beispiel durch die kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs oder die Anerkennung von Freiwilligenzeiten als Vorbereitung auf ein Studium oder eine Ausbildung. Wer hier heute kürzt, zahlt morgen drauf!“

Abraham Lehrer, Präsident der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST):

„Die globalen Krisen der letzten Jahre zeigen: Eine resiliente und krisenfeste Wohlfahrtspflege ist wichtiger denn je. Krisen werden von Populisten als Nährboden missbraucht, die meinen, auf komplexe Fragestellungen einfache Antworten finden zu können. Das damit einhergehende Auseinanderdriften des gesellschaftlichen Zusammenhalts gefährdet die Demokratie. Die Freie Wohlfahrt muss eine verlässliche Anlaufstation für vulnerable Gruppen bleiben. Integration, ehrenamtliches Engagement und digitale Teilhabe sind unabdingbar für gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ 

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