21.05.2024 •

THW – der Anker in der Gesellschaft

H. Lange, U. Tietze

Sabine Lackner, Präsidentin des THW, im Gespräch mit der Verlegerin Heike Lange.
THW/Robin Ramos-Hoffmann

Wir kennen das Technische Hilfswerk (THW) alle. Es rettet Menschen und Tiere aus Gefahren­lagen, repariert Schäden an der Strom- und Wasserversorgung und richtet zerstörte Wege und Verbindungen wieder her. Zum gesetzlichen Auftrag gehört die technische Hilfe im Bevölkerungsschutz (Zivil- und Katastrophenschutz), in der örtlichen Gefahrenabwehr auf Ersuchen der zuständigen Stellen und im Ausland im Auftrag der Bundesregierung.

Als ehrenamtliche Einsatzorganisation des Bundes ist das THW eine Behörde im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums mit rund 88.000 Ehrenamtlichen, rund 700 Bundesfreiwilligendienstleistenden und über 2.100 hauptamtlichen Mitarbeitern.

Sabine Lackner ist seit Juli 2023 Präsidentin des THW. Die Verlegerin Heike Lange führte mit ihr ein Interview zu den relevanten Themen des THW.

Crisis Prevention: Frau Lackner, herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für ein Interview mit der Crisis Prevention (CP) nehmen. Sie sind seit vielen Jahren beim THW, d. h. Sie kennen das THW in und auswendig. Könnten Sie vielleicht zuerst etwas zu Ihrer Laufbahn beim THW erzählen?

Sabine Lackner: Ich habe im Oktober 2001 beim THW als Referatsleiterin für den Auslandsbereich, Auslandseinsätze und ­Projekte angefangen. Im Rahmen einer Umstrukturierung habe ich 2007 den Bereich Kompetenzentwicklung Aus- und Fortbildung in der THW-Leitung aufgebaut. Dann war ich ab 2014 ein Jahr lang Interimslandesbeauftragte des THW-Landesverbands Sachsen, Thüringen, vier Jahre lang Landesbeauftragte für Bremen, ­Niedersachsen und von April 2020 bis zu meiner Ernennung zur Präsidentin am 01.07.2023 Vizepräsidentin des THW.

CP: Man fängt ja mit Schwung und einer Idee an, wie man das THW weiterentwickeln will. Wie soll es in der Zukunft weitergehen? Was sind die nächsten Bausteine? Wo wollen Sie hin?

SL: Also grundsätzlich möchte ich erst einmal sagen, dass wir konzeptionell gut aufgestellt sind. Wir haben 2016 unser Rahmenkonzept entwickelt. Das war eine erste Fortentwicklung zu dem, wo wir ursprünglich hergekommen sind, nämlich von dem klassischen Nachkriegsszenario „Alles ist kaputt“, also Bergung, Räumung, hin zum Thema Kritische Infrastruktur. Dieses Konzept haben wir Anfang 2023 um einige Aspekte weiterentwickelt, um die Katastrophen, die weltweit an Quantität und Qualität zunehmen und vor dem Hintergrund des Klimawandels, bewältigen zu können. Unser Fokus liegt aber weiterhin beim Bevölkerungs- und Zivilschutz.

Ein weiteres Ziel ist das Überleben unserer Behörde mit über 2.100 Mitarbeitern zu sichern, also dem Fachkräftemangel mit attraktiven Rahmenbedingungen entgegenzuwirken und unsere Organisation in die Zukunft zu führen.

Für die 100-Jahr-Feier des THW im Jahr 2050 haben wir gemeinsam mit unseren ehrenamtlichen Vertretungen die Vision: „Gemeinsam stark im Einsatz und in der Gesellschaft!“ entwickelt. Gemeinsam heißt Haupt- und Ehrenamt, gemeinsam mit anderen Hilfeleistungsorganisationen und Feuerwehr, Bund und Ländern gemeinsam und gemeinsam in Europa. Wir sehen uns als Anker in der Gesellschaft mit einem großen gesellschaftlichen Auftrag. Die Grundlage bilden unsere elf Leitsätze auf der Basis unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung (https://www.thw.de/DE/THW/Organisation/Selbstverstaendnis/selbstverstaendnis_node.html).

CP: Sie sind die erste Frau an der Spitze des THW. Sie waren auch in ihren verschiedenen Stationen davor oftmals die erste Frau innerhalb des THW. Und ich kann mir vorstellen, dass auch ihre Gesprächspartner außerhalb nicht frauendominiert waren. Macht das etwas mit einem selbst? Machen Sie qua Geschlecht etwas anders?

SL: Nein, ich muss sagen, dass das nicht besonders viel mit mir gemacht hat. Mir wurden aber auch keine Steine in den Weg gelegt.

Als Frau höre ich auf meinen inneren Impuls. Da agiere ich anders als viele Männer. Ich kann in meiner Position heute bestimmte Dinge umsetzen, weil ich sie will. Zum Beispiel beim THW die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Menschen kommen zum THW, weil sie großartig finden, was wir machen und sie etwas Sinnstiftendes tun wollen. Das kann ich nur unterstützen, also habe ich z. B. gesagt „geteilte Führung“, denn auch Führungs­kräfte haben familiäre Verpflichtungen.

Ich bin gegen jede Art von Diskriminierung, auch ungewollte und unbewusste. Wir sind Mitglied in der kleinen Organisation ­„Klischeefrei“, die Stellenausschreibungen z. B. auf strukturelle Hindernisse für Frauen überprüft. Ebenso haben wir die Charta der Vielfalt unterzeichnet.

CP: Wir kommen zur Weltpolitik. Die Krisen werden schneller, mehr und auch qualitativ intensiver. Wir haben Kriege in der Ukraine und jetzt auch im Gazastreifen. Wir haben gerade das Hochwasser in Niedersachsen sowie weltweit Stürme und Erdbeben. Auch der Schutz kritischer Infrastrukturen ist ein Thema des THW. Was steht bei uns in Deutschland auf der Agenda? Was müssen wir tun, um uns krisenfest aufzustellen?

SL: Wir sind in Deutschland grundsätzlich gut aufgestellt, weil unser Bevölkerungs-, Katastrophen- und Zivilschutz auf ehrenamtlichen Schultern ruht, d. h. das sind Menschen, die sich in ihrer Freizeit mit diesem Thema beschäftigen, das dann wieder-um in ihre Familien und zum Arbeitsplatz tragen. Dadurch haben wir in Deutschland eine große Anzahl derer, die sich mit Krisen und deren Bewältigung bereits auskennen.

An dieser Stelle ist es mir ganz wichtig zu sagen, dass wir uns das hauptamtlich überhaupt nicht leisten könnten. Wir sind jetzt, wenn ich die Einsatzkräfte-Tage, die ehrenamtliche Einsatzkräfte seit dem 21. Dezember in der aktuellen Hochwassersituation geleistet haben, auf eine Person mit zehn Stunden Tätigkeit täglich runterbreche, bei 25 Jahren. Das ist unser tolles Potenzial. Großen Dank an alle Ehrenamtlichen des THW. Und hier muss dauerhaft solide in die Prävention, in die Ausstattung und in die Ausbildung investiert werden.

Die deutsche Bevölkerung insgesamt muss noch resilienter werden und sich an den Gedanken gewöhnen „Hilf Dir selbst bis Hilfe kommt“. In der Ukraine z. B. kämpfen die Menschen auch für unsere Demokratie. Ich denke, auch wir sind belastbar und sollten an unserer Resilienz arbeiten.

CP: Zurück zum THW. Ich denke, es ist in der Bevölkerung sehr gut verankert. Das ist zumindest das, was ich auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis höre. Wo sagen Sie, können wir besser werden, sollen wir besser werden? Wo brauchen wir aber auch Unterstützung von anderen, wo brauchen wir vielleicht Hilfe oder auch Geld?

SL: Ja, unsere Verankerung in der Gesellschaft ist gut, aber es geht immer noch etwas besser. Wir müssen noch weiter bekannter werden und den Menschen vermitteln, wer wir sind.

Was es deutlich braucht, ist eine kontinuierliche Unterstützung von Politik und Gesellschaft. Und Politik heißt ganz klar hier auch Finanzierung. Wir müssen die gestiegenen Kosten unserer 668 Ortsverbände tragen, auch unter Energieeffizienzgesichtspunkten. Ebenso sind die Beschaffungskosten für neue Fahrzeuge und Ausstattung allgemein stark gestiegen. Dafür brauchen wir Geld.

CP: Zum Thema Ausrüstung: Drohnen sind jetzt in aller Munde. Dazu kommt das Thema Digitalisierung und KI – in welchen Bereichen das eingesetzt werden mag. Sehen Sie eher Vorteile in der technischen Weiterentwicklung oder sehen Sie auch Nachteile und Risiken?

SL: Ich sehe generell mehr die Vorteile und Chancen. Beim THW stellen wir uns immer die zielführende Frage, was wirklich nützlich ist. Dabei sollte man mitmachen, mutig und offen sein. Aber auch ganz klar bestimmte Dinge nicht zulassen und dulden!

Wenn ich durch KI-Algorithmen bestimmte Verwaltungsabläufe und –auflagen beim THW verschlanken kann und dadurch menschlichen Ressourcen zur Unterstützung des Ehrenamtes frei werden, so sehe ich das sehr positiv.

Allerdings liegen auch Risiken auf dem Tisch - das sind rechtlich ethisch moralische Fragestellungen, die geklärt werden müssen. Zum Beispiel bei Überflügen von Drohnen. Wo erhebe ich welche Daten, was mache ich mit diesen?

Nur, es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Es ist auch eine Frage an die Politik, an Europa. Die EU hat gerade als erster Staatenbund eine KI-Richtlinie erlassen. Sie werden immer Menschen haben, die aus allem etwas Negatives machen, das ist Fakt, aber deswegen Angst davor zu haben ist schlecht. Angst ist immer ein schlechter Berater. Der Einsatz von Drohnen ist im THW gut angekommen. Die Möglichkeit des Überflugs eines Trümmerkegels z. B. gibt unseren Ehrenamtlichen Schutz.

CP: Zum Stichwort „Resilienz in der Bevölkerung“: Wird das Thema mit seinen Empfehlungen und Warnungen heute ernst genommen? Haben Sie das Gefühl, Sie erreichen die Bevölkerung mit Appellen oder Informationen mehr als vorher?

SL: Es hat sich viel verändert, die Kollegen vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) stärken die Resilienz der Bevölkerung hier sehr.

Was ich wahrnehme, ist, dass es durch viele Entwicklungen, die auch mir persönlich politisch große Sorgen bereiten, wie z. B. der völkerrechtswidrige russische Überfall auf die Ukraine, ein großes Aufrütteln und Umdenken in der deutschen Bevölkerung gegeben hat.

Wir erleben leider innerhalb der Europäischen Union derzeit auch Tendenzen einzelner Mitgliedstaaten, die ich von meinem persönlichen Demokratieverständnis nicht mehr gedeckt sehe.

CP: Thema Ehrenamt: Ist dem THW mit dem Wegfall der Wehrpflicht auch ein gewisser Teil weggefallen? Oder kann man es positiv sehen und sagen, dass die, die bei uns sind, es freiwillig machen, d. h. auch ganz anders dahinterstehen? Was macht das THW attraktiv und wie wollen Sie die Attraktivität eben auch behalten, dass das weiter ausstrahlt auf das Ehrenamt?

SL: Nach einem Einbruch 2011 haben wir heute mehr Ehrenamtliche.

Also, es ist eine Kombination, die mehr Menschen zum THW geführt hat. Große Einsätze, die für uns auch große Sichtbarkeit generieren, wie z. B. 2021 das Starkregenereignis Bernd, umgangssprachlich die Ahrtalkrise, haben ganz vielen Menschen das THW nahegebracht. Wir hatten damals Spontan-Helfende, die bei uns eingetreten und bis heute noch dabei sind. Die Menschen haben gesehen, dass sie eine Notsituation nicht ohnmächtig hinnehmen müssen, sondern, dass sie etwas tun können – das stärkt die Resilienz. Dann kam Corona und hat für viele noch einmal ein Umdenken gebracht über den Sinn des Lebens – auch wenn das jetzt ein bisschen pathetisch klingt.

CP: Eine Zusammenarbeit von THW und anderen Organisationen ist bei Katastrophen wichtig. Wie funktioniert das? Gibt es eine Art von Synchronisation? Welche Rolle spielt das BBK dabei?

SL: Wir haben unsere Kräfte, also die Ehrenamtlichen, vor Ort und die üben untereinander für potenzielle Einsätze. Die Zusammenarbeit mit anderen Bevölkerungsschutzorganisationen, wie z. B. dem Deutschen Feuerwehrverband (DFV), dem BBK oder der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Alle haben festgestellt, dass man gemeinsam deutlich stärker ist und jede Organisation ihre Kompetenzen einbringen kann.

CP: Haben sie noch einen Punkt, der Ihnen am Herzen liegt, etwas das Sie den Lesern mitgeben möchten?

SL: Ja, ich möchte allen Arbeitgebern sagen, dass wir sehr dankbar sind für ihre Unterstützung, indem sie ihre Mitarbeiter freistellen. Denn gerade die kleinen und mittleren Unternehmen brauchen ihre Facharbeiter. Wenn ich zum Beispiel in den ländlichen Raum schaue, sind ganz viele Menschen bei der Feuerwehr, beim THW oder beim Roten Kreuz. Bei der Ahrtalflut waren z. B. Ehrenamtliche bis zu sechs Mal freigestellt. Dafür möchte ich Arbeitgebern meinen Dank aussprechen.

CP: Vielen Dank für Ihre offenen und umfassenden Antworten. Unsere Leser konnten dadurch einen sehr guten Einblick in die Arbeit des THW bekommen. 



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