Nach langer und verdienstvoller Zeit als THW-Präsident schied Albrecht Broemme zum Ende des Jahres 2019 altershalber aus. Vizepräsident Gerd Friedsam rückte nach, und die Kontinuität und Führungsqualität an der Spitze der Bundesbehörde bleibt damit sicher gewahrt. Der neue THW-Präsident nahm sich Zeit für ein Interview mit CRISIS PREVENTION. Wir freuen uns, ihn unseren Lesern hier vorzustellen.
CRISIS PREVENTION: Hinter dem Amt ist auch immer der Mensch interessant. Wer ist Gerd Friedsam privat?
GERD FRIEDSAM: Ich bin 62 Jahre alt, verheiratet und lebe in Bonn. Zu meiner Familie gehören neben meiner Frau meine zwei Kinder und drei Enkelkinder. Ich bin im Kreis Ahrweiler geboren und habe eine enge Beziehung zum Rhein und zum Wasser überhaupt. Wenn ich nicht arbeite, bewege ich mich gern in der Natur, bevorzugt im und auf dem Wasser z. B. mit Booten. Und auch die Berge haben es mir angetan – da schätze ich das Skifahren und freue mich jedes Jahr auf unseren Winterurlaub in den Dolomiten.
CP: Wie war Ihr beruflicher Weg? Was hat Sie zum THW geführt?
GF: Im Jahr 1986 habe ich mich auf eine Stelle beim THW beworben. Das THW war mir seit dem Einsatz in Mexiko nach dem Erdbeben von 1985 ein Begriff. Der Landesverband Hessen in Frankfurt hatte eine Stelle ausgeschrieben, die ich bekam. Seitdem bin ich bis heute dabeigeblieben. Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass ich unsere Organisation von unten bis nach oben durchlaufen und kennen gelernt habe. Und das auf den unterschiedlichsten Positionen, nicht nur hauptamtlich, sondern auch ehrenamtlich bis hin zum Ortsbeauftragten in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Hauptamtlich ging es über Umwege von Frankfurt über Stuttgart bis an die AKNZ in Neuenahr als Fachlehrer für Einsatztaktik. Später dann wieder zur THW-Leitung nach Bonn, wo ich in unterschiedlichen Referaten und in verschiedenen Funktionen tätig war: vom Grundsatzreferat bis zum Referatsleiter für In- und Auslandseinsätze. In dieser Zeit war ich an vielen großen Einsätzen des THW beteiligt, sowohl im Inland als auch im Ausland. Als Beispiele sind die Einsätze während des Jahrhunderthochwassers 2002, in Südostasien 2004, nach dem Hurrikan Katrina in New Orleans 2005 oder als THW-Gesamtkoordinator für die Fußballweltmeisterschaft 2006 zu nennen. Später wurde ich Leiter des Leitungsstabes, ab 2011 Vizepräsident und nun bin ich seit dem 1. Januar Präsident.
CP: Sie kennen den Katastrophenschutz in Deutschland seit langem. Kann man sagen: Zu Zeiten des Kalten Krieges waren wir besser aufgestellt als heute?
GF: Ich glaube, das muss man aus zwei Blickwinkeln sehen. Natürlich hatte damals die Gesamtverteidigung Deutschlands einen höheren Stellenwert. Einrichtungen wie Sirenenanlagen, Schutzräume, Vorratshaltung etc. wurden später zurückgefahren. Und werden übrigens jetzt sukzessive in Teilen wiederbelebt. Für das THW kann ich aber sagen, dass wir bis heute eine wirklich positive Entwicklung genommen haben. Insbesondere in den letzten fünf Jahren wurde unsere Ausstattung durch große Beschaffungsmaßnahmen bedeutend verbessert. Wir hatten außerdem die Befürchtung, dass uns die Abschaffung des Wehrdienstes bei der Nachwuchsgewinnung Probleme bereiten würde. Unmittelbar danach stimmte das auch für kurze Zeit. Das hat sich dann jedoch schnell wieder verändert. Wir haben sehr früh – ab Mitte der 2000er Jahre – damit begonnen, mit gezielten Werbemaßnahmen größere Bevölkerungsgruppen für uns zu interessieren. Heute hat sich der leichte Abwärtstrend der 90iger Jahre wieder umgekehrt, wir haben wieder Zuwächse bei unserer Helferschaft. Ein – wie ich finde – tolles Zeichen. Nicht zuletzt liegt das sicher auch daran, dass wir als Organisation immer offen waren für alle Bevölkerungsgruppen. Was mich besonders freut, ist, dass sich mehr und mehr Frauen bei uns engagieren.
CP: In Ihrer Neujahrsansprache sagten Sie, dass heute vieles neu gedacht werden müsse. Was meinen Sie dabei konkret?
GF: Es gibt natürlich immer wieder neue Herausforderungen und neue Einsatzszenarien, die man beachten muss. Aber heute hat sich das Tempo erhöht. Denken Sie nur an die Klimaveränderung. Wer hätte vor kurzem gedacht, dass wir immer häufiger bei Vegetationsbränden die Feuerwehr unterstützen? Wir bereiten uns jetzt z. B. verstärkt auf Wasserförderung über lange Wegstrecken vor. Dass das so schnell ein solches Ausmaß annimmt, war schon überraschend. Wir müssen sicherlich in Zukunft noch vieles andere neu denken, wahrscheinlich eher systemisch. Vielleicht muss man mehr Brunnen anlegen oder strukturelle Maßnahmen ergreifen, um in vielen Gegenden die Wasserversorgung zu sichern. Damit sind wir auch schon bei einem anderen wichtigen Thema: dem Schutz kritischer Infrastrukturen. Hierzu zählt unter anderem die Trinkwasserversorgung. Bei dieser geht es nicht nur um Trinkwasseraufbereitungsanlagen, sondern auch um die Trinkwasserverteilung, die oft das größere Problem darstellt.
Bei den kritischen Infrastrukturen spielt der Bereich der Energieversorgung zudem eine hervorgehobene Rolle. Wir müssen unsere Notstromkapazitäten ausbauen. Das THW ist da bereits auf einem guten Weg, haben wir doch unsere Ortsverbände flächendeckend mit Netzersatzanlagen mit einer Leistung von 50 kVa ausgestattet. Ein weiterer Bereich, den ich nennen will, ist die technische Entwicklung, die uns z.B. unter dem Aspekt Digitalisierung vor neue Herausforderungen stellt. So bringt die Digitalisierung etwa Cybergefahren mit sich. Gleichzeitig schafft sie aber auch neue Möglichkeiten und stellt uns neue Hilfsmittel zur Verfügung – denken Sie an Erkundungsmaßnahmen bei Gebäudezusammenbrüchen, wo bei der Ortung Verschütteter immer häufiger zusätzlich die Drohnentechnik eine Rolle spielt. Ein letzter Punkt liegt im Bereich der Gewinnung neuer ehrenamtlicher Einsatzkräfte. Hier müssen wir moderne Kanäle wie Social Media nutzen. Dafür gehen wir mit unserer Marketingstrategie neue Wege.
CP: Gibt es denn Bereiche, von denen Sie sagen, da sind wir nicht gut aufgestellt?
GF: Da fällt mir spontan das Segment ein, das zu Zeiten des Kalten Krieges ABC-Schutz hieß, heute CBRN. Leider wurden Fähigkeiten, die damals existierten, später im Zeichen der „Friedensdividende“ zurückgefahren. Wir werden daran arbeiten, diese Fähigkeiten wieder verstärkt in den Blick und insbesondere in die Ausbildung zu nehmen. Und zwar nicht nur bei der Grundausbildung, sondern auch bei der Fachausbildung bis hin zu einer spezialisierten Ausbildung für Atemschutzgeräteträgerinnen und -träger. Dazu kommen die Fähigkeiten zu Notinstandsetzung, Notversorgung. Diese haben wir jetzt wieder in unserem Rahmenkonzept in den Fokus genommen haben. Neue Einheiten werden dafür neu konfiguriert, die wir sukzessive ausstatten.
CP: Stichwort Resilienz: Viele meinen, dass Deutschland da nicht gut aufgestellt ist, was die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Gesamtbevölkerung anbelangt. Wie würden Sie das beurteilen?
GF: Ich meine, dass es zwar kleine Verbesserungen gibt, aber insgesamt ist die Fähigkeit bei den meisten zum Selbstschutz zu schwach ausgeprägt. In der Öffentlichkeit wird noch lange nicht genug informiert. Das Thema ist jetzt vielleicht ein wenig besser platziert, als es noch vor etlichen Jahren der Fall war.
CP: Sind Sie zufrieden mit der Unterstützung des THW durch die Politik?
GF: Das THW hat seit dem Jahr 2015 durch Unterstützung des Bundesministeriums des Innern, den Bundestag und seine Beschlüsse mehr Zuwendung an finanziellen Mitteln erfahren z.B. durch die Auflegung eines Bauprogrammes. Ganz wichtig ist für die Motivation der Helferinnen und Helfer, dass man ein vernünftiges THW-Heim hat, wo man ausgebildet wird oder sich auf Einsätze vorbereitet. Ebenso haben wir ein Investitionsprogramm für die Erneuerung unserer Fahrzeugausstattung über fünf Jahre bekommen, was sich gerade jetzt entfaltet. Die Beschaffungsrate bei Einsatzfahrzeugen hat sich etwa verdoppelt. Und das wird sich in diesem Jahr und im nächsten Jahr entsprechend fortsetzen, sodass wir wirklich erhebliche Fortschritte machen. Ich denke, wir sind besser finanziert und haben auch für Werbemaßnahmen neue Gelder zur Verfügung, die allerdings noch verstetigt werden müssen. Ich kann zu Ihrer Frage nur sagen, unterm Strich steht das THW heute so gut da wie noch nie.
CP: Das hört sich sehr positiv an. Wie ist es um die Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Organisationen bestellt?
GF: Bei der Zusammenarbeit mit den Kräften, die für uns als Partner primär sind wie Feuerwehren, Polizei oder Hilfsorganisationen, sind wir tatsächlich auf einem guten Weg. Gleiches gilt für die Kommunen, die ja Träger der örtlichen Gefahrenabwehr sind, und die für den Katastrophenschutz zuständigen Bundesländer. Nachholbedarf gibt es aber auch noch vor allem was Klarheit in bestimmten Einsatzbereichen angeht. Ich denke da z. B. an Fragen wie „Synchronisiert sich ein Bundesland mit angrenzenden Ländern?“ oder bei einem flächendeckenden Stromausfall „Wer koordiniert die Einsatzkräfte der Bundesländer übergreifend?“. Ab einem bestimmten Krisenausmaß kann nicht mehr jedes Bundesland für sich allein arbeiten. Ich glaube, bei der übergreifenden Steuerung ist noch Arbeit zu leisten.
Selbstverständlich ist die Einbindung in die örtliche Gefahrenabwehr hier und da noch zu verbessern. Aber auch hier kann man konstatieren, dass sich die Situation, verglichen mit zehn oder 20 Jahren zuvor, stark verbessert hat. Das A und O für das THW und für unsere Einsatzkräfte sind die Einsätze, die tagtäglich stattfinden. Unsere Leute wollen mitmachen, wollen eingebunden werden. Sie wollen nicht in Diskussionen verstrickt werden, sondern helfen. Für die Helferinnen und Helfer ist die größte Belohnung, nach einem Einsatz Dankbarkeit zu erfahren. Das ist die primäre Motivation.
CP: Wir haben jetzt sehr viel über den Inlandsbereich gesprochen und möchten nun einen Blick auf Auslandseinsätze werfen. Mit welchen Ländern gibt es eine intensive Zusammenarbeit?
GF: Das sind vorrangig unsere Anrainerstaaten. Das THW kann unmittelbar angefordert werden und man arbeitet auf örtlicher Ebene ausgezeichnet zusammen. Wir können diese Einschätzung heute auf die gesamte EU ausweiten. Auch weltweit besteht über die UN-Organisationen ein großes Netzwerk – die International Search and Rescue Advisory Group (INSARAG). Da haben sich die Nationen zusammengeschlossen, die nach einheitlichem Verfahrensstandard und Ausstattung Schnelleinsatzeinheiten aufstellen. Die Fähigkeiten der beteiligten Nationen haben in den vergangenen Jahren signifikant zugenommen, so dass wir bei Katastrophen auf anderen Kontinenten nicht mehr so stark wie früher gefordert sind.
CP: Albrecht Broemme pflegte zu sagen, dass er für den Katastrophenfall Pumpernickel, Dosenfleisch, Wein und Whisky in seinem Notvorrat habe. Was horten Sie denn für den Fall der Fälle?
GF: Statt Dosennahrung bevorzuge ich Eingekochtes, die guten alten Weckgläser. Mich persönlich beruhigen außerdem ein kleines Notstromaggregat und eine kleine Outdoor-Trinkwasseraufbereitungsanlage, die ich zuhause habe. Und da ich am Rhein wohne, habe ich immer genügend Wasser zum Aufbereiten zur Verfügung.
CP: Wir danken Ihnen für das Gespräch
Crisis Prevention 1/2020
Interview: Heinz Neumann, Heike Lange