Vorbereitungsgrad der öffentlichen Verwaltung

Wer hilft, wenn nichts mehr geht?

Sebastian Leib, Guido Plischek

Pixabay/jbarsky0

Die Rolle der öffentlichen Verwaltungen in der deutschen Sicherheitsarchitektur steht selten im Fokus der Betrachtung. Den Verantwortlichen aus dem Innern der öffentlichen Verwaltungen ist diese Aufgabe jedoch durchaus bewusst: Zumindest die entsprechenden Fachbehörden verstehen ihre Arbeitsstätten als Kritische Infrastruktur (KRITIS), die es zu schützen gilt. Auch wenn das grundsätzliche Bewusstsein der Verantwortlichen somit vorhanden ist, wird selten die Abhängigkeit von anderen Kritischen Infrastrukturen in den Blick genommen. Insbesondere die Versorgung des Personals stellt sich hier als entscheidender Faktor für die Leistungsfähigkeit öffentlicher Verwaltungen heraus. Dabei sind die Trinkwasser- und Nahrungsmittelversorgung sowie andere soziale Bedürfnisse der Mitarbeitenden in den Blick zu nehmen. Aufbauend auf den Rahmenbedingungen und der Relevanz der öffentlichen Verwaltungen bei Ausfällen Kritischer Infrastrukturen (wir berichteten in CP 4/2019) stellt dieser Artikel Forschungsergebnisse zum Vorbereitungsgrad der öffentlichen Verwaltungen auf Ausfälle der Kritischen Infrastrukturen dar, die im Rahmen einer Abschlussarbeit erhoben wurden 

Umfrageergebnisse Themenbereich Trinkwasser.
Umfrageergebnisse Themenbereich Trinkwasser.
Quelle: Leib/Plischek

In diesen Tagen findet das Coronavirus eine breite Berücksichtigung in der medialen Berichterstattung. In nahezu allen Veröffentlichungen wird dabei direkt oder indirekt der Bezug zu staatlichen Stellen hergestellt: Gesundheitsämter, das Auswärtige Amt, Ministerien oder Politiker sind offenkundig relevante Akteure in der Reaktion auf das neuartige Virus. Diese zentrale staatliche Rolle ist jedoch nicht auf Epidemien, Pandemien oder andere gesundheitliche Ereignisse zu begrenzen, sondern zeigt den generellen Aufbau zur Bewältigung bedeutender Schadensereignisse auf. Auch bei Ausfällen Kritischer Infrastrukturen nimmt der Staat eine zentrale Rolle für die Bewältigung der damit einhergehenden Versorgungsmangellage ein. Im Aufbau einer Ersatzversorgung, bei der Wiederherstellung der ursprünglichen Versorgungswege und im Wiederaufbau der mittelbar betroffenen Strukturen koordiniert er dabei behörden- und organisationsübergreifend alle vorhandenen Ressourcen und setzt sie möglichst effizient ein.

Doch wie bereiten sich öffentliche Verwaltungen selbst auf Ausfälle anderer Kritischer Infrastrukturen vor? Werden Vorräte angelegt oder Redundanzen für die Versorgung geschaffen? Welcher Zeitraum und welche Detailtiefe werden den Planungen zugrunde gelegt? Diese und weitere Fragen wurden Anfang 2019 im Rahmen einer Abschlussarbeit untersucht. Ein Auszug der Ergebnisse wird im Folgenden dargestellt.

Betrachtete Problemstellungen beim Ausfall von KRITIS

Die in diesem Artikel dargestellten Ergebnisse sind Teil der Abschlussarbeit „Vorbereitungsgrad der öffentlichen Verwaltung hinsichtlich eines Ausfalls oder einer Beeinträchtigung Kritischer Infrastrukturen im Regierungsbezirk Stuttgart“ im Studiengang Rettungsingenieurwesen an der TH Köln von Sebastian Leib (2019). Die vollständige Arbeit inklusive der Umfrageergebnisse ist unter https://kurzelinks.de/ut83 veröffentlicht.

Das Personal als entscheidende Ressource für die Resilienz.
Das Personal als entscheidende Ressource für die Resilienz.
Quelle: Leib/Plischek

Betrachtete Problemstellungen beim Ausfall von KRITIS

Oftmals stehen die mit einem Ausfall Kritischer Infrastrukturen einhergehenden technischen Problemstellungen im Blickfeld der Betrachtung: Wird beispielsweise das Szenario Stromausfall betrachtet, wird über die Anschaffung einer Netzersatzanlage diskutiert? Wird der Ausfall des Internets in den Blick genommen, werden Einsatzpläne und Personallisten als Redundanz ausgedruckt? Viel elementarer für den Betrieb einer öffentlichen Verwaltung zeigt sich jedoch die Kernressource des Staats: das Personal. Ohne entsprechendes Personal sind funktionsfähige Arbeitsplätze, Einsatzpläne und Kommunikationseinrichtungen wirkungslos für die Bewältigung einer Schadenslage.

Selten wird jedoch im Vorfeld eines Ereignisses betrachtet, dass das Personal für die Diensterfüllung zu alarmieren, zu versorgen und zu schützen ist. Die Versorgung mit Trinkwasser und Nahrung sowie die Erfüllung der grundsätzlichen sozialen Bedürfnisse nach Hygiene, Schutz und Ruhe stehen im Fokus der Umfrage, die im Rahmen der Abschlussarbeit durchgeführt wurde. Die Umfrage wurde in einem der vier Regierungsbezirke Baden-Württembergs durchgeführt. Es beteiligten sich 48 der 272 befragten Landkreise, Städte und Gemeinden (17,6%).

Vorbereitungsgrad der öffentlichen ­Verwaltung – Umfrageergebnisse

Die ständige Verfügbarkeit von Trinkwasser ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Wir brauchen es zum Zähneputzen, Duschen oder Wäschewaschen, aber eben auch im beruflichen Umfeld für die Toilettenspülung oder zum Händewaschen. Am wichtigsten jedoch: zum Trinken. Nach wenigen Stunden ohne Wasserkonsum treten erste körperliche Reaktionen auf, und bereits nach wenigen Tagen ohne Wasser kann der Tod eintreten.

Wenngleich die Trinkwasserversorgung des Personals somit grundlegend für den Betrieb einer öffentlichen Verwaltung ist, gab nicht einmal jede fünfte Einrichtung (17,4%) an, Planungen im Bereich der Trinkwasserversorgung vorzuhalten. Mehr als doppelt so viele Einrichtungen (41,3%) halten zwar Vorräte vor, geben aber zugleich an, dass diese nur in geringem Ausmaß vorhanden seien und nicht für die Aufrechterhaltung des Betriebs ausreichten. Auch Notbrunnen als redundante Versorgungswege sind nur in wenigen befragten Einrichtungen (19,6%) für die Verwaltungen zugänglich. Rahmenverträge zur Versorgungssicherstellung sind nur bei rund jeder zwanzigsten Einrichtung (6,5%) vorhanden. Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die Entwicklung von Versorgungsalternativen für den Ausfall der regulären Wasserversorgung in Gemeinden, Städten und Landkreisen nur selten Beachtung findet.

Ähnlich verhält es sich mit den Versorgungsmöglichkeiten für das zweitdringlichste menschliche Bedürfnis: den Nahrungsmitteln. In diesem Bereich gibt nur knapp jede zehnte Einrichtung (8,9%) an, Planungen vorzuhalten. Nur knapp jede zwanzigste (4,4%) hält Lebensmittel für die Versorgung des eigenen Personals vor. Rahmenverträge mit Unternehmen zur Sicherstellung der Versorgung sind in dem Bereich ausnahmslos nicht vorhanden (0,0%). Obwohl die Nahrungsmittelversorgung des Personals für den Betrieb der Einrichtung grundlegend ist und zugleich einen wichtigen Faktor für die Leistungsfähigkeit der Belegschaft darstellt, wird die Thematik in fast keiner Einrichtung berücksichtigt.

Wenngleich die Ergebnisse nur aus einem Teil Deutschlands stammen, zeigen sich die Antworten unabhängig von der Größe der jeweiligen Zuständigkeitsbereiche sowie der ländlichen oder urbanen Ausprägung. Die grundsätzliche Übertragbarkeit auf andere Regionen Deutschlands ist daher anzunehmen.

Umfrageergebnisse Themenbereich Nahrungsmittel.
Umfrageergebnisse Themenbereich Nahrungsmittel.
Quelle: Leib/Plischek

Wo stehen wir?

Betrachten wir Ereignisse wie die Verfärbung des Leitungswassers in Dossenheim und Heidelberg (Baden-Württemberg, 7. Februar 2019) oder den Stromausfall in Köpenick (Berlin, 19. Februar 2019) wird deutlich, dass auch und gerade die Versorgung des behördeneigenen Personals von Infrastrukturausfällen betroffen sein kann. Bei Versorgungsausfällen ist mit einem schnellen Ausverkauf der knappen Ressourcen zu rechnen. Zu sehen war dies beispielsweise bei der Verfärbung des Trinkwassers in Heidelberg, wo es innerhalb kurzer Zeit zu einem Versorgungsengpass von abgepacktem Trinkwasser im Stadtgebiet kam. Derartige Mangellagen stellen neben der Bevölkerung auch Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben vor die Herausforderung, den Nachschub für die Einsatzkräfteversorgung anders als im Alltag zu organisieren.

Die Vorplanungen für Ausfälle Kritischer Infrastrukturen sind gerade in Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben notwendig, um die Einsatzbereitschaft auch bei großflächigen Schadenslagen durch Infrastrukturausfälle sicherzustellen und keine einsatzkritischen Ressourcen für die Organisation und Zuführung von Nachschub zu binden. Erschwerend ist zu betrachten, ob die Zuführung abhängig vom Schadensereignis überhaupt auf anderen Wegen erfolgen kann. Von der Stromversorgung sind beispielsweise alle Wasserversorger abhängig und der großflächige, netzübergreifende Ausfall der Wasserversorgung ist mit den vorhandenen Strukturen kaum zu kompensieren.

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass die Versorgung des Personals als die wichtigste Ressource der öffentlichen Verwaltung bei Planungen für Ausfälle Kritischer Infrastrukturen nur wenig Beachtung findet. Hierbei sind insbesondere die Trinkwasser- und Nahrungsmittelversorgung für das eigene Personal und deren engster Angehöriger von zentraler Bedeutung. Nur wenn das Personal sicher sein kann, dass auch deren engste Angehörige versorgt sind, wird es auch zum Dienst in den Verwaltungen anwesend sein und die Planungen umsetzen können.

Auch wenn zahlreiche Empfehlungen und Handreichungen selbst für die Bevölkerung einen zehntägigen Notvorrat empfehlen, wird die Thematik der Personalversorgung in den zuständigen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben nur selten bearbeitet. Dies ist zum einen auf die Vielzahl der zu bearbeitenden Themenfelder und den dafür eng gefassten Personalschlüssel zurückzuführen. Zum anderen sind im Bereich der öffentlichen Verwaltungen keine konkreten Schutzziele oder Vorgaben für diese Themen formuliert, die eine Bearbeitung gesetzlich rechtfertigen und einen Sollwert definieren. Hier stehen die Gesetzgeber in der Pflicht, allgemeine Aufrufe zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit von öffentlichen Verwaltungen mit entsprechenden Zielvorgaben zu untermauern und damit die einheitliche Bearbeitung zuzulassen. Bis zur Formulierung dieses einheitlichen Rahmens sind die politisch Verantwortlichen in der Pflicht, der Thematik die nötige Relevanz beizumessen, Zielvorgaben für ihren Zuständigkeitsbereich festzulegen sowie die dafür benötigten (Personal-) Mittel bereitzustellen.

Gesamtzusammenhang

2005 veröffentlichte das Bundesministerium des Innern das Konzept „Schutz Kritischer Infrastrukturen – Basisschutzkonzept“, auf das viele weitere Handreichungen, Leitfäden und andere Veröffentlichungen folgten. Knapp fünfzehn Jahre später sind deutliche Fortschritte im Bereich der Resilienz zu verzeichnen: Der Dialog mit Unternehmen zum besseren Schutz der Versorgungsleistungen kommt Berichten nach voran, es gibt erste gesetzliche Auflagen an die IT-Sicherheit von Betreibern Kritischer Infrastrukturen und mit der Konzeption Zivile Verteidigung samt zugehörigen Konzepten wird der Themenbereich der Kritischen Infrastrukturen zu einer gesamtgesellschaftlichen und verteidigungsrelevanten Aufgabe gehoben. 

Erstaunlich an den Entwicklungen ist, dass der Staat sich selbst dabei vergessen zu haben scheint. Während an Unternehmen immer höhere Anforderungen für die Krisensicherheit und steigende Resilienz gestellt werden, sind für staatliche Akteure trotz ihrer Rolle als Garant für die gesamtgesellschaftliche Sicherheit und Wiederherstellung nach einem Schadenseintritt weitestgehend keine Vorgaben definiert. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass der Vorbereitungsgrad für Schadenslagen durch Ausfälle Kritischer Infrastrukturen in den bevölkerungsnahen Ebenen der öffentlichen Verwaltung zwar durchmischt, aber grundsätzlich niedrig anzunehmen ist. Eben jenen Ebenen obliegen jedoch viele der Aufgaben, die für die Bewältigung einer Schadenslage durch Versorgungsausfälle notwendig werden. 

Aufbauend auf dem letzten und diesem Artikel werden in CP 3/20 mögliche Ansatzpunkte für Vorbereitungen der öffentlichen Verwaltung gegenüber Ausfällen Kritischer Infrastrukturen dargestellt.


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