Wer hilft, wenn nichts mehr geht?

Ansatzpunkte für die Optimierung der staatlichen Krisenvorsorge

Sebastian Leib, Guido Plischek

Leib/Plischek

Versorgungsmangellagen, die durch Ausfälle Kritischer Infrastrukturen entstehen, haben gravierende Auswirkungen auf die Gesellschaft, aber auch auf jeden Einzelnen. Um eine Bewältigung zu ermöglichen, werden kurzfristige Ersatzversorgungen benötigt, um die Reaktionsfähigkeit der Krisenstrukturen aufrechtzuerhalten. Eine zentrale Säule der Krisenstrukturen stellen öffentliche Verwaltungen dar, in denen die Kräfte und Mittel gebündelt und zielgerichtet für die Bewältigung der Mangellage eingesetzt werden.

Doch sind öffentliche Verwaltungen selbst in der Lage ihre Funktionsfähigkeit bei einem Ausfall Kritischer Infrastrukturen aufrechtzuerhalten? Und wenn ja, wie lange ist dies möglich? Dieser Artikel baut auf den Rahmenbedingungen und der Relevanz der öffentlichen Verwaltungen bei Ausfällen Kritischer Infrastrukturen (CP 4/2019) sowie den Ergebnissen einer Abschlussarbeit zum Vorbereitungsgrad der öffentlichen Verwaltungen (CP 2/2020) auf. Im Folgenden werden Ansatzpunkte zur Erhöhung der Resilienz staatlicher Einrichtungen gegenüber Ausfällen von Versorgungsleistungen dargestellt und diskutiert.

Die derzeitige Pandemie durch das Virus SARS-CoV-2 stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Vorher Ungeahntes wird ermöglicht und toleriert. Das gesellschaftliche Leben wird durch die Einschränkung zahlreicher Grundrechte weitgehend pausiert, Staat und Wirtschaft arbeiten in Krisenmodi und die Digitalisierung schreitet innerhalb weniger Wochen schneller voran als in den vergangenen Jahren. Während die Etablierung dieser Maßnahmen ein schleichender Prozess über mehrere Wochen war und ist, gibt es auch Ereignisse, bei denen ein deutlich schnellerer Anlauf derartiger Strukturen vonnöten wäre: allen voran der Ausfall Kritischer Infrastrukturen. Stromausfälle, ausbleibende Wasserversorgung, langanhaltende Störungen des Datenverkehrs oder andere großflächige und langanhaltende Ereignisse stellen die staatliche Sicherheitsarchitektur und mit ihr die gesamte Gesellschaft vor manigfaltige Herausforderungen.

Die in Corona-Zeiten gewonnene Akzeptanz der Notwendigkeit von Vorbereitungsmaßnahmen für derartig große und langfristige Schadensereignisse ist auch im Bereich Kritischer Infrastrukturen weiterzudenken und anzuwenden. Nur so ist es möglich, das Sicherheitsniveau langfristig zu erhöhen und die Existenzen der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Dabei ist insbesondere die Kernressource Personal und dessen Versorgung in den Blick zu nehmen. In der Pandemie hat sich gezeigt, dass selbst der Ausfall weniger Mitarbeitender zu erheblichen Problemen für die Aufrechterhaltung kritischer Prozesse führen kann. Insbesondere gilt dies für Mitarbeitende in Schlüsselpositionen oder in Bereichen, in denen nur geringe personelle Redundanzen verfügbar sind. Während der vergangenen Monate wurden besonders viele Betreiber von Pflegeeinrichtungen durch einzelne Infektionen mit SARS-CoV-2 in den Reihen des Personals vor enorme Herausforderungen gestellt. Gleiches ist jedoch auch in anderen Bereichen von Kritischen Infrastrukturen zu erwarten.

Grafik zu Erhöhung der Vorhaltungen
Größere Vorhaltungen führen zu einem längeren Durchhalten beim
Ausfall der Versorgung.
Quelle: Leib/Plischek

Drei Möglichkeiten des Herangehens bei Versorgungsengpässen

Um eine unterbrechungsfreie Versorgung des Personals bei einem Ausfall Kritischer Infrastrukturen sicherzustellen, bieten sich grundlegend drei verschiedene Bearbeitungsmöglichkeiten an, die jeweils verschiedene Vor- und Nachteile mit sich bringen.

  1. Die offensichtlichste Möglichkeit zur Erlangung der Unabhängigkeit gegenüber Ausfällen Kritischer Infrastrukturen ist die Erhöhung der Vorhaltungen. Dazu gehört das Anlegen von Vorräten für die Personalversorgung, wie zum Beispiel Trinkwasser, Nahrungsmittel oder Feldbetten und mobile Heizgeräte für die benötigte Ruhe. Das Ziel dieses Herangehens ist die Verlängerung des Versorgungsintervalls um die Zeit, für die die Vorräte ausgelegt sind. Der Vorteil dieser Bearbeitung liegt im direkten Zugriff auf die Ressourcen und damit einhergehend in der gesicherten Verfügbarkeit im Bedarfsfall. Demgegenüber stehen die Investitions-, Lager- und Umwälzkosten.
  2. Eine zweite Möglichkeit stellt die Optimierung der eigenen Planungen dar. Durch eine effizientere Gestaltung der bei einem Versorgungsausfall aufrechtzuerhaltenden Prozesse sind diese mit weniger Personal umsetzbar und die vorhandenen Vorhaltungen reichen für einen längeren Zeitraum aus. So ist beispielsweise in nahezu jeder Einrichtung ein kleines Getränkelager vorhanden. Wird dies für den gesamten Personalkörper genutzt, reicht es für einen deutlich kürzeren Zeitraum aus, als wenn lediglich ein Krisenstab darauf zurückgreift. Der Vorteil dieses Herangehens liegt darin, dass keine oder nur geringe Investitionen notwendig sind. Demgegenüber steht, dass die im Alltag bewährten Strukturen damit nicht aufrechtzuerhalten sind und das Personal für die vielfältigeren Tätigkeiten zusätzlich zu qualifizieren ist.
  3. Eine dritte Variante wird durch den Abschluss von Rahmenverträgen mit externen staatlichen oder privaten Akteuren dargestellt, die in Mangellagen die Versorgung zusichern. Beispielsweise erhöhen Getränkehändler ihren Warenbestand, um im Falle einer Mangellage ein zugesichertes Kontingent an Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben zu liefern. Positiv an diesem Vorgehen ist, dass die bei Fachhändlern vorhandene Infrastruktur und Expertise genutzt wird. Ein Getränkehändler ist beispielsweise besser in der Lage, große Lagermengen umzuwälzen, als dies in Verwaltungen möglich ist. Der Nachteil dieses Vorgehens liegt im mangelnden direkten Zugriff auf die Waren. Steigt der Marktpreis durch eine Mangellage erheblich an, ist fraglich, ob der Vertragsbruch für das privatwirtschaftliche Unternehmen nicht lukrativer ist als der nicht wahrgenommene Gewinn durch die gestiegenen Preise.

Die drei dargestellten Varianten zur Erhöhung des Vorbereitungsgrads weisen jeweils eigene Vor- und Nachteile auf, sodass keine der Möglichkeiten alleinstehend eine Versorgung sicherstellen kann. Für eine effiziente Bearbeitung sind diese abhängig von der betrachteten Versorgungsleistung zu bewerten und zu kombinieren. Für die Treibstoffversorgung der Netzersatzanlage sollte beispielsweise für die ersten Tage und Wochen eines Ausfalls ein Vorrat direkt zur Verfügung stehen (vgl. 1). Dieser ist so zu bemessen, dass die notwendigen Prozesse innerhalb der Einrichtung aufrechtzuerhalten sind (vgl. 2). Die mittel- und langfristige Versorgung ist durch eigene Vorhaltungen kaum abzudecken, sodass hier Rahmenverträge eine sinnvolle Ergänzung darstellen (vgl. 3).

Grafik zur Optimierung der Planungen
Durch optimierte Planungen reichen die vorhandenen Vorräte länger aus.
Quelle: Leib/Plischek

Blick über den Tellerrand

Zugleich lohnt sich auch der Blick über den Tellerrand üblicher Versorgungswege hinaus. Insbesondere für militärische Anwendungen, aber auch für Freizeitaktivitäten außerhalb urbaner Regionen und damit einhergehender Versorgung durch Infrastrukturen wurde eine Vielzahl von Produkten entwickelt, um die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern anderweitig zu sichern. Im Bereich des Trinkwassers sind mobile Wasseraufbereitungsanlagen verfügbar. Mit ihnen können kleine bis große Mengen an Trinkwasser aufbereitet werden, die auch für den Konsum oder die Hygiene geeignet sind. Einzige Voraussetzung hierfür ist der grundsätzliche Zugang zu Wasser – nahezu unabhängig von dessen Qualität. Die Dimensionen und einhergehenden Kosten reichen von mobilen Trekkinglösungen im Trinkflaschenformat bis hin zu Abrollbehältern oder LKWs mit Spezialaufbauten. Für jedes Budget und jeden Bedarf ist somit eine Lösung zu finden, die eine Ersatzversorgung sicherstellt. Die verwendete Filtertechnik stellt bei der richtigen Auswahl unabhängig von der Größe der Anlage die zuverlässige Entfernung von Schadstoffen sicher, sodass das Wasser zumindest für eine begrenzte Zeit ohne die Gefahr einer Erkrankung konsumierbar ist.

Auch für andere benötigte Güter sind derartige Lösungen zu finden, die im kleinen Maßstab von den bekannten Versorgungswegen unabhängig machen. Für elektrischen Strom gibt es eine Vielzahl an Photovoltaik- oder Brennstoffzellen für den Campingbereich. Für Nahrungsmittel sind gefriergetrocknete oder langzeitkonservierte Trekkinglösungen zu finden. Und auch für Sanitäranlagen, Schlaf- oder Heizmöglichkeiten sowie sonstige Bedürfnisse ist eine Vielzahl von Anbietern auf dem Markt verfügbar, deren Produkte auch für die Krisensicherheit nutzbar sind. Unabhängig von der Größe und den finanziellen Möglichkeiten einer Einrichtung sind so für nahezu jeden Bedarf Möglichkeiten zu finden, um eine bessere Krisensicherheit zu erreichen.

Grafik zum Abschluss von Rahmenverträgen
Rahmenverträge sichern die Versorgung durch einen zweiten Versorgungsweg,
der im Krisenfall aktiviert wird.
Quelle: Leib/Plischek

Blick in die Vergangenheit

Bis in die Neunzigerjahre hinein wurde eine erhöhte Gefährdung für das Bestehen Deutschlands angenommen. Dies ging einher mit einem höheren Vorbereitungsgrad in öffentlichen Verwaltungen, als wir ihn heute vorfinden und wurde unter dem Begriff des „Behördenselbstschutzes“ zusammengefasst. Wenngleich sich die Situation heute völlig anders darstellt als vor fast dreißig Jahren, existieren an vielen Stellen noch bauliche Maßnahmen oder strukturelle Vorbereitungen aus dieser Zeit. Davon kann heute profitiert werden: Netzersatzanlagen, Ausweichsitze oder vorgeplante Anlaufstellen für die Bevölkerung entsprechen zwar sehr wahrscheinlich nicht mehr den heutigen Anforderungen, sind aber unter Umständen mit vergleichsweise geringem Aufwand an aktuelle Bedürfnisse anzugleichen. Gerade der Blick auf Ausfälle Kritischer Infrastrukturen bringt auch eine neue Relevanz für amtliche Bevorrechtigungsscheine oder Essensmarken auf. Die Informationssammlung zu damaligen Vorbereitungen, deren Bewertung und gegebenenfalls deren Aktualisierung auf den heutigen Stand kann somit ein wichtiger Schritt in Richtung eines zeitgemäßen Vorbereitungsgrads der öffentlichen Verwaltungen sein.

Fazit

Der in den öffentlichen Verwaltungen derzeit vorhandene Vorbereitungsgrad gegenüber Ausfällen Kritischer Infrastrukturen ist als gering anzunehmen (vgl. Artikel in CP 2/2020). Demgegenüber steht die wachsende Abhängigkeit von den Versorgungsleistung­en durch Kritische Infrastrukturen, deren Ausfall in kurzer Zeit existenzbedrohend für große Teile der Bevölkerung werden kann.

Um den Themenbereich der Kritischen Infrastrukturen in öffentlichen Verwaltungen zielgerichtet anzugehen, bedarf es der klaren Aufgabendefinition für die verschiedenen Verwaltungsebenen. Beispielsweise ist es aufgrund der Netzgröße sehr ambitioniert, den Bereich der Telekommunikation auf kommunaler Ebene zu bearbeiten. Eine sinnvolle Bearbeitung ist nur auf Landes- oder besser Bundesebene zu gewährleisten. Die Versorgung mit Leitungswasser wird hingegen auch im Alltag über viele dezentrale und zumeist kommunale Versorgungsnetze dargestellt, sodass auch die Sicherstellung der Versorgung nur auf kommunaler Ebene erfolgen kann. Die Bearbeitung ist somit spezifisch an die Infrastrukturen und deren Dependenzen anzupassen.

Dafür wird eine einheitliche Definition eines anzustrebenden Schutzniveaus benötigt. Ist es für Verwaltungen auf Kommunal­ebene ausreichend, ihre Funktionsfähigkeit für 24 Stunden sicherzustellen oder ist dies nicht eher für beispielsweise sieben Tage zu gewährleisten? Diese Fragestellung hat maßgeblichen Einfluss auf den dafür benötigten Personal- und Kostenansatz. Auch sinkt die Wirksamkeit von Vorsorgemaßnahmen deutlich, wenn sie in jeder Gemeinde anders dimensioniert sind, da die Bevölkerung bei einem Ausfall wenig Rücksicht auf Verwaltungsgrenzen nehmen wird. Das Schutzniveau ist daher möglichst großflächig und einheitlich festzulegen. Dafür ist die Fragestellung „Wieviel Sicherheit wollen wir uns leisten?“ gesamtgesellschaftlich zu diskutieren und zu einem Ergebnis zu führen.

Das Führen dieser Diskussion und auch die Erarbeitung vieler anderer Fragestellungen aus dem Bereich braucht dabei eine ehrliche und offene Risikokommunikation. Es ist zeichnend, dass seit vielen Jahren das sinkende Risikobewusstsein in der Bevölkerung bemängelt wird, aber immer noch kein Weg gefunden wurde, um die vorherrschende „Wohlfühlzone“ zu durchbrechen. Der Schritt in die Öffentlichkeit ist dabei vermutlich der Entscheidendste: Auch wenn alle privatwirtschaftlichen Akteure sowie die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ihre Krisenstrukturen auf Ausfälle Kritischer Infrastrukturen hin ausrichten, wird eine umfassende Vorsorge für die Bevölkerung kaum möglich sein. Die Verantwortung für die Krisenvorsorge im individuellen, familiären und unmittelbaren sozialen Umfeld liegt auf den Schultern aller Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen. Dies auch entsprechend zu kommunizieren und anzuleiten ist Aufgabe des Staates und insbesondere der Politik. Wer nicht weiß, dass und wie er sich vorbereiten soll, kann dies auch nicht tun.

Ohne klare Verantwortungsteilung der Verwaltungsebenen, ein einheitliches Schutzniveau sowie eine offene Risikokommunikation in der Bevölkerung ist eine zielorientierte Bearbeitung des Themenkomplexes Kritische Infrastrukturen kaum möglich. Zugleich ist der Blick auch ins Positive zu lenken: SARS-CoV-2 hat uns wachgerüttelt und aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Nun gilt es, diesen Schwung mitzunehmen und die Krisensicherheit weiter zu erhöhen. Insbesondere im Bereich der Kritischen In­­frastrukturen ist die Bearbeitung auf allen Ebenen anzugehen, denn jede Vorbereitung ist besser als keine Vorbereitung.


Dies ist der dritte Artikel einer Serie zur Resilienz öffentlicher Verwaltungen gegenüber Ausfällen Kritischer Infra­strukturen. Die Artikelserie basiert auf den Ergebnissen der Abschlussarbeit „Vorbereitungsgrad der öffentlichen Verwaltung hinsichtlich eines Ausfalls oder einer Beeinträchtigung Kritischer Infrastrukturen im Regierungsbezirk Stuttgart“ im Studiengang Rettungsingenieurwesen an der TH Köln von Sebastian Leib (2019). Die vollständige Arbeit sowie die zugrundeliegenden Umfrageergebnisse zum Vorbereitungsgrad in öffentlichen Verwaltungen ist unter https://kurzelinks.de/ut83 veröffentlicht.


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