09.05.2022 •

Die Mobile Medizinische Versorgungseinheit des Deutschen Roten Kreuzes

Günter Esser

Jan Klaassen

Arztpraxis auf Rädern – so lässt sich die Mobile Medizinische Versorgungseinheit (MMVe), eine vom Deutschen Roten Kreuz e. V. (DRK) entworfene mobile Einrichtung zur ärztlichen Versorgung, kurz und knapp umschreiben. In den vergangenen Jahren kamen die MMVe bereits in zahlreichen unterschiedlichen Situationen zum Einsatz.

Von der Idee zum Konzept

Bereits vor fünf Jahren, im Zuge der Flüchtlingsnothilfe, wurde offenbar, dass unser Gesundheitssystem eine derartige punktuelle Überbelastung nicht tragen kann. Seinerzeit kam es zu einer überdurchschnittlich großen Auslastung der Arztpraxen in den Städten und Gemeinden, in denen besonders viele Schutzsuchende aufgenommen wurden. Durch das Schadensereignis Überschwemmung im bayerischen Simbach im Juni 2016 wurde deutlich, dass auch Natur- und Umweltkatastrophen die lokale medizinische Grundversorgung erheblich beeinträchtigen können. Durch die Überflutung von Arztpraxen und Apotheken war die hausärztliche Versorgung der Bürgerinnen und Bürger über einen längeren Zeitraum nicht mehr gewährleistet.

Eine Evaluation der Ereignisse zeigte auf, dass es dringend eine Redundanz im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz benötigt, um den Ausfall von kritischer Infrastruktur auffangen zu können. Bei der Suche nach einer Lösung sollte auch ein mobiler Ansatz verfolgt werden, damit Hilfen in der gesamten Bundesrepublik zum Einsatz kommen können. Das Deutsche Roten Kreuz e. V. stellte das Konzept einer mobilen Gesundheitsstation bzw. Arztpraxis vor.

Container aus der Zivilschutzreserve des Bundes im Landkreis Ahrweiler
Container aus der Zivilschutzreserve des Bundes im Landkreis Ahrweiler
Quelle: Philipp Köhler / DRK

Sattelauflieger mit Behandlungszimmer

Die Mobile Medizinische Versorgungseinheit des DRK baut auf einem Sattelauflieger mit Kastenkonstruktion auf. Dank leistungsstarker Klimaanlage und Infrarot-Deckenheizung wird eine konstante Innentemperatur von 23 Grad Celsius auch bei Außentemperaturen von minus 20 bis 40 Grad Celsius erreicht. Damit ist ein Einsatz in allen Klimazonen Europas möglich.

Im Inneren gibt es vier verschiedene Arbeitszonen: Empfang- und Patientenregistrierung, Sprechzimmer, Behandlungsraum und Personalaufenthalt. Der Empfangsbereich verfügt über einen EDV-Arbeitsplatz mit einer Büroausstattung für die Patientenregistrierung. So können etwa erste Daten zu Körperlänge, Gewicht, Blutdruck und Temperatur usw. DSGVO-konform erhoben werden. Für die Patientenakte wurde das Patientenverwaltungssystem PATIS entwickelt. Die Akten werden im Server gespeichert und können von allen Arbeitsplätzen abgerufen und bearbeitet werden.

Dem behandelnden ärztlichen Personal steht im Sprechzimmer eine moderne medizinische Ausrüstung zur Verfügung sowie eine Untersuchungsliege, ein Patientenumkleidebereich, ein EDV-Arbeitsplatz sowie ein Medikamentenschrank mit abschließbarem Safe für Betäubungsmittel.

Der Behandlungsraum ist ebenfalls modern und umfassend ausgestattet, etwa mit Dampfsterilisator, Laborgerätschaften, EDV-­Arbeitsplatz sowie Patientenliegen, Medikamentenkühlschrank und -gefrierschrank und zahlreichen Lagermöglichkeiten für medizinisches Verbrauchsmaterial. Untersuchungsleuchten mit Gelenkarm, desinfizierbaren und wechselbaren Griffen sind sowohl im Sprechzimmer als auch im Behandlungsraum vorhanden.

Auch ihre Pausen können die Mitarbeitenden in der mobilen Arztpraxis verbringen: Ein eigener Aufenthaltsbereich ist mit Teeküche, EDV-Schrank, Sitzmöglichkeiten sowie Kühl- und Gefriermöglichkeiten für Lebensmittel ausgestattet.

Zubehör findet im Unterbau des Sattelaufliegers in mehreren Staufächern Platz, beispielsweise Ersatzstromerzeuger, eine Treppenraupe mit Rollstuhl, Sitzgarnituren, Bordwerkzeug, Wasser- und Abwassertanks und diverses Anschlussmaterial für Strom und Wasser.

Autarke Versorgung für den mobilen Feldeinsatz

Eine weitere Besonderheit der mobilen Arztpraxen: Die Versorgung mit Strom, Kommunikation, Trinkwasser und dem Auffangen von Abwasser funktioniert autark. Grund dafür sind die möglichen Einsatzszenarien, etwa bei einer zerstörten kritischen Infrastruktur, der Überlastung des örtlichen Gesundheitswesens oder im mobilen Feldeinsatz.

Für die Stromversorgung steht der Mobilen Medizinischen Versorgungseinheit ein 24-kVA-Ersatzstromerzeuger zur Verfügung. Bei 75 Prozent Leistung und vollem Kraftstofftank von 160 Litern kann die MMVe sich mindestens 72 Stunden selbstständig mit Strom versorgen. Eine externe Einspeisung von Strom ist mittels 400 Volt, 32 Ampere Drehstrom von außen möglich. Um Personal und Patienten zu schützen, verfügt die Praxis über drei Trenntransformatoren sowie drei Isolationsüberwachungen gemäß den aktuellen Vorgaben des Verbandes der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V. (VDE).

Der Trinkwassertank fasst 200 Liter. Abwasser kann in einem 250-Liter-Tank aufgefangen werden. Sowohl Trink- als auch Abwasser können von extern zu- und abgeführt werden. Kommt es zu einer externen Trinkwasserversorgung, durchläuft dieses eine in der MMVe verbaute Trinkwasserfilteranlage, bestehend aus vier Bereichen: Das Wasser durchläuft zunächst den Feinfilter, anschließend den Aktivkohlefilter sowie den UV-Filter. Abschließend durchläuft das Trinkwasser die Pall-Wasserfilter, welche an allen Armaturen der drei Wasserentnahmestellen angebracht sind und im Betrieb alle zwei Wochen gewechselt werden. Die drei Arbeitsplätze sind mit EDV und Telefon ausgestattet. 

Für die zentrale Datenvorhaltung ist ein eigener Server integriert. Die Kommunikation nach extern erfolgt, je nach Verfügbarkeit, über VDSL/ADSL, GSM oder LTE. Für Gebiete mit schwieriger Tele-Infrastruktur verfügt die mobilen Arztpraxen über einen 10 Meter Antennenmast mit Richtfunk-LTE. Die MMVe verfügt über drei zugewiesene Festnetztelefonnummern sowie eine DECT-Telefonanlage mit vier Nebenstellen. Die IT-Infrastruktur wird über den eingebauten Server gesteuert und über LAN bzw. WLAN verteilt. Ein Faxgerät, der zentrale Drucker sowie ein eigener Kartendrucker komplettieren die Ausstattung. Ein Kartenlesegerät erlaubt die Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK).

Innenansicht des MMVe
Innenansicht des MMVe
Quelle: Philipp Köhler / DRK

Moderne Diagnostik dank umfassender Ausrüstung

Dem Ärzteteam kann zur Diagnostik auf eine umfassende medizinische Ausrüstung zurückgreifen, etwa ein Sonographie-Gerät mit Linear- und Konvexschallkopf oder ein 12-Kanal-Elektrokardiogramm mit Klebe- oder Mehrwegelektroden und integrierter Interpretationssoftware. Der Patient erhält auf Wunsch sämtliche Bilder digital oder als Printausgabe. Zusätzlich können ein Ophtalmoskop, Dermatoskop und Otoskop sowie ein Pulsoxymeter, Pupillenleuchte und Blutzuckermessgerät eingesetzt werden.

In einem eigenen Labor können im Einsatzfall auch klinische Proben untersucht werden: Das dafür vorhandene Gerät kann, abhängig vom zu ermittelnden Wert, bis zu 22 Parameter testen. Verarbeitet wird die Probe vollautomatisch anhand einsatzbereiter Reagenzien und automatischem Pipettieren. Ein integrierter Plasmafilter sondert bei Bedarf sicher und schnell die zellulären Bestandteile aus den Blutproben heraus und liefert in zwei bis maximal sieben Minuten die angeforderten Ergebnisse. Der Vorteil: Den Test kann eine einzige Person durchführen, was die Personalsituation im Einsatz deutlich entlastet. Die 22 Parameter können einzeln oder in fertig kombinierten Varianten des Herstellers mit bis zu zwölf Parametern getestet werden.

Desinfektion und Sterilisation

In Krisensituationen kann es durchaus zu einem Engpass von chirurgischen Instrumenten kommen. Dem vorbeugend wird in der Mobilen Medizinischen Versorgungseinheit auf die heute üblichen Einweginstrumente weitgehend verzichtet. Damit werden zudem Lagerfläche und Müllaufkommen im Einsatz reduziert. Eine MMVe verfügt daher über mehrere Sätze von chirurgischen Instrumenten zur Wundversorgung, die einzeln oder in Sterilisationscontainern als Set dampfsterilisiert werden können. Klasse-I-Instrumente nach Medizinproduktegesetz werden mittels beiliegender Verfahrensanweisung und einem mehrstufigen Qualitätsprüfverfahren aufbereitet. Sämtliche für die Desinfektion von Arbeits- und Kontaktflächen benötigten Materialien werden mitgeführt, die Menge deckt einen Bedarf von 14 Einsatztagen.

Eine Aerosoldesinfektion sichert die flächendeckende Desinfektion in allen Funktionsräumen und der Klimaanlage. Diese nutzt Wasserstoffperoxid, welches mittels mobilem Zerstäuber nach Dienstende in der MMVe aufgestellt wird. Mithilfe einer Zeitschalt­uhr beginnt das Gerät selbständig mit der Desinfektion. Nach rund einer Stunde ist der Desinfektionsprozess abgeschlossen, das Personal kann die Räume gefahrfrei betreten.

Von der Entwicklung in den Hochwasser­einsatz

Neben vielen erfolgreichen Einsätzen, etwa als erweiterte Versorgung auf Großveranstaltungen, als mobiles Impfzentrum oder COVID-19-Teststation, hatten die Mobilen Arztpraxen des DRK ihre ersten großen Bewährungsproben im Hochwassereinsatz im Ahrtal in Rheinland-Pfalz im Sommer 2021. Als offenbar wurde, wie hoch die Zahl der Betroffenen ist und das Ausmaß der ­flächendeckenden Zerstörung und das der stark beschädigten und nur noch bedingt einsatzfähigen kritischen Infrastruktur, hat das Deutsche Rote Kreuz seine vier zur Verfügung stehenden mobilen Arztpraxen in den Einsatz gebracht.

Wie ursprünglich im Konzept vorgesehen, konnten die mobilen Arztpraxen direkt in das Schadensgebiet transportiert, aufgebaut und betrieben werden: zwei in Bad Neuenahr-Ahrweiler, eine in Rech (Rheinland-Pfalz) und eine im nordrhein-westfälischen ­Stolberg-Vicht. Aufgrund der dynamischen Lage vor Ort haben einige der Einsatzfahrzeuge ihren Standort mehrfach gewechselt. Dort hat sich das Mobilitätskonzept, das mit einem zügigen Auf- und Abbau punktet, bewährt. Wie im Konzept als These aufgestellt, war am Einsatzort zwar die Infrastruktur von Praxen oder Kliniken zerstört, Personal aber weiterhin einsatzfähig. Die Mobilen Medizinischen Versorgungseinheiten konnten nach der Einweisung schnell an ortskundige Einsatzkräfte bzw. dem Praxis- und Klinik­personal vor Ort übergeben werden. Zum Betrieb war neben drei Kräften im Inneren (ärztliches Personal und zwei medizinische Einsatzkräfte), für alle vier MMVe nur ein Techniker als weiterer Support notwendig.

Durch ihre Unabhängigkeit von Strom und Trinkwasser nahmen die MMVe bis zur Herstellung der Versorgung mit entsprechenden Medien, selbstständig und direkt ihren Betrieb am Standort auf. Dem Lieferengpass an chirurgischen Instrumenten durch eine beeinträchtigte Logistik konnte durch die mitgeführten Mehrweg­instrumente und die Möglichkeit der Dampfsterilisation begegnet werden. Dank der IT-Ausstattung funktionierten nach dem Einrichten des Richtfunks auch Datenübertragung und Telefonie. Insgesamt waren die Mobilen Medizinischen Versorgungseinheiten 278 Tage im Einsatz. Es wurden 2.502 Einsatzstunden absolviert und 11.874 Versorgungen durchgeführt.

Mobilität, Autarkie, Dienstleistung – ein rundes Konzept

Die vom DRK vorgehaltenen mobilen Arztpraxen haben sich einmal mehr bewährt. Die Mobilität, Autarkie, Ausstattung und Dienstleistung rund um das Konzept MMVe wird sowohl von allen in ihnen tätigen Einsatzkräften als auch von Fachbesuchern auf Messen geschätzt und gelobt. Die Anschaffung und das Betreiben weiterer mobiler Arztpraxen und die Verteilung über das gesamte Bundesgebiet muss auch weiterhin fokussiert und gefördert werden. Kritische Ereignisse wie das Hochwasser an der Ahr werden zunehmen und benötigen einen modernen und flexiblen Bevölkerungsschutz.

Auf der InterSchutz 2022 in Hannover haben Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, sich selbst ein Bild von dem Konzept „Mobile Medizinische Versorgungseinheit“ auf dem Stand des Deutschen Roten Kreuzes e. V. zu machen. Gerne laden wir Sie zu einer Erkundungstour ein. 


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