Herausforderungen des Massenanfalls C-kontaminierter verletzter oder erkrankter Betroffener

Jürgen Schreiber

Thomas Plöner, Bremen

Die medizinische Versorgung und das medizinische Management in Einsatzlagen, bei denen Betroffene durch freigesetzte chemische, biologische oder radiologische Agenzien an der Einsatzstelle exponiert werden, (CBRN-Lage) unterliegt besonderen Herausforderungen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass auch zunächst nicht verletzte oder erkrankte Betroffene aufgrund der Exposition mit CBRN-Agenzien Gesundheitsgefährdungen erleiden können und daher in der medizinischen Versorgung zu berücksichtigen sind.

In diesem Artikel werden die Herausforderungen eines Massenanfalls CRN-kontaminierter Verletzter oder erkrankter Betroffener aufgezeigt und Lösungsansätze mit Muster-Handlungsabläufen vorgestellt. Dieses u. a., weil sich biologische MANV-Lagen mit einem Ausbruch einer Infektionskrankheit eher nicht an einer einzelnen Einsatzstelle zeigen und sich im Bearbeitungsverlauf grundsätzlich unterscheiden.

CRN-MANV

Die medizinische Versorgungskette bei einem „CRN-MANV“, unterliegt den besonderen Gefährdungselementen durch die freigesetzten Agenzien innerhalb des Gefahrenbereiches selbst und der Gefahr der Schädigung von nicht betroffenen Bereichen und Personen aufgrund einer Kontaminationsverschleppung aus dem Gefahrenbereich heraus bis hin in die klinischen Behandlungseinrichtungen, wenn nicht besondere Schutzmaßnahmen dieses verhindern. 

Eine der wichtigsten Schutzmaßnahmen ist die besondere Raumordnung an CBRN-Einsatzstellen, wie sie in der Feuerwehr-Dienstvorschrift 500 „Einheiten im ABC-Einsatz“ beschrieben ist. Sie teilt die Einsatzstelle in einen Gefahrenbereich und einem Absperrbereich sowie einen Dekontaminationsplatz ein. 

Es gilt der Ansatz, dass alle Personen, die sich nicht ausreichend gegen die Wirkung der freigesetzten Agenzien geschützt innerhalb des Gefahrenbereiches aufgehalten haben, als Verletzte gelten. 

Es ist von der Einsatzleitung sicherzustellen, dass nur hiergegen ausreichend geschützte Einsatzkräfte den Gefahrenbereich betreten. Daher gelten besondere Anforderungen an den Körperschutz und Atemschutz der hier eingesetzten Kräfte. 

In der Einsatzaufgabe besteht einerseits die Notwendigkeit der schnellstmöglichen Menschenrettung aus dem Gefahrenbereich der CRN-Einsatzstelle, um kontaminierte Betroffene aus der Wirkung der herrschenden Gefahren zu nehmen. Schon hier kann die Durchführung einfacher Lebensrettender Sofortmaßnahmen (LSM) erforderlich werden. 

Andererseits verursacht die Rettung aus dem Gefahrenbereich die Gefahr der Kontaminationsverschleppung auf nachfolgende medizinische Versorgungeinrichtungen, die aber hiervon frei gehalten werden müssen, damit sie funktionsfähig gehalten werden können. Alle Personen und oder Gegenstände, die einmal im Gefahrenbereich waren, müssen am Dekontaminationsplatz so behandelt werden, dass beim Übergang in den Absperrbereich die Gefahr der Kontaminationsverschleppung minimiert ist. 

So lange diese Gefahr besteht, sind medizinische Versorgungsleistungen erheblich eingeschränkt und das Einsatzpersonal ist mit angemessenem Körperschutz und Atemschutz zu schützen. Dies schränkt die Versorgungsmöglichkeiten für kontaminierte Betroffene weiter ein und kann sie zusätzlich physisch wie psychisch belasten.

Für die Organisation der medizinischen Versorgungskette an einer CRN-MANV-Einsatzstelle bis hin in die klinische Versorgung bestehen die Herausforderung einiger Tätigkeitsfenster, die situationsbezogen abzuleisten sind.

Zunächst ist zu Beginn der Rettung der Betroffenen aus dem Gefahrenbereich die medizinische Versorgung der vorgehenden Einsatzkräfte sicherzustellen, damit sie bei Eigenunfällen oder Erkrankungen schnellstmöglich nach Notdekontamination bestmöglich versorgt werden können.

SKK DV500 Richtlinien zur medizinischen Versorgung in der Übergangszone
Medizinische Versorgung in der Übergangszone gemäß SKK DV500.
Quelle: SKK DV500 Richtlinie für Rettungs- sanitäts- und Betreuungsaufgaben im CBRN-Einsatz 12.2008

Medizinische Versorgung

Das nächste Tätigkeitsfenster widmet sich der medizinischen Versorgung der aus dem Gefahrenbereich geretteten kontaminierten Betroffenen. Unter dem Eindruck der Gefahr der Kontaminationsverschleppung muss diese „Anversorgung“ noch vor der Dekontamination Verletzter (DEKON-V) ansetzen, weil zu erwarten ist, dass die Einrichtung eines mobilen Dekonplatzes für Verletzte von der Alarmierung bis zu seiner Funktionsfähigkeit bei einem CRN-MANV bis zu 60 Minuten dauern kann. Nur sehr wenige Betroffene würden ein so langes therapiefreies Intervall ohne Folgeschäden erleben. 

Eine der wichtigsten Sofortmaßnahmen, gleich nach dem Verlassen des Gefahrenbereiches ist das Ablegen kontaminierter Bekleidung und deren Asservierung in Kunststofffolienbeuteln. Das reduziert diese Verschleppung um bis zu 80% und verhindert, dass die freigesetzten Agenzien weiter auf die Betroffenen einwirken. Selbstverständlich müssen symptomenorientierte LSM durchgeführt werden, bevor eine weitere medizinische Versorgung nach der DEKON-V erfolgen kann. 

Um diese Leistungsumfänge beschreiben zu können, wurde in Ihrer „Richtlinie für Rettungs- Sanitäts- und Betreuungsaufgaben im CBRN-Einsatz“ (SKK DV500/12-2008) eine Übergangszone zwischen Gefahrenbereich und Absperrbereich beschrieben. Sie beinhaltet den Dekon-Platz und eine dem vorgelagerte medizinische Versorgungsstruktur im Sinne einer Patientenablage. An dieser Patientenablage jedoch sind die im Normalfall definierten medizinischen Prozesse aufgrund der zuvor beschriebenen Wirkmechanismen nicht umsetzbar. Der Autor empfiehlt hier den Begriff der „Kontaminiertenablage“ um den Unterschied zu verdeutlichen. Im nachfolgenden Flussdiagramm werden die hier umzusetzenden Aufgaben beschrieben. 

Prozessablauf Kontaminiertenablage als Muster
Muster Prozessablauf Kontaminiertenablage.
Quelle: Gutachten zu Stand und Handlungsbedarf im medizinischen C-Schutz/Expertengruppe der Schutzkommission beim Bundesministerium des Inneren, Schriften der Schutzkommission Band 3, 2010 BBK

Dekontamination

Zu den LSM gehört nach dem Ablegen der Oberbekleidung eine „SPOT Dekontamination“ des Gesichtes, möglicher Punktionsstellen und betroffener Verletzungen, um eine Inkorporation der Agenzien zu vermeiden. Auch die Gabe von Antidoten kann erforderlich werden. Wärmeerhalt für Betroffene ist nötig, damit sie nicht vermeidbaren Wärmeverlust vor der häufigen Nass-Dekontamination erfahren. Diese wird im weiteren Verlauf verursachen, dass die Körperkerntemperatur eines Verletzten rapide abfällt.

Übung am liegenden Verletzten um die kontaminierte Kleidung abzulegen
Übung zum Ablegen kontaminierter Kleidung am liegenden Verletzten.
Quelle: Thomas Plöner, Bremen

Letztlich müssen alle Betroffenen im Rahmen der „DEKON-Sichtung“ priorisiert werden, um die Reihenfolge der Dekon festzulegen und individuell erforderliche medizinische Maßnahmen bis dahin zu definieren. Das unterscheidet sie von der üblichen ärztlichen konsensierten Sichtung bei MANV oder etablierten Vorsichtungsverfahren.

Wichtig ist, nochmals darauf hinzuweisen, dass die hier eingesetzten Einsatzkräfte eine besondere Persönliche Schutzausstattung (PSA) gegen die Kontaminationsverschleppung tragen müssen. In den vergangenen Jahren haben sich hier PSA-Systeme mit Gebläsefilter-Schutzanzügen bewährt. 

Wenn die so vorversorgten Betroffenen in die Dekontamination abberufen werden, können sie, wenn sie gehfähig sind, im Verlauf der Dekontamination unterstützt werden. Bei der Nass-Dekon ist davon auszugehen, dass der Duschverlauf sechs Minuten/Person andauert. Sind die Betroffenen nicht gehfähig, müssen sie im Rahmen der DEKON-V liegend den Ablauf gemäß dem nachfolgenden Muster-Prozess-Schema durchlaufen. 

In den vergangenen Jahren sind Einheiten konzipiert worden, die eine Kapazität von bis zu 50 Verletzte/Stunde haben und in bis zu zwei parallelen Straßen liegende Verletzte dekontaminierten können. Im Wesentlichen bestehen die DEKON-V Strecken jeweils aus drei Arbeitsstationen. 

In der Ersten wird der Wärmeerhalt der liegenden Betroffenen abgelegt. 

In der zweiten Arbeitsstation findet die Dekontamination statt und in der dritten Station wird der jetzt dekontaminierte Betroffene getrocknet und dem Personal der Weiterbehandlungseinrichtung zur uneingeschränkten medizinischen Versorgung eines regulären MANV übergeben.

Fazit

Selbstverständlich ist damit zu rechnen, dass nicht alle kontaminierten betroffenen sich an der Einsatzstelle diesen Prozeduren unterziehen und als so genannte „Selbsteinweiser“ nahegelegene Krankenhäuser aufsuchen. Auch muss die Möglichkeit geschaffen werden, dass vital bedrohte Betroffene mit Rettungsmitteln noch kontaminiert in Krankenhäuser gebracht werden können, wenn das lebensrettend erforderlich ist. 

Hierfür sind im Rahmen der Krankenhausalarmplanung Vorbereitungen zu treffen, damit die so beanspruchten Kliniken ihre Funktionalitäten sicherstellen können, ohne aufgrund der beschriebenen Kontaminationsverschleppungen funktionsunfähig zu werden. Hierfür sind Ressortübergreifende, gemeinsame medizinische Versorgungskonzeptionen zu entwickeln und abzustimmen.

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