16.05.2023 •

Nationale Bedeutung des Bevölkerungsschutzes

Interview mit Generalarzt Dr. Bruno Most, Beauftragter für Zivil-Militärische Zusammenarbeit des Sanitätsdienstes

Generalarzt Dr. Bruno Most im Gespräch mit Frau Heike Lange.
Beta Verlag

Crisis Prevention: Das ZMZ-Seminar gesundheitlicher Bevölkerungsschutz zum Thema „Das Momentum COVID nutzen – Verstetigung der ZMZ im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz“ liegt wenige Wochen hinter uns und ist noch frisch in Erinnerung. Wie bewerten Sie die Ergebnisse dieses Seminars?

Generalarzt Dr. Most: Das Seminar war ein großer Erfolg. Wir hatten, obwohl wir dieses Format in den letzten beiden Jahren nur digital durchführen konnten, ein umfangreiches Teilnehmerfeld mit rund 100 Teilnehmern u. a. aus dem Sanitätsdienst der Bundeswehr, den Hilfsdiensten Deutsches Rotes Kreuz e. V. (DRK), Johanniter-Unfall-Hilfe e. V (JUH) und Malteser Hilfsdienst e. V. (MHD) sowie Reservisten im Sanitätsdienst. Besonders eindrucksvoll war das hochkarätige Referentenfeld mit politischen, operativen und wissenschaftlichen Themenfeldern. Die Teilnehmer des Seminars erlebten eine große Bandbreite und Tiefe der Diskussion, aber auch große Offenheit zur Lage des nationalen Bevölkerungsschutzes.

CP: Also ist der Kurs des ZMZ-Seminars für 2023 schon vorgegeben?

Generalarzt Dr. Most: Ja – es wird aber trotz des Erfolges kein einfaches „weiter so“ geben. Die Überschrift „ZMZ Seminar“ vermittelt zivil wie militärisch zu stark den Eindruck einer geschlossenen Community aus dem Bereich der ZMZ (Zivil-Militärische-Zusammenarbeit).

Das Format soll aber eine breite Diskussion zu Themen des gesundheitlichen Bevölkerungsschutz abbilden. Politik, Wissenschaft, Gesundheitseinrichtungen, Hilfsorganisationen, Katastrophenschutzbeauftragte der Städte, Landkreise und Landesregierungen sowie Bundeswehr sollen hier in der Diskussion zusammengeführt werden. Deshalb wird das Format ab sofort „CP-Symposium gesundheitlicher Bevölkerungsschutz“ anstelle „ZMZ-Seminar“ heißen.

Am 12. Dezember 2023 werden wir beim CP-Symposium im Hotel Aquino in Berlin die Thematik „Sorgenkind Rettung – Auswirkungen auf den Bevölkerungsschutz“ diskutieren. Ich lege den ­CP-­Lesern dringend ans Herz, dieses Seminar zu besuchen.

Darüber hinaus ist ein enges Zusammenwirken der beiden ­Formate „CP-Konferenz“, die in 2023 bereits zum 6. Mal in Berlin statt­finden wird, und dem „CP-Symposium gesundheitlicher Bevölkerungsschutz“ aus meiner Sicht zwingend notwendig. Das eine baut auf dem anderen auf. Wer die gesamte Breite des Bevölkerungsschutzes erfahren und diskutieren will, sollte beide Termine nutzen.

CP: Weshalb brennt Ihnen als Beauftragten ZMZ des Sanitätsdienstes das Thema Rettungsdienst besonders unter den Nägeln?

Generalarzt Dr. Most: Es gibt hier zwei wichtige Gesichtspunkte, die aus meiner Sicht von zentraler Bedeutung sind. Rettungsdienst und gesundheitlicher Bevölkerungsschutz, Hauptamt und Ehrenamt sind untrennbar miteinander verbunden. Das hat vor einigen Jahren der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil zur Vergabe des Rettungsdienstes noch einmal festgestellt und verdeutlicht. Überlastung und fehlende Attraktivität des Rettungsdienstes ­wirken sich nicht nur auf die personelle Lage hauptamtlicher Kräfte aus, sondern haben unmittelbare Auswirkungen auf die Situation ehrenamtlicher Kräfte und die personelle Resilienz des Bevölkerungsschutzes. Wir als Sanitätsdienst der Bundeswehr sind in diesem Bereich zwar nur subsidiärer (unterstützender) Partner, aber wir brauchen für die Amtshilfe in nationalen Katastrophenfällen und Großschadensereignissen starke Anlehnstrukturen der Hilfsorganisationen. Wir sitzen damit im selben Boot.

Für unseren Kernauftrag ‚Landes- und Bündnisverteidigung‘ wird diese Thematik für uns noch dringlicher. Hier kehren sich die Unterstützungsverhältnisse um: Die Streitkräfte sind nun auf die Unterstützung von ziviler Seite angewiesen.

Der Ukrainekrieg hat uns deutlich gemacht, wie entscheidend eine reaktionsfähige Einsatzbereitschaft des NATO-Bündnisses bei einem Angriff auf einen oder mehrere unserer Partner ist. Die dafür notwendigen Pakete umfassen, entgegen mancher aktuellen Diskussion, nicht nur Artillerie, Kampf- und Schützenpanzer, sondern als Teil einer großen Breite gemeinsam wirkender Fähigkeiten auch eine funktionierende und durchhaltefähige Rettungskette vom Einsatzgebiet bis zum Krankenhaus in der Heimat. Diese Rettungskette stützt sich neben militärischen Kräften auch auf zivile Kräfte, insbesondere den Hilfsorganisationen.

Die Bundeswehr und damit auch unser Land muss ein Interesse an resilienten Strukturen und Fähigkeiten des zivilen Gesundheitssystems und der Hilfsorganisationen haben, damit dieser Auftrag gesamtstaatlich erfüllt werden kann.

CP: Wir haben vor einem Jahr über ZMZ im Gesundheitswesen miteinander gesprochen und die Ergebnisse im CP-Podcast für Gefahrenabwehr, Innere Sicherheit und Katastrophenhilfe „hörbar“ gemacht. Der Podcast wurde extrem gut abgerufen. Kann man das als Zeichen dafür interpretieren, dass das Thema heute präsenter ist?

Generalarzt Dr. Most: Ja, das Thema ist in Fachkreisen sehr präsent. Wir sitzen hier sichtbar in einem gemeinsamen Boot und nutzen verschiedenste Formate, um uns zivil–militärisch auszutauschen.

Was wir aber deutlich stärker brauchen, ist eine gesamtstaatliche Zeitenwende. Hier gibt es den Begriff der Gesamtverteidigung. Wir können nur dann ein starker Bündnispartner sein, wenn wir neben der militärischen Zeitenwende auch eine gesamtstaatliche Zeitenwende schaffen mit resilienten zivilen Strukturen und einer Bevölkerung, die, frei nach Kennedy, robust für Krisenzeiten aufgestellt ist.

Wir brauchen aber die Fach-Community, um diese Themen möglichst mit einer Stimme Richtung Politik und Gesellschaft zu transportieren. Ich bin der CP an dieser Stelle dankbar, dass wir hier in Print und Konferenzen eine Plattform mit großer Reichweite haben.

CP: Wie hat sich aus Ihrer Sicht die COVID-19-Pandemie auf die Schaffung resilienter Strukturen und Fähigkeiten ausgewirkt?

Generalarzt Dr. Most: Ich halte immer gerne zunächst das Positive fest. Wir haben in den letzten gut zwei Jahren gesehen, dass das deutsche Gesundheitssystem besser als die meisten seiner Nachbarn aufgestellt ist. Wir konnten das als Sanitätsdienst auch bei der umfangreichen Unterstützung der Zivilkrankenhäuser feststellen. Das Glas ist damit mehr als halbvoll.

Wir spürten dabei aber auch, dass dem Bund für den notwendigen Koordinierungs- und Steuerungsaufwand wesentliche Grundlagen der Gesetzgebung fehlten. Die Koalition hat im Koalitionsvertrag einen wichtigen Weg beschritten, nämlich ein Gesundheitsvorsorge- und Sicherstellungsgesetz, das für den nächsten großen Krisenfall im Gesundheitssystem länderübergreifende Erfassung und Steuerung von Ressourcen ermöglicht. Hinsichtlich der personellen Resilienz des Gesundheitssystems benötigen wir neue Impulse für das Ehrenamt. Dabei kommt es darauf an, zeitgemäße Anreize für junge Menschen zu setzen, um sowohl im präklinischen als auch klinischen Bereich als Helfer eingesetzt werden zu können.

Wir haben in der COVID-Pandemie sehr gute Erfahrungen mit jungen SoldatInnen gemacht, die als Rettungssanitäter ausgebildet waren. Diese dreimonatige Ausbildung hat eine hohe Akzeptanz und Attraktivität. Dem -manchmal in die Diskussion geworfenen- Helfer im Pflegedienst fehlt aus meiner Sicht genau diese Attraktivität.

CP: Wir haben letztes Jahr über das Kooperationsprotokoll mit dem Malteser Hilfsdienst berichtet, an dessen Unterzeichnung Sie beteiligt waren. Was können Sie unseren Lesern zur aktuellen Zusammenarbeit mit Malteser Hilfsdienst e. V. (MHD) und Johanniter Unfallhilfe e. V. (JUH) berichten?

Generalarzt Dr. Most: Wir haben dieses Protokoll mit dem MHD in die gesamte Hierarchie der territorialen sanitätsdienstlichen Verbindungsorganisation umgesetzt. Unsere Landes-, Bezirks- und Kreisverbindungselemente haben den Auftrag, ihre Counterparts auf Seiten des MHD zu identifizieren, Kontakt aufzunehmen und zu halten. Gleiches gilt für die JUH. Uns geht es darum, dass sowohl in der Amtshilfe als auch in der Gesamtverteidigung, die sanitätsdienstliche Community sich nicht nur kennt, sondern auch vertraut. Daneben haben wir sowohl mit MHD als auch JUH zahlreiche Gesprächsformate und gemeinsame Beteiligung an Übung und Einsatz. Insgesamt haben wir mit beiden Organisationen eine starke Partnerschaft.

CP: Zurück und zuletzt. Man hört manchmal im Kontext des Ukrainekrieges, dass sich die Bundeswehr wieder auf Ihre Kern­aufgaben konzentrieren müsse. Wie wirkt sich dieses auf die ZMZ aus?

Generalarzt Dr. Most: Es ist richtig: Wir müssen uns auf die personelle und materielle Einsatzbereitschaft für die Landes- und Bündnisverteidigung konzentrieren, um unseren Bündnisverpflichtungen gerecht zu werden. Jeder von uns kann hier dazu beitragen, dass die Zeitenwende gelingt.

Ich halte aber nichts davon, die subsidiäre Unterstützung im Bevölkerungsschutz gegen diese Aufgabe abzuwerten nach der Devise: weniger Bevölkerungsschutz ist mehr Bündnisverteidigung. Ich komme hier auf den bereits vorher angesprochenen Ansatz der Gesamtstaatlichkeit zurück. Wir können den Bürgern dieses Landes nicht vermitteln, dass außerhalb von Kriegszeiten in einer Krisenlage, die Leib und Leben unserer Bürger gefährdet, geeignete Ressourcen des Sanitätsdienstes in den Kasernen bleiben.

Der Sanitätsdienst hat innerhalb der Bundeswehr das Alleinstellungsmerkmal, dass jedes einzelne Stück unserer Ausstattung, jeder Mann und jede Frau mit Ihren Qualifikationen sowohl für die Landes- und Bündnisverteidigung als auch für den nationalen Bevölkerungsschutz einsetzbar ist. Damit ist jede Investition unseres Landes in die militärischen Fähigkeiten des Sanitätsdienstes gleichzeitig eine Investition in den Bevölkerungsschutz.

CP: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Generalarzt Dr. Most: Liebe Frau Lange, es war mir wie immer eine Freude mit Ihnen und der CP zu sprechen. 


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