Im August 2021 hatte die Staatskanzlei NRW beim Verfasser einen Bericht in Auftrag gegeben. Er soll vor allem Handlungsfelder aufzeigen, damit das Ausmaß derartiger Ereignisse zukünftig verringert wird.
Am 28. September 2022 wurde der Verfasser als Sachverständiger beim Parlamentarischen Untersuchungsausschuss II der 18. Wahlperiode des Landtages NRW angehört.
Der Bericht für das Land NRW wird hier, geringfügig überarbeitet, auszugsweise abgedruckt. In Anbetracht der Komplexität der Themen beschränkt er sich auf folgende Kernthemen:
- Stabsarbeit
- Durchhaltefähigkeit bei langer Einsatzdauer
- Landesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenvorsorge
- Information und Warnung der Bevölkerung
- Katastrophen-Leuchttürme (Notfall-Treffpunkte)
- Psychologische Nachsorge und Betreuung
Mitte Juli 2021 hatte das Tiefdruckgebiet „Bernd“ in Deutschland, in Luxemburg, in Belgien und in den Niederlanden schwere Sach- und Personenschäden verursacht: In Europa starben 220 Menschen, davon 49 in Nordrhein-Westfalen. Unter den Toten sind auch fünf Feuerwehrmänner. Es war die tragischste Naturkatastrophe in Deutschland seit der Sturmflut in Norddeutschland 1962.
Nach ergiebigen Regenfällen gab es am 14./15. Juli 2021 in Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Starkregen mit 120 bis zu 200 Litern Niederschlag pro Quadratmeter. Dieses Unwetter war vom Deutschen Wetterdienst (DWD) für die Region bereits zwei Tage vorher im Rundfunk und im Fernsehen angekündigt worden. Dieser Starkregen verursachte ungeheure Sturzfluten mit Pegelhöhen von bis zu über acht Metern.
Betroffen waren in Nordrhein-Westfalen insbesondere der Kreis Euskirchen, der Märkische Kreis, der Rhein-Sieg-Kreis, die Städteregion Aachen sowie die kreisfreien Städte Hagen und Solingen. Diese Gebiete umfassen insgesamt rund 4.420 Quadratkilometer Fläche mit 2,1 Millionen Einwohnern. Das entspricht 1,2 % der Fläche Deutschlands und 2,4 % der deutschen Bevölkerung. In Nordrhein-Westfalen gibt es 31 Kreise und 22 Kreisfreie Städte, in Deutschland sind es 294 Kreise und 106 kreisfreie Städte.
In Medien wurde die Berichterstattung von der Frage nach der Schuld und der Suche nach „den Verantwortlichen“ überschattet. Ein weiteres Thema war die unzureichende Warnung der Bevölkerung. Auch wurde gefordert, dass sich der Katastrophenschutz „neu erfinden“ müsse. Die vollständige Beseitigung dieser Unwetterschäden in Deutschland wird mehrere Jahre dauern und kostet vermutlich über 30 Milliarden Euro.
Stabsarbeit
Das „A und O“ eines erfolgreichen Krisenmanagements sind gut funktionierende Krisenstäbe. Ziel ist, die „Chaos-Phase“ möglichst kurz zu halten – sie ist zu Beginn eines außergewöhnlichen Vorkommnisses unvermeidbar. Ab dem zweiten Tag müsste das Krisenmanagement „in geordneten Bahnen laufen“. Zentrale Voraussetzung ist das Erlangen eines Lageüberblicks, der zunächst auch Ungenauigkeiten und Abschätzungen enthalten darf.
Die Aktivierung des Krisenmanagements muss erfolgen,
- wenn festgelegte Kriterien von Szenarien erfüllt sind oder
- wenn ein erhöhter ressort- bzw. ämterübergreifender Koordinierungsaufwand erkennbar ist oder
- sofern die nächsthöhere Ebene dies anordnet
(ggf. vorsorglich).
Ausgehend von beschriebenen Szenarien müssen konkrete Kriterien zur Aktivierung des Krisenmanagements festgelegt werden. Bei Hochwassern sollte das beispielsweise bereits bei einem Pegel weit unterhalb des Bemessungshochwassers sein, um „vor die Lage zu kommen“. Bei anderen Wetterszenarien kann das eine Wetterwarnung ab einer bestimmten Stufe sein, bei Unfällen in Störfallbetrieben eine bestimmte Dringlichkeitsmeldung.
Bei Szenarien, die sich nicht durch eindeutige Kriterien aus Vorwarnungen ableiten lassen, ist eine Interpretation erforderlich. Das sollte in einem hierzu befähigten Gremium erfolgen.
Lagezentren sind Elemente des Krisenmanagements und müssen darauf vorbereitet sein, mit zusätzlichem Personal als Krisenstab arbeiten zu können. Sofern ein Krisenstab den Dienst aufnimmt, bedeutet dies nicht „automatisch“ die Übernahme der Einsatzleitung. Empfehlenswert ist, im Zweifelsfall rein vorsorglich einen „Krisenstab“ einzuberufen.
Die Einsatzleitungen der Kommunen verfügen über die höchste und differenzierteste Ortskenntnis. Eine Übernahme der Einsatzleitung durch externe Stellen ist bereits deswegen grundsätzlich unsinnig. Eine wichtige Rolle spielt die Akzeptanz: die Weisungen der Einsatzleitung müssen sowohl von den Einsatzkräften als auch von der Bevölkerung akzeptiert werden.
Konkrete Berechtigungen und Entscheidungsbefugnisse sind erforderlich, damit geschultes Personal eigenverantwortlich handeln kann. Dies betrifft z.B. die Vergabe von Aufträgen, Vergabehöhen, den Zugriff auf Mitarbeitende oder die Anordnung von Überstunden bzw. Mehrarbeit. Auch die Schließung von Verwaltungsteilen oder Verlagerung von Aufgaben müssen vorgeplant werden.
Die Landkreise unterstützen sich fachtechnisch untereinander (horizontale Hilfe), das Land einschließlich den Landesämtern (vertikale Hilfe, Fachexpertise). Auf Anforderung unterstützt auch der Bund (Technisches Hilfswerk, Bundespolizei, Bundeswehr). Regelmäßige Unterstützung leisten der Deutsche Wetterdienst (DWD), das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sowie weitere Behörden und Institutionen.
Die Leistungsfähigkeit der Krisenstäbe auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte wird bis auf Weiteres heterogen sein. Analog zur Unterstützung der Einsatzleitung ist der Aufbau von Unterstützungsteams aus erfahrenen KrisenmanagerInnen sinnvoll. Diese Unterstützungsteams übernehmen nicht die Führung, sondern verstärken die zuständigen Krisenstäbe mit erfahrenem, gut vernetztem Personal. Ein Beispiel sind die Fachgruppen „Führung und Kommunikation (FK)“ des THW.
Es ist sinnvoll, die Krisenstäbe der Kreise und der kreisfreien Städte bei Bedarf in der Kommunikation mit anderen Behörden sowie bei der Erfüllung der Berichtspflichten zu unterstützen. Auch hierzu können die Unterstützungsteams eingesetzt werden.
Eine weitere Unterstützung ist der Einsatz von „Virtual Operation Support Teams (VOST)“. Diese Teams bestehen aus spezialisierten Freiwilligen. Wenn sie „alarmiert“ werden, suchen sie (grundsätzlich vom Home-Office aus) im Internet relevante Informationen, bewerten diese und übermitteln dies dem Krisenstab.
Ein zentraler Aspekt ist ein geordnetes, eingespieltes Berichts- und Meldewesen. In Anlehnung an die Meldungen wichtiger Ereignisse aus dem Polizeibereich (sog. WE-Meldungen) sind derartige „wichtige Ereignisse“ vor allem Sachverhalte, die die öffentliche Sicherheit erheblich beinträchtigen, die in der Öffentlichkeit Aufsehen und Beunruhigung erregen, die in den Medien oder sozialen Netzwerken zu besonderen Erörterungen führen oder die einen politischen Bezug haben. Grundsätzlich gilt für die Meldewege der Dienstweg, der nur in Ausnahmefällen eine Ebene überspringen darf, die in diesem Fall nachrichtlich eingebunden ist.
Grundsätzlich sollen nur Fakten aufgeführt werden, unsichere Punkte sind als solche zu kennzeichnen. Zügig abgesandte Meldungen sind wertvoller als perfekt ausformulierte Texte.
Die Bewältigung von Großschäden erfordert Zeit und gelingt umso besser, je schneller ein Lageüberblick geschaffen wird. Wichtig ist, das Schadensgebiet in überschaubare, örtliche Einsatz-Abschnitte („Cluster“) mit klaren Verantwortlichkeiten einzuteilen. Ziel ist u.a., Erkundungen jeweils nur einmal gründlich durchzuführen und gut zu dokumentieren.
Eine große Herausforderung in komplexen Flächenlagen ist ein kontinuierlich aktualisiertes Lagebild sowie eine aktuelle Lagebewertung. Aus Berichten aus verschiedenen Ebenen bildet sich automatisch kein umfassendes Lagebild: es müssen die unterschiedlichen Berichts- und Meldesysteme zusammengeführt und ausgewertet werden. Die Bündelung der verschiedenen Erkenntnisse stellt eine besondere Herausforderung dar. Ein Beispiel ist die Zusammenführung von Luftaufnahmen, die mit Hilfe von Drohnen, Hubschraubern und Flugzeugen gewonnen wurden zu einer geobasierten „Karte“ mit verschiedenen Ebenen.
Zum Erstellen des Lagebildes sind auch Informationen der Wirtschaft, insbesondere der Betreiber kritischer Infrastrukturen einzubeziehen. Beispielsweise können nach flächendeckender Einführung der Smartmeter (Stromzähler mit Funk-Übertragung) Energieversorgungsunternehmen feststellen, welche Gebäude schwer beschädigt sind: dann zeigen die Smartmeter keinen Stromverbrauch an, oder senden keine Signale mehr.
Zur Beurteilung von Struktur- und Infrastrukturschäden sollten nur speziell geschulte Einsatzkräfte beauftragt werden. Aus den üblichen Schadensmeldungen der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr ist ein Lagebild der Infrastruktur regelmäßig nicht ableitbar. Beispielsweise kann eine unterspülte, aber gesperrte und geräumte Straße aus Sicht der Gefahrenabwehr unerheblich sein. Für die übergeordnete Beurteilung der Schäden in einer Region kann dieser Schaden jedoch relevant sein.
Übungen müssen auf Basis der Szenarien durchgeführt werden, um u.a. die horizontale und vertikale Kommunikation zu trainieren. Allerdings ist bei Übungen die „Durchhaltefähigkeit über mehrere Wochen“ nicht gut darstellbar.
Das Krisenmanagement muss trainiert werden. Hierzu gibt es wissenschaftlich fundierte Methoden, den Trainingsstand eines Krisenstabes festzustellen und ggf. zu verbessern. Bei den Übungen sollte ein bereits geschultes Kernteam mit „Neulingen“ gemeinsam üben. Bei Übungen dürfen Fehler gemacht werden. Man muss sie erkennen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen.
Durchhaltefähigkeit bei langer Einsatzdauer
Durchschnittliche Feuerwehr-Einsätze dauern statistisch weniger als eine Stunde. Die Feuerwehren müssen Jahr für Jahr mehr Einsätze durchführen. Die Einsätze nach dem Starkregen im Juli 2021 sprengen diesen Alltag der Gefahrenabwehr. Hinzu kommt eine besondere Erschwernis: die Eigenbetroffenheit.
Besondere Einsatzlagen können überall und jederzeit eintreten – mit und ohne Vorwarnungen. Von den zuständigen Stellen wird erwartet, dass sie stets gut vorbereitet sind und möglichst jede Einsatzlage „meistern“.
Die „Durchhaltefähigkeit“ betrifft sowohl Krisenstäbe als auch Einsatzkräfte sowie die Verwaltungen der Kreise und Kommunen. Darunter ist die Fähigkeit zu verstehen, die Kräfte so einzuteilen, dass auch lang andauernde Einsätze – ggf. mit eskalierenden Lagen – bearbeitet werden können. Dies erfordert in der Regel die Hinzuziehung externer oder überregionaler Kräfte.
Bereits am 14. Juli 2021 abends waren nach einem Hilfeleistungsantrag die ersten Kräfte der Bundeswehr im Einsatz, wenige Stunden später wurde der militärische Katastrophenalarm ausgelöst. Analoges gilt für das THW als Einsatzorganisation des Bundes im Bevölkerungsschutz und für die Bundespolizei.
Sobald erkennbar ist, dass ein Einsatz mehrere Tage – oder gar Wochen– andauern wird, müssen Schichtlängen, Ablösungen und Ruhepausen geregelt werden. Ebenso sind Verpflegung und Unterbringung zu planen. Übermüdete und hungrige Mitglieder eines Krisenstabes sind keine Voraussetzung für gute Entscheidungen!
Wichtig sind vorausgeplante, geregelte Ablösungen. Bei jeder Ablösung ist eine zielgerichtete Einweisung der „neuen“ Kräfte in die aktuelle Lage erforderlich. Die erteilten Aufträge sind zu dokumentieren und nachzuhalten („Was wurde erledigt? Was ist noch offen? Wer ist dafür eingeteilt?“).
Hilfreich sind gut organisierte Bereitstellungsräume außerhalb des Schadensgebietes. Allerdings sollten sie nicht mehr als rund 1.000 Einsatzkräfte verwalten und versorgen. Größere Bereitstellungsräume enden erfahrungsgemäß im Chaos. Überörtliche Einheiten, die in Bereitstellungsräumen einsatzbereit warten, stehen nicht exklusiv dem jeweiligen Landkreis zur Verfügung. Das Warten im Bereitstellungsraum ist bei den Einsatzkräften unbeliebt. Es ist daher wichtig, den Zweck des Wartens zu erklären und den möglichen Einsatz vorzubereiten. Hierzu gehört vor allem die Einweisung in die Lage. Außerdem kann die Wartezeit auch zur Aus- und Fortbildung genutzt werden.
Der Einsatz der Bundeswehr erfordert eine klare, „territoriale Führungsstruktur“ mit geschulten Fachleuten für die Zivil-Militärische Zusammenarbeit.
Die Bundeswehr hat hierzu die Kreisverbindungskommandos (mit Reservisten) organisiert, die zivile Seite muss die passenden Ansprechpersonen organisieren. Mit Schaffung des „Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr“ am 27. September 2022 unter General Carsten Breuer sind die Abläufe sowohl für die militärische als auch für die zivile Seite transparenter und straffer.
Auch der Einsatz von Kräften aus dem (benachbarten) europäischen Ausland muss nach den hierfür geltenden Standards geplant und geübt werden. Die Annahme, dass es in Deutschland hierfür nie einen Anlass gäbe, ist falsch. Für die gegenseitige Unterstützung im grenznahen Bereich können bilaterale staatliche Abkommen getroffen werden – auch sie müssen geübt werden.
Bei Störung oder Ausfall der üblichen Kommunikationswege wie der Digitalfunk der BOS, die öffentlichen Handy-Netze oder das Internet müssen Rückfallebenen geplant und vorbereitet sein. So können Fachleute des Fernmeldedienstes (z.B. des THW) mit „Feldkabelbau“ kurzfristig Drahtverbindungen herstellen sowie Netze für schnurlose Telefone (DECT-Netze) aufbauen. Die Anbindung an Glasfasernetze, z.B. entlang der Bahnstrecken, ermöglicht die Kommunikation über weite Entfernungen. Weitere Rückfallebenen sind die Kommunikation über Satelliten-Telefone sowie der Einsatz von Boten auf Zweirädern, mit Kraftfahrzeugen oder zu Fuß.
Empfehlenswert sind verbindliche Festlegungen, wohin sich wer bei erkanntem Totalausfall von Funk und Telefon – also ohne alarmiert zu sein – selbsttätig wohin zu begeben hat (Rathaus, Feuerwache, Polizeipräsidium, …).
Landesamt für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenvorsorge (LABK)
Vermisst wurde offensichtlich eine „führende“ und unterstützende Ebene. Daher wird die Schaffung eines neuen „Landesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenvorsorge (LABK)“ mit folgender Begründung vorgeschlagen:
- „Spiegelgremium“ auf Landesebene für das „Bundesamt
- für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)“.
- Bündelung der Landesaufgaben für die Bereiche Bevölkerungsschutz, Katastrophenvorsorge und Resilienz unterhalb der ministeriellen Ebene.
- Planungen für Schadensereignisse, deren Eintrittswahrscheinlichkeit zwar gering ist, die im Eintrittsfall aber große Schäden und gravierende Folgen für die Infrastruktur sowie die Gesundheit vieler Menschen verursachen und ein ressortübergreifendes, schnelles und umfassendes Handeln erforderlich machen.
Anhaltspunkte sind folgende Szenarien:
- Starkregen
- Hitzeperioden und Trockenheit
- Hochwasser in Bächen und Flüssen mit Überschreitung des Bemessungshochwassers
- Radioaktiver Fallout nach einem kerntechnischen Unfall
- Freisetzung von Giften in der Luft, in offene Gewässer, ins Abwasser oder ins Leitungswasser
- Pandemien (Menschen, Tierseuchen, Lebensmittelbefall)
- Mehrtägiger oder mehrwöchiger Stromausfall
Auch muss die fatale Verkettung von verschiedenen Ereignissen infolge von Domino-Effekten oder durch unglückliche Zufälle bedacht werden.
- Monitoring einschlägiger Aufgaben der Bezirksregierungen, Kreise und kreisfreien Städte. Derzeit existieren beim Katastrophenschutz erhebliche Niveau- und Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Verwaltungen. Diese müssen nach dem Prinzip der „guten Beispiele“ auf ein einheitlich gutes Niveau gebracht werden.
- Steuerung von Ausbildung und Training der Krisenstäbe der Kreise, der kreisfreien Städte sowie den im Katastrophenschutz involvierten Behörden und Ämtern.
- Betrieb des „Lagezentrums der allgemeinen Gefahrenabwehr NRW“: kontinuierliche Informationssammlung, Lagebewertung und Bereitstellung der aufbereiteten Daten für die Landesregierung sowie die Kreise und kreisfreien Städte. Die Personal- und Sachausstattung des LABK muss gesondert ermittelt werden. Nach Möglichkeit werden vorhandene Ressourcen, insbesondere bei der Aus- und Fortbildung, einbezogen.
Da das LABK mit allen Ressorts der Landesregierung sowie Landesbehörden und -ämtern kommuniziert, ist die Zuordnung zur Staatskanzlei zweckmäßig, was politisch zu entscheiden ist.
Im Einzelnen ist das LABK für folgende Aufgaben federführend zuständig:
a) Laufendes Erstellen und Auswerten eines Lagebildes der allgemeinen Gefahrenabwehr, der polizeilichen Lage, der Wirtschaft sowie der Gesellschaft auf Landesebene. Aufzunehmen sind Hinweise anderer Bundesländer und europäischer Anrainerstaaten.
Dieses Lagebild wird online den Kreisen und den Kommunen sowie weiteren Bedarfsträgern zur Verfügung gestellt. Es ist zwingend erforderlich, die verfügbaren Informationen zu bündeln und aufzubereiten. Dazu gehören
- Umweltdaten,
- Infrastrukturdaten,
- Mitteilungen anderer Landes- und Bundesbehörden
- sowie Institutionen,
- Prognosen anderer Landes- und Bundesbehörden
- sowie Institutionen.
Derzeit werden Informationen allenfalls ressortbezogen verarbeitet. Erst eine ressortübergreifende Kombination führt zu besseren Bewertungen, wie z.B.:
- Eine Sturmwarnung des DWD ist im Kontext einer großen Veranstaltung im Freien anders zu bewerten als eine Sturmwarnung an einem Tag ohne Großveranstaltung.
- Die Warnung vor Starkregen wird anders bewertet werden, wenn ein großer Regenwasserkanal defekt ist.
- Erst, wenn zwischen einer Pegelangabe und einer Hochwasserrisikokarte ein klarer Zusammenhang für alle hergestellt wird, können die richtigen Maßnahmen eingeleitet werden.
- Bereitstellung der Informationen der Fachbehörden und Fachämter in Nordrhein-Westfalen (Wissensmanagement).
b) Erstellen eines landesweiten, einheitlichen Gefahrenregisters, insbesondere mit Überflutungsgebieten, durch Zuarbeit der Landkreise sowie der kreisfreien Städte.
c) Ableitung präventiver Maßnahmen aus den o.g. Szenarien. Diese führen zu Vorgaben für die Planung und Erschließung von Flächen, zu Empfehlungen im Städtebau, sowie zu Richtlinien für die mittelfristige Planung zur Ausstattung der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes.
d) Monitoring der Resilienz einschließlich der Rückfall-Ebenen beim Ausfall von kritischen Infrastrukturen. Besonders problematisch ist ein großflächiger Stromausfall mit Wegbrechen der öffentlichen Kommunikation. Bei gleichzeitigem Ausfall der Wasserversorgung und der Notbrunnen muss die Trinkwasserversorgung durch Mineralwasser in abgefüllten Flaschen erfolgen, ggf. in Verbindung mit dem Einsatz von Trinkwasseranlagen des Technischen Hilfswerks (THW).
e) Umsetzung von in Europa etablierten EU-Verfahren in Nordrhein-Westfalen, wie z.B. TaFF (Tackling Consequences of extreme Rainfalls and Flash Floods) und MaSC (Disaster Shelter Decisions Toolbox) durch Schulung von Einsatzkräften und Verwaltungen.
f) Harmonisierung der Kriterien zur Information, Warnung und Entwarnung der Bevölkerung mit den Kreisen und kreisfreien Städten. Ziel ist ein lokales Raster zur jeweiligen Umsetzung von Warnungen zu erstellen. Erforderlich sind kohärente, synchronisierte Verfahren und Systeme. Es müssen sowohl etablierte Systeme (Sirenen) als auch innovative Systeme einbezogen werden. Hierzu gehören lokale Durchsagen über Radio und Textinformationen über DAB-Radio.
g) Planung und Durchführung von Ausbildung und Übungen der Krisenstäbe auf Landesebene für besondere Lagen sowie mehrwöchige, großflächige Einsatz-Szenarien.
h) Monitoring der Einsatz- und Durchhaltefähigkeit des Kata-
strophenschutzes, der kritischen Infrastrukturen sowie der „Kat-Leuchttürme“.
i) Monitoring der psychologischen und seelsorgerischen Betreuung (PSNV) von Einsatzkräften, SpontanhelferInnen und der betroffenen Bevölkerung.
j) Unterstützung der Kreise und kreisfreien Städte bei der Aufklärung der Bevölkerung: „Fit für den Notfall“. Rund 40 % Deutschlands sind Mittelgebirgsregionen, wo sich ähnliche Vorkommnisse wie im Juli 2021 in NRW und RP wiederholen können. Der Klimawandel trägt dazu bei, dass schwere Schäden häufiger vorkommen und dass sie umfassender sein können. Der Schutz hiervor kann zwar verbessert, aber nicht allumfassend perfektioniert werden.
k) Unterstützung der Kommunen und der Einsatzorganisationen beim zweckmäßigen Umgang mit Spontanhelfenden (siehe hierzu Ergebnisse der Forschung für die zivile Sicherheit sowie die Europäischen Normungsarbeit).
Information und Warnung der Bevölkerung
Die öffentlich geäußerte Kritik zeigt eindrücklich eine enorme Erwartungshaltung: Die Kommune bzw. der Kreis muss seine Bewohnerschaft konkret, frühzeitig und spezifisch informieren und warnen.
Derzeit werden die zahlenbasierten Warnungen des DWD oder der Hochwasserzentrale händisch und somit unterschiedlich interpretiert. Sie werden erst teilweise mit erheblichen Verzögerungen weitergeleitet (oder bleiben außerhalb von Bürozeiten liegen).
Die Kommune bzw. der Kreis muss die Warnungen anderer Institutionen (DWD, Hochwasserzentrale, Störfallbetriebe) auf die lokale Situation „übersetzen“ und mit konkreten Verhaltensregeln selbst herausgeben. Dies muss lange vor dem Eintritt von Warnlagen erledigt sein. Fehlalarme müssen vermieden werden, da sie die Aufmerksamkeit abstumpfen.
Nach der Warnung muss diese „auf allen Kanälen“ synchron kommuniziert und informiert werden. Zum Schluss muss entwarnt werden. Sowohl in den Sozialen Medien als auch vor Ort muss auf (gezielte) Fehlinformationen unverzüglich reagiert werden.
Um eine möglichst hohe Reichweite zu erzielen, sind – abhängig von der Handlungsdringlichkeit – mehrere Systeme synchron zu aktivieren. Zu den möglichen Systemen zählen:
- Sirenensysteme
- Anwendungen auf mobilen Endgeräten (mit oder ohne App)
- Hotlines
- Soziale Medien
- Radiodurchsagen
- Einblendungen beim Fernsehen und im Internet
- Warnfahrzeuge (Lautsprecher-Durchsagen)
- Innovative weitere Lösungen wie Navigationssysteme, Mitnutzung
- der Heimrauchmelder
- (manuelles) Läuten der Kirchturmglocken
Die Warnungen über die einzelnen Systeme müssen aufeinander abgestimmt sein. Der vom Bund finanzierte (Wieder-) Aufbau des Sirenennetzes muss durch Investitionen der Länder ergänzt werden. Die Auswahl der Warnelemente muss auch die Vorlaufzeit bis zum Schadensereignis bzw. die notwendige Reaktionsgeschwindigkeit der gewarnten Bevölkerung berücksichtigen.
Erfolgreiches Warnen setzt voraus:
- Vorab die Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung (Kindergärten, Schulen, Altenheime, Handzettel für jeden Haushalt, …)
- Festlegungen durch die Kreise und Kommunen, welche Warnstufen zu welchen konkreten Maßnahmen führen. Dann werden die Warnungen vom Bund unmittelbar bis
- zu den Kommunen automatisch „durchgereicht“
- Bundesweit vereinheitlichte, einprägsame Warnsignale („Weckruf“), die jedem Haushalt, jedem Büro und jedem Betrieb vorliegen müssen. Anmerkung: Früher standen
- die Sirenensignale in jedem Telefonbuch!
- Synchrones, rechtzeitiges Warnen auf allen möglichen Kanälen
- Entwarnung nach Beendigung der Gefährdung
Katastrophen-Leuchttürme
(Notfall-Treffpunkte)
Als ein Forschungsprojekt der „Forschung für die zivile Sicherheit“ der Bundesregierung wurde in Berlin das Konzept für sogenannte „Katastrophen-Leuchttürme (Kat-Leuchttürme)“ entwickelt. Es handelt sich um vorgeplante stationäre (ggf. auch mobile) Einrichtungen, die der Bevölkerung bekannt sein sollen. Es müssen „sichere Orte“ sein, die z.B. auch bei längeren Störungen der kritischen Infrastruktur (insbesondere der Stromversorgung) autark funktionieren.
Bei Bedarf können Kat-Leuchttürme mit dort postierten Fahrzeugen der Feuerwehr, des Rettungsdienstes, des THW und der Polizei erweitert werden („Temporäre Wache“).
Die Kat-Leuchttürme (oder Notfall-Treffpunkte) werden bei entsprechenden Schadenlagen auf Anordnung der Kommune in Betrieb genommen. Sie versorgen die Bevölkerung vor Ort mit Informationen zur Lage und mit Lademöglichkeiten von Handys. Außerdem können hier bei Bedarf Trinkwasser, (warme) Getränke, Lebensmittel und Hygieneartikel verteilt werden.
Weitere Aufgaben sind Erste Hilfe, Kindernotbetreuung, Anlaufstelle für SpontanhelferInnen, Organisation von Transporten; Ausgabe von Sachspenden sowie Treffpunkt der Nachbarschaft. Folgendes Personal ist – überwiegend ehrenamtlich – in den Notfall-Treffpunkten einsetzbar:
- hauptamtliches Personal der Kommune,
- ehrenamtlich organisierte Einsatzkräfte insbesondere der Hilfsorganisationen,
- SpontanhelferInnen, alte und junge Menschen, mobile und behinderte Menschen.
Zur Kommunikation mit dem Krisenstab können neben dem Digitalfunk auch Amateurfunker sowie Krad- und Fahrrad-Melder eingesetzt werden – ebenfalls ein mögliches Betätigungsfeld für Spontanhelfende. Es wird empfohlen, dass jede Kommune „Kat-Leuchttürme“ plant, vorbereitet und der Bevölkerung bekannt gibt. Sie sind ein praktisches, sichtbares Bindeglied zwischen Kommune und Bevölkerung. Auch signalisieren sie der Bevölkerung, dass sie nicht „im Stich gelassen“ wird. Im Verhältnis zur positiven Wirkung ist der Aufwand überschaubar.
Inzwischen haben mehrere Kommunen mit der Organisation und dem Aufbau von Notfall-Treffpunkten begonnen.
Psychologische Nachsorge und Betreuung
Die psychologische und seelsorgerische Betreuung von Einsatzkräften, Spontanhelfenden sowie der betroffenen Bevölkerung muss konsequent geplant und durchgeführt werden. Das System der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) ist bei den organisierten haupt- und ehrenamtlichen Einsatzkräften inzwischen etabliert. Hingegen fehlt es regelmäßig an der Betreuung von Angehörigen und der betroffenen Bevölkerung.
Die Lücke zwischen der „Psychosozialen Notfallversorgung“ und der „psychotherapeutischen Erst- und Folgeversorgung“ muss geschlossen werden. Die Psychotherapeuten-Kammer NRW hat hierzu Vorschläge ausgearbeitet, die noch nicht vollends umgesetzt sind. Es existiert bereits ein System der „Leitenden Notfallpsychotherapeuten“, was jederzeit aktiviert werden kann. Hiermit ergibt sich eine Ergänzung und Erweiterung des PSNV-Systems.
Die Einbindung der psychotherapeutischen Fachkräfte „vor Ort“ sollte von Anfang an erfolgen und nicht erst in zweiter oder dritter Instanz. Hierzu bieten die Psychotherapeuten niederschwellige Gruppenangebote und spontane Einzelberatungen an.
Belastende Erlebnisse können Angst- und Panikreaktionen bis hin zur Selbsttötung auslösen, was durch gezielte Therapien vermieden werden kann.
Weiterhin muss der Übergang für Personen organisiert werden, die von PSNV-Teams eine Erstbetreuung erfahren haben und die über die Anlaufstelle der Psychotherapeutenkammer den Zugang zu niedergelassenen Therapeuten „in der Nähe“ benötigen. Hierzu ist sowohl interne als auch externe Informationsarbeit erforderlich.
Um diese Planungen umsetzbar zu machen, müssen alle Akteure (auch die Bevölkerung und die Medien!) bei Übungen eingebunden werden.
Die psychologische Betreuung ist ein Thema, das regelmäßig unterschätzt wird. Ehrenamtliche Einsatznachsorgeteams (ENT) und professionelle Psychologen und Therapeuten müssen konsequent und rechtzeitig eingesetzt werden.
Im Sommer 2022 veröffentlichte die Bundesregierung die „Deutsche Strategie zur Stärkung der Resilienz gegenüber Katastrophen“. Über den Deutschen Beitrag des Sendai-Abkommens in den Jahren 2022 bis 2030 wird in der CP gesondert berichtet werden.
Crisis Prevention 1/2023
Dipl.-Ing. Albrecht Broemme
Brandassessor Vorstandsvorsitzender des
Zukunftsforum öffentliche Sicherheit e.V.
(ZOES), Berlin