Die gewaltigen Wassermassen der Ahr, eine katastrophale Flutwelle, reißen am 14. Juli 2021 Bäume, Autos, Häuser und Brücken mit sich. Als das Wasser zurückgeht, zeigt sich das gesamte Ausmaß der Zerstörung. Zwischen Schlammmassen finden sich Autowracks, Gebäudeteile und Unrat. Die Luft ist erfüllt von einem modrigen Gestank.
Sintflutartige Regenfälle verwandelten in vielen Bundesländern sonst ruhig dahinfließende Flüsse und Bäche in reißende Ströme. Ganze Ortschaften wurden überflutet, Häuser einfach weggerissen. Die Bundeswehr hat im Dauereinsatz in den Krisengebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bayern unterstützt – am Boden und in der Luft.
Diese Flutkatastrophe, die andauernde pandemische Lage oder die Aufnahme von Evakuierten aus Afghanistan zeigten in den letzten Monaten die Parallelität von Krisen- und Katastrophenlagen deutlich. Bei allen genannten Ereignissen ist die Flecktarn-Uniform der Bundeswehr Seite an Seite mit zivilen HelferInnen, prägte das Bild vor Ort und in den Medien. Die Bundeswehr unterstützt die zivilen Behörden und Einsatzkräfte, wie zum Beispiel Feuerwehr, Polizei oder THW. Dreh- und Angelpunkt ist hierbei das zur Streitkräftebasis (SKB) gehörende Berliner Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr (KdoTerrAufgBw), das im Auftrag des Nationalen Territorialen Befehlshabers, Generalleutnant Martin Schelleis, die Amtshilfe koordiniert und in der Bewältigung von „ad-hoc-Krisen“ schon in der jüngeren Vergangenheit umfangreiche Erfahrungen gesammelt hat. Es ist erprobt durch Hochwasser, Migrationskrise, Wald- und Moorbrände, Schneechaos und Flugzeugabstürze. Allein während des andauernden Corona-Einsatzes wurde die Bundeswehr über 9.000 Mal um Hilfe gebeten und hat diese auch geleistet – teilweise über Monate hinweg. „Unser territoriales Netzwerk und die jahrelange enge Zusammenarbeit mit den zivilen Ansprechpartnern in Behörden und Katastrophenschutz hat sich auch bei der Flutkatastrophe wieder bewährt und ermöglichte eine schnelle Hilfe in den betroffenen Regionen.“ so Brigadegeneral Andreas Henne, stellvertretender Kommandeur des KdoTerrAufgBw.
Sofortige Katastrophenhilfe durch die Streitkräfte
Dank unbürokratischer Soforthilfe, Eilverfahren und unverzüglicher Amtshilfe der Bundeswehr auch bei regulären Hilfeleistungsanträgen – möglich u.a. durch eingespielte Verfahren und Strukturen – konnte die Situation vor Ort etwas abgemildert werden. So waren im Ahrtal beispielsweise ein Großteil der Brücken durch die Wassermassen zerstört worden. Innerhalb von drei Tagen konnte die Bundeswehr sieben Behelfsbrücken zur Verfügung stellen, um den Verkehrsfluss und damit die Versorgung und Erreichbarkeit wieder sicher zu stellen. In den fast zwei Monaten kristallisierten sich drei Phasen der Unterstützung heraus: Zuallererst ging es natürlich um die Rettung von Menschen und die ggf. notwendige medizinische Versorgung, wofür Hubschrauber, geländegängige Fahrzeuge sowie Bergepanzer zum Räumen der Rettungswege eingesetzt wurden.
Die zweite Phase galt der Stabilisierung, das heißt zerstörte oder beschädigte Infrastruktur wurde behelfsmäßig wiederhergestellt. Kommunikationsnetze mittels Satellitenkommunikationsanlagen wurden dafür bereitgestellt. Zudem wurden die Wasser- und Abwasserversorgung sowie die Versorgung der Bevölkerung mit Verpflegung und Medikamenten sichergestellt.
In der dritten und letzten Phase, dem Wiederaufbau, wurden vor allem Straßen und Brücken behelfsmäßig instandgesetzt und übergeben. Mit dem Erreichen einer ausreichenden Grundversorgung und der Übernahme der verbliebenen Aufgaben vor Ort durch zivile Kräfte endete der sofortige Katastrophenhilfeeinsatz der Bundeswehr in den Hochwassergebieten.
Amtshilfe ist im Grundgesetz verankert
„Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe“, heißt es in Artikel 35 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Im Allgemeinen bedeutet das, dass auf dieser Grundlage die Bundeswehr gegenüber anderen Behörden Amtshilfe in vielfältiger Art und Weise leistet. Unterstützungsleistungen beziehungsweise Hilfeleistungen der Bundeswehr bei Naturkatastrophen sind Amtshilfe für sogenannte anforderungsberechtigte Dritte, darunter fallen im konkreten Fall Behörden. Diese Amtshilfe folgt dem Subsidiaritätsprinzip. Das heißt, erst wenn die erforderliche Hilfeleistung durch die eigentlich zuständigen Behörden der Gefahrenabwehr beziehungsweise des Katastrophenschutzes nicht oder nicht rechtzeitig erbracht werden kann, darf die Bundeswehr eingesetzt werden – in den Hochwassergebieten war dies der Fall.
Insgesamt wurden bei dieser Hochwasser-Hilfe 185 Hilfeleistungsanträge bewilligt und 58 Soforthilfen geleistet, um mit Großgerät und speziellen Fähigkeiten schnell und unbürokratisch den Behörden bei der Gefahrenabwehr zur Seite zu stehen. Die nun verbleibenden Aufgaben übernehmen die zivilen Kräfte. In 48 Tagen wurden bis zu 2.330 SoldatInnen mit mehr als 300 Fahrzeugen gleichzeitig in den Hochwassergebieten eingesetzt. Zudem waren bis zu zehn Hubschrauber bei der Rettung von Personen oder dem Transport von Material, sowie sieben Satellitenkommunikationsanlagen und drei Trinkwasseraufbereitungsanlagen gleichzeitig im Einsatz. Insgesamt unterstützte die Bundeswehr mit knapp 2,6 Millionen Litern an abgegebenen Kraftstoffen, das entspricht fast 58.000 vollgetankten Mittelklassewagen. Auf dem Landweg wurden insgesamt rund 3.060 Tonnen und über die Luft rund 100 Tonnen an Material transportiert.
Etablierte Strukturen und Spezialfähigkeiten
In der Regel geht einem Amtshilfe-Ersuchen bei Naturkatastrophen eine Meldung auf dem territorialen Strang voraus. Dessen Basis sind die 31 Bezirks- und 404 Kreisverbindungskommandos, die über die ganze Bundesrepublik Deutschland verteilt sind. Sie sind mit ortsansässigen Reservisten besetzt und zuständig für frühzeitige Beratung der zivilen Verantwortungsträger und damit für die zivil-militärische Zusammenarbeit vor Ort. Diesen Verbindungskommandos übergeordnet sind die 16 Landeskommandos mit einem eigenen Lagezentrum, welches die jeweils oberste territoriale Kommandobehörde der Bundeswehr in einem Bundesland darstellt.
Die Landeskommandos wiederum melden direkt dem KdoTerrAufgBw. In der Operationszentrale laufen rund um die Uhr alle Informationen zusammen und werden über den unmittelbaren „Draht“ zum Kommando Streitkräftebasis, mit dem Inspekteur der Streitkräftebasis und Nationalen Territorialen Befehlshaber in Personalunion an der Spitze verfügt. Im Falle einer entsprechenden Großschadenslage – in diesem Falle das Hochwasser – wird durch das Personal des jeweiligen Verbindungskommandos der lokale zivile Katastrophenschutzstab (oder vergleichbar) über die Möglichkeiten der Unterstützung durch die Bundeswehr beraten. Zudem ist das entsprechende Verbindungskommando auch dafür zuständig, ein entsprechendes Lagebild zu führen und dies im Rahmen territorialer Meldungen über das zuständige Landeskommando an das beauftragte, somit federführende Kommando in Berlin zu leiten. Teilweise sind Verfasser entsprechender Meldungen auch andere Dienststellen oder das regional zuständige Landeskommando selbst.
Viele der beim Hochwasser eingesetzten Fähigkeiten – wie Hubschrauber oder Bergepanzer – gehören nicht zum Verantwortungsbereich der Streitkräftebasis, können aber in solchen Situationen entweder per ministerieller Weisung oder – wie in kurzfristigen Katastropheneinsätzen üblich – per Militärischem Katastrophenalarm dem Kommando unterstellt werden. Der Kommandeur des KdoTerrAufgBw hat damit – im Auftrag des Nationalen Territorialen Befehlshabers – Zugriff auf fast alle Dienststellen der Bundeswehr und kann diese zum Ort der Hilfeleistung verlegen und einsetzen.
Insgesamt zeigte sich, dass sich die etablierten Strukturen und die enge Zusammenarbeit mit zivilen Organisationen wie THW oder Deutschem Roten Kreuz bei der sofortigen Katastrophenhilfe bewährt hat und dazu beitrug, dass der notleidenden Bevölkerung in den Hochwassergebieten schnell und unbürokratisch geholfen werden konnte.
Crisis Prevention 3/2022
Juliane Thümmel
E-Mai: kdoskbpizskb@bundeswehr.org