Wegweisende Tagung in turbulenten Zeiten
Führungskräfte der Johanniter im Bevölkerungsschutz treffen sich für zwei Tage beim NLBK in Loy
Sie gehören zu dem Besten, was der Bevölkerungsschutz der Johanniter-Unfall-Hilfe in Weser-Ems zu bieten hat. Rund 60 Führungskräfte, ausschließlich ernannte und ehrenamtlich aktive Gruppen-, Zug- und Verbandführende haben sich zu einer zweitägigen Fachtagung am Standort Loy des Niedersächsischen Landesamtes für Brand- und Katastrophenschutz (NLBK) getroffen. Am ersten Tag ging es in Vorträgen mit Diskussionsrunden um die grundlegenden Probleme und Herausforderungen des Bevölkerungsschutzes.
Heiner Mansholt, Fachbereichsleiter Bevölkerungsschutz und Einsatzdienste an der Johanniter-Akademie Campus Hannover, appellierte in seinem Vortrag an die Notwendigkeit des gemeinsamen Lehrens und Lernens im Bevölkerungsschutz.
„Der Bevölkerungsschutz bewegt sich nicht im luftleeren Raum. Er wird von den Veränderungen in der Umwelt, Gesellschaft aber auch der Wirtschaft maßgeblich beeinflusst“, sagte er.
Besonders Führungskräfte brauchen daher Orientierungswissen, das weit über Taktik hinausgehe. Sabine Krampitz, Personalentwicklerin im Johanniter-Landesverband Niedersachsen/Bremen, erläuterte die Teamrollen nach Dr. Raymond Meredith Belbin, die genauso im ehrenamtlichen Bereich von Bedeutung sind. Dabei muss nicht jeder alles können. Im Gegenteil: „Die Kombination von Team-Rollen macht Teams schlagkräftiger.“ Es sei Aufgabe der Führungskräfte, die jeweiligen Rollen zu erkennen.
Am zweiten Tag wurden in verschiedenen Workshops mit Referenten von Feuerwehr, Bundeswehr und aus den Reihen der Johanniter auf Landes- und Bundesebene die Fragen vertiefend erörtert.
„Es geht darum, dass wir uns weiterentwickeln“, betonte Regionalbereitschaftsführer Martin Hilse. „Die Abstände zwischen den Katastrophen werden immer kürzer, die Herausforderungen immer größer. Darauf müssen wir vorbereitet sein.“
Eine Ansicht, die „Hausherrin“ Susanne Küther, Abteilungsleiterin Verwaltung des NLBK, teilt: „Wir leben in turbulenten Zeiten.“ Auch Pascal Drewes, Dezernent Katastrophenschutz im NLBK, griff diesen Faden auf. „Wir leben ganz offensichtlich in einer Welt des Wandels“, sagte er in seiner Keynote für die Fachtagung Bevölkerungsschutz der Johanniter in Weser-Ems.
„Unser Ziel ist die Bevölkerung zu schützen. Das ist unsere Aufgabe, deshalb sitzen wir hier.“
Der Zivilschutz, der Schutz der Bevölkerung im Verteidigungs- oder Spannungsfall, sei ein wachsendes Thema.
„Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass die Welt in zehn Jahren eine andere ist“, sagte Drewes.
Niedersachsen komme dabei als zentral gelegenes Flächenland eine besondere Bedeutung als Umschlagplatz im Bündnisfall zu. Das ehrenamtliche Personal im Bevölkerungsschutz sei dabei eine tragende Säule.
„Das hat so kein anderes Land. Darauf können wir stolz sein.“
Als Beispiel nannte er unter anderem das Weihnachtshochwasser 2023, bei dem mehr als 100.000 ehrenamtliche Einsatzkräfte von unterschiedlichen Organisationen gegen die Fluten kämpfte. „Das hat soweit gut geklappt. Es wurden keine großen Siedlungsgebiete überflutet.“
Auch in Europa gelte der deutsche ehrenamtlich getragene Bevölkerungsschutz als zuverlässiger Partner. Kräfte waren unter anderem in Nordmazedonien, Griechenland und der Türkei im Einsatz.
Trotzdem hat auch das NLBK Wünsche und Forderungen an die Hilfsorganisationen. Es werde zum Beispiel eine Vereinheitlichung von Einheiten angestrebt. „Wir wollen wissen, was genau da kommt, wenn uns etwas angekündigt wird.“ Noch sei es so, dass innerhalb von Hilfsorganisationen gleiche Namen für Einheiten mit unterschiedlicher Ausstattung verwendet werden. Die Johanniter in Weser-Ems seien da schon sehr weit vorne. Zudem muss besser aufgezeichnet werden, wenn Einheiten doppelt verplant werden. Es sei zulässig, Sanitäts- und Betreuungsgruppen sowohl im Behandlungsplatz 50 als auch im Betreuungsplatz 500 zu melden. „Wenn wir alarmieren, muss das kommen, was wir erwarten.“ Dazu gehöre, dass benannte Einsatzkräfte auch tatsächlich verfügbar sind. Problem könne hier die eigene Betroffenheit sein. All das sei zu bedenken und mit den Hilfsorganisationen zu planen. Aber, so Drewes, er sei zuversichtlich, dass durch das frühzeitige Planen der Bevölkerungsschutz in Niedersachsen auf die kommenden Herausforderungen gut vorbereitet ist.
„Die Johanniter sind dabei wie die anderen beteiligten Organisationen ein wichtiger, unverzichtbarer Teil.“
Das „unverzichtbar“ griff Markus Wedemeyer, Mitglied im Regionalvorstand und im Stab außergewöhnlicher Ereignisse in Weser-Ems (SAE), auf. In seinem Vortrag zur Zukunft des Ehrenamts war seine Prognose alles andere als rosig. Das Kernproblem sei das enorme finanzielle Defizit im Wirtschaftsplan des Regionalverbandes durch den Katastrophenschutz.
So unverzichtbar dieser Bereich ist, so utopisch ist die Finanzierung - auch weil seitens der öffentlichen Hand die nötigen Handlungen fehlen:
„Mit Blumen und schönen Worten werden wir überschüttet. Die Wahrheit dahinter sieht etwas anders aus. Unterm Strich kommt nicht das, was unsere Leute für ihren Auftrag brauchen.“
Und die Lage werde sich in den nächsten zehn Jahren zuspitzen. Im Bundeshaushalt 2023 wurde für die innere Sicherheit nur ein vergleichsweise niedrigen Prozentsatz veranschlagt. Wedemeyer glaubt, der Druck werde wachsen in den nächsten Jahren, da sich beispielsweise auch beim Thema Rente und Gesundheitsversorgung die Lage weiter zuspitzen wird. Es sei der Anfang eines Verteilungskampfes: „Der Kuchen ist einfach zu klein für alle.“ Daraus folgert er, es sei „völlig unrealistisch“, dass das Defizit der JUH durch den Katastrophenschutz durch den Staat gedeckt wird. Und die Richtung ist klar: Auf lange Sicht werden auch Küchen und große Geräte ersetzt werden müssen und die Kosten enorm steigen. Schon jetzt muss der Regionalvorstand jedes Jahr ein sechsstelliges Minus begründen.
Seine Lösung:
„Wir müssen unverzichtbar sein.“
Kurz gesagt muss es unmöglich sein ohne enorme Nachteile den Katastrophenschutz abzuwickeln. Das funktioniere nur, wenn der Katastrophenschutz zeige, wozu er in der Lage ist und wozu er gebraucht wird: in kürzester Zeit Strukturen in einer hohen Qualität aufzubauen. Sei es, um Flüchtlingsunterkünfte einzurichten, Impfzentren aufzubauen und vieles mehr. Es ist eine große Aufgabe, die der Redner den rund 60 Führungskräften aus ganz Weser-Ems auf die Schultern lud. Doch das Beispiel Göttingen vor zwei Wochen zeigte, dass es alles andere als unmöglich ist. Die dortigen Johanniter wurden im Zuge einer Bombenräumung angefordert, um für mehrere hundert Menschen Betreuungsmöglichkeiten zu schaffen. Wedemeyer sagte nicht ohne Stolz:
„Denn das können nur wir.“
Über die Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. – Regionalverband Weser-Ems
Die Johanniter-Unfall-Hilfe ist mit rund 35.000 Beschäftigten, mehr als 46.000 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern und 1,2 Millionen Fördermitgliedern eine der größten Hilfsorganisationen in Deutschland und zugleich ein großes Unternehmen der Sozialwirtschaft. Die Johanniter engagieren sich in den Bereichen Rettungs- und Sanitätsdienst, Katastrophenschutz, Betreuung und Pflege von alten und kranken Menschen, Fahrdienst für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Hospizarbeit und anderen Hilfeleistungen im karitativen Bereich sowie in der humanitären Hilfe im Ausland. Der Regionalverband Weser-Ems ist bundesweit einer der größten Johanniter-Verbände. Mehr als 1200 hauptamtliche Mitarbeitende und fast 3000 ehrenamtlich Helfende engagieren sich in 19 Ortsverbänden mit mehr als 100 Betriebsstätten für die Menschen. Alleine im Bereich Kindertagesstätten betreiben die Johanniter in Weser-Ems aktuell zehn Einrichtungen mit mehr als 700 Plätzen. Mit der Offshore-Rettung, dem Gas- und Brandschutzservice, Praxen für Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie und weiteren exklusiven Leistungen gilt er als Innovationsmotor für neue Entwicklungen. In Weser-Ems befindet sich zudem die Hausnotruf-Zentrale des Landesverbands Niedersachen/Bremen mit mehr als 50.000 Teilnehmenden.
Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.
Regionalverband Weser-Ems
Stefan Greiber Fachbereichsleiter Marketing und Kommunikation
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