Digitalisierung im Bevölkerungsschutz: Corona-Maßnahmen als "Pushfaktor"

4. Forum Bevölkerungsschutz der Johanniter

Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.

Das Forum Bevölkerungsschutz der Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. des Landesverbandes Niedersachsen/Bremen hat in seiner vierten Ausgabe coronabedingt nicht nur digital stattgefunden, sondern hat auch die Digitalisierung im Bevölkerungsschutz zum Hauptthema gemacht.

Vor mehr als 240 Teilnehmern im virtuellen Forum stellte Kathrin Stolzenburg vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Referat IV.1 – Strategische Führung und Leitung, Notfallvorsorge und -planung, Pädagogische Grundlagen und Qualitätsmanagement, die Digitalisierung im Bevölkerungsschutz zur Diskussion. Der Wandel im Bevölkerungsschutz sowohl im Bereich der Technik als auch auf dem Feld hin zur Wissensgesellschaft sei bereits seit Jahren in vollem Gange – siehe Digitalfunk, E-Learning, Drohneneinsatz, digitale Einsatzführung – und das an vielen unterschiedlichen Orten in Deutschland. 

Einen im Detail durchstrukturierten Plan für eine Digitalisierung im KatS gebe es allerdings nicht, so die Referentin. Vielmehr orientierten sich die Einzelentwicklungen an der üblichen Digitalstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung – „Digitale Zukunft: Lernen. Forschen. Wissen“ – mit den Themenfeldern Hightech-Strategie, Digitale Agenda, Strategie zur künstlichen Intelligenz, Nachhaltigkeitsstrategie, Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft und Nationale Weiterbildungsstrategie. Damit allerdings auch zukünftig der Bevölkerungsschutz im Rahmen der Digitalisierung weitere Schritte gehen könne, müsse es konkrete Lösungen zu den Herausforderungen des digitalen Wandels geben. 

JUH Forum zur Digitalisierung des Bevölkerungsschutzes
Digitalisierung des Bevölkerungsschutzes
Quelle: Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.

Corona-Maßnahmen als "Pushfaktor" im Bevölkerungsschutz

Eine besondere Rolle spiele die „Digitale Bevölkerungsschutzpädagogik“, denn zukünftig brauche es weitere Kompetenzen bei Einsatzkräften, um digitales Wissen im Einsatz auch anwenden zu können – denn ohne Pädagogen sei Bildung nicht möglich. Gerade in diesem Bereich hätten sich die Corona-Maßnahmen als „Push-Faktor“ bemerkbar gemacht. So habe etwa das digitale Lernen beispielsweise an der Johanniter-Akademie und anderen Bildungseinrichtungen des Bevölkerungsschutzes große Fortschritte gemacht. Jetzt müssten diese Fortschritte verstetigt werden. 

Stolzenburg warnte, in Nach-Corona-Zeiten etwa von digitalen Lernlösungen wieder Abstand zu nehmen, gerade auch im Hinblick auf Herausforderungen und Risiken, die während des Transformationsprozesses gemeistert werden müssten, und verweist auf Bedingungen, die Voraussetzung für eine Digitalisierung sind: die minimale Funktionsfähigkeit von Infrastruktur (ohne Internet kein Datenaustausch), der Wille zur Digitalisierung, genaue Zielsetzung, die richtigen Ressourcen. Benötigt werde sozusagen ein Gesamtpaket, damit die Digitalisierung im Bevölkerungsschutz gut gelinge. "Politik muss verstehen, was Ausführende und Lehrende im Bevölkerungsschutz brauchen", sagte Stolzenburg.

Lernen im virtuellen Klassenzimmer

Das Thema "Digitale Bevölkerungsschutzpädagogik" nahm Heiner Mansholt, Fachbereichsleiter an der Johanniter-Akademie Niedersachsen/Bremen, in den Blick. Unter dem Titel "Ausbildung der Führungskräfte – Digital" berichtete Mansholt über die bereits vor Corona gestartete Initiative der Johanniter, die Führungskräfteausbildung in ein Blended-Learning-Format zu bringen – eine Vorarbeit, auf die in der Krise zurückgegriffen werden konnte, um durch E-Lectures Lernen auf Distanz im Bevölkerungsschutz zu ermöglichen. Mit dem Blick auf den „Flipped Classroom Approach“ wurde zudem in die Zukunft geschaut: "Was bleibt nach Corona digital in der Bevölkerungsschutzpädagogik?"

Bereits seit 2018 arbeiten die Johanniter an der Umgestaltung der Führungskräfteausbildung im Bevölkerungsschutz. Dabei wird konsequent ein Blended-Learning-Ansatz verfolgt, in dem eine vorgelagerte Onlinephase mit Präsenzunterricht an der Johanniter-Akademie verbunden wird. „Wir haben aber auch am Inhalt und der Kursdurchführung insgesamt gearbeitet“, sagte Heiner Mansholt. So gebe es jetzt insgesamt fünf Lern- und Handlungsfelder, mit denen der Blick vom reinen Führen im Einsatz etwa auch auf den Helferalltag oder Sanitätsdienste geweitet werde. Hinzu komme eine Ausrichtung auf die kumulative Bewertung der Teilnehmer/-innen mit hoher Feedbackkultur.

 Ausgehend von dieser Entwicklung sei es konsequent gewesen, die Kurse im coronabedingten Lockdown nicht einfach auszusetzen. "Wir sind auf virtuelle Klassenzimmer umgestiegen, die Praxisphase haben wir stark verkürzt und so aufgelockert, dass sie auch unter den Hygieneschutzbedingungen umzusetzen ist", so Mansholt. Dieser "gezwungene" Digitalisierungsschub habe der Akademie aber gutgetan: "Unsere Kompetenzen in der Produktion von Lehr- und Lernmedien sind gestiegen." So gebe es inzwischen digitale Lernpakete oder Onlinetrainings zum Thema Lageerkundung, die in der E-Lecture-Phase unterstützend zum Einsatz kämen. Insgesamt sei so ein effektives Lehr-/Lernsetting entstanden, in dem digitale und analoge Elemente verknüpft seien. "In dem Format haben angehende Führungskräfte die Chance, sich intensiv mit den Lerninhalten zu beschäftigen und ihr Wissen dann in der kompakten Praxisphase anzuwenden. Dass das sehr gut funktioniert, zeigen auch die Ergebnisse der Lehrgänge", wie Heiner Mansholt erläuterte.

Denkansatz "Flipped Classroom Approach"

Es sei deshalb konsequent und richtig, jetzt darüber nachzudenken, was nach Corona von diesen Digitalisierungsansätzen bleibe und verbessert werden könne. Ein Denkansatz stelle dabei der sogenannte "Flipped Classroom Approach" dar. Hier gehe es darum, theoretische Inhalte mit gut aufbereiteten Materialien selbstständig zu erarbeiten und diese dann in einer Präsenzphase in die Praxis umzusetzen, zu vertiefen und zu reflektieren. Heiner Mansholt erläuterte die Bedeutung dieser Vorgehensweise für die Bevölkerungsschutzpädagogik: "Der Flipped Classroom Ansatz betont den hohen Wert der Präsenzzeiten. Wichtiger als die Stoffvermittlung ist der Austausch mit anderen Lernenden und Lehrenden, um zu einem tieferen Verständnis und Handlungssicherheit zu kommen."

Dabei seien vier Säulen besonders wichtig und könnten zur methodisch-didaktischen Reifung des Kursdesigns beitragen: 

  1. die Bereitstellung flexibel nutzbarer Lehr-/Lernsettings mit synchronen und asynchronen, digitalen Bausteinen, 
  2. eine konsequent lernzentrierte Lernkultur, bei der Teilnehmer/-innen und Dozierende zu Co-Educatoren und Co-Educanten würden,
  3. die Bereitstellung relevanter Lehr-/Lernmaterialien mit guten Erklärungsansätzen, wobei es nicht nur um Lernvideos gehe, diese aber von zentraler Bedeutung seien, und 
  4. eine neue Rolle des Lehrenden, der sich als professioneller Begleiter, Ermöglicher und Feedbacker verstehe. Es gehe also nicht um die Aufgabe der Dozentenrolle, sondern um eine Neudefinition.

Ab 2021 stünden an der Johanniter-Akademie Niedersachsen/Bremen deshalb die ersten Kurse im Programm, die konsequent diesen Ansatz verfolgen. Es bleibe daher spannend, wie sich der Ansatz in der Bevölkerungsschutzpädagogik bewährt.

Drohnen - Schritt für Schritt zum Einsatz

Die technische Digitalisierung nahm Frank Potthast, Fachexperte für Drohneneinsatz, in den Blick und legte seine Sicht der Dinge dar. Im ersten Schritt wies Potthast darauf hin, dass man sich im Vorfeld intensiv mit einigen Fragen beschäftigen müsse, bevor zur Tat geschritten werde. Welche rechtlichen Grundlagen gelten? Was ist mit der Haftung bei Schäden? Was braucht es für einen einsatzfähigen Drohnentrupp? Und welche Drohne ist überhaupt geeignet?

Als einen ersten, wichtigen Schritt erläuterte Potthast die Erstellung eines gemeinsamen Einsatzkonzeptes. Dieses Konzept mit einer Festlegung der Einsatzszenarien aller Akteure, die am Einsatz des zukünftigen Drohnensystems und seinen Möglichkeiten partizipieren würden, stelle die Basis der Beschaffung dar. Erst auf dieser Basis sei es möglich, die technischen Anforderungen an das oder die Drohnensystem(e) zu bestimmen, denn die „eierlegende Wollmilchsau“ unter den Drohnen gebe es nicht.

So könnten für Presse- und Medienarbeit einfache und kostengünstige Systeme beschafft werden. Für Großschaden- oder Gefahrgutlagen würden Geräte mit besonderen Eigenschaften und Sensoren benötigt. Gerade bei der Sensorik seien große Unterschiede zu beachten. So könne beispielsweise für eine Brandwache eine einfache Wärmebildkamera mit einer Auflösung von 320 x 240 Pixeln eingesetzt werden. Für eine Personensuche im Hochsommer sei diese niedrige Auflösung allerdings ungeeignet, so Potthast. Hier sei eine radiometrische Wärmebildkamera mit mindestens 640 x 480 Pixeln sinnvoll, die die Temperatur einer Oberfläche misst, indem die Intensität eines auf die Kamera auftreffenden Infrarotsignals interpretiert wird.

Das radiometrische Verfahren erlaube dem Luftbildauswerter, direkt Pixel auszuwählen, um präzise Temperaturmessungen vorzunehmen, oder alternativ die Auswahl eines Bereiches mit einer Festlegung des Temperaturminimums und -maximums, um eine Präzisierung der Bildauswertung zu erreichen. Nach der Gewinnung stehe die Einspeisung der Daten in die Lagedaten an, auch hier sei bei der Beschaffung vorher abzuklären, welche Schnittstellen und Datenformate benötigt werden. Aber was bringe die modernste Technik, wenn das Einsatz- und Bedienpersonal fehle oder schlecht ausgebildet sei. Ein Standardtrupp, so Potthast, sollte aus der Stärke 0/1/2 bestehen – ein Fernpilot, ein Luftraumbeobachter und ein Luftbildauswerter. Bei Großschadenlagen kämen noch ein UAV-Flugleiter und -Melder hinzu. 

In den "Empfehlungen für Gemeinsame Regelungen zum Einsatz von Drohnen im Bevölkerungsschutz" des BBK gebe es Angaben zu den Ausbildungsinhalten. "Die bisherigen Schulungen von ein bis zwei Tagen entsprechen diesen Angaben nicht und führen sehr häufig zu Fehlern und Vorkommnissen im Einsatz", sagte Potthast. Seien aber zu Beginn alle Aspekte der Akteure bedacht, der finanzielle Rahmen an die technischen Bedürfnisse angepasst und die BOS-Flugausbildung absolviert worden, so stehe einem erfolgreichen Einsatz nichts im Weg. "Technisch angepasste Drohnen, ob an Land, im Wasser oder in der Luft, sind in Zukunft ein Einsatz- und Führungsunterstützungsmittel, das hilft, Gefahren und Risiken für Einsatzkräfte und Betroffene zu minimieren. Zudem senkt es Einsatzkosten und -zeiten und reduziert Schäden", so Potthast. "Um mit der technischen Drohnenevolution Schritt zu halten, werden Standards benötigt. Diese müssen definieren, welche Technik für welchen Einsatzzweck benötigt wird. Als Beispiel stände eine festgelegte Kaskadierung der Drohnenklassen der DV 2020/1058 an, um sicherzustellen, dass auch nur geeignete Drohnen in den jeweiligen Einsatzszenarien eingesetzt werden", sagte Potthast. 


Über die Johanniter-Unfall-Hilfe e. V.

Die Johanniter-Unfall-Hilfe ist mit rund 25.000 Beschäftigten, mehr als 40.000 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern und 1,2 Millionen Fördermitgliedern eine der größten Hilfsorganisationen in Deutschland und zugleich ein großes Unternehmen der Sozialwirtschaft. Die Johanniter engagieren sich in den Bereichen Rettungs- und Sanitätsdienst, Katastrophenschutz, Betreuung und Pflege von alten und kranken Menschen, Fahrdienst für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Hospizarbeit und anderen Hilfeleistungen im karitativen Bereich sowie in der humanitären Hilfe im Ausland. Weitere Informationen dazu finden Sie unter www.johanniter.de.

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