05.06.2023 •

Herausforderungen der Polizeibehörden und deren zukünftige Implikationen

Stephan Ursuleac

Stephan Ursuleac

Die digitale Transformation bietet Chancen, stellt die Gesellschaft und die Sicherheitsbehörden jedoch gleichzeitig vor enorme Herausforderungen. Sie verändert die Kriminalitätsformen der analogen Welt und beeinflusst immer stärker die operative und strategische Arbeit der Polizei. Über Jahrzehnte in der analogen Welt erprobte Prozesse und Strukturen kommen immer stärker an ihre Grenzen oder erreichen ihre Obsoleszenz. Der technologische Wandel vollzieht sich zudem in immer schnelleren Zyklen und erfordert oft neue Ansätze, Plattformen und Lösungen. Das polizeiliche Gegenüber agiert zunehmend technologisch versierter, agiler, arbeitsteiliger und internationaler. Sicherheitsbehörden müssen sich diesen Gegebenheiten flexibel anpassen, um Schritt halten zu können. Dies benötigt eine strukturierte Vorausschau gegenüber neuen Trends und Technologien sowie aktive Hinterfragung aktueller Strukturen und die Fähigkeit, Erkenntnisse schnell und flexibel umzusetzen. Das gelingt nur im gemeinsamen Schulterschluss zwischen Behörden, Wirtschaft und Wissenschaft und der Etablierung eines digitalen Mindsets.

Dabei ergeben sich für die aktuelle Arbeit der Polizei vier zentrale Herausforderungen:

Der Umgang mit immer größeren Datenmengen, Datenschutz, die Abwägung von Einzel- vs. Verbundlösungen, New Work im Rahmen der Polizeiarbeit. Diese aktuellen Herausforderungen erweitern sich in Wechselwirkung mit zukünftigen Trends, deren Ansätze sich bereits in der Gegenwart abzeichnen. Zu diesen zählen eine sich verändernde Mobilität, die weitere Globalisierung des Verbrechens, die zunehmende Konnektivität durch eine digitale Gesellschaft, neue Anforderungen an das Human Capital sowie sich erweiternde Bedürfnisse und Möglichkeiten der New Work.

Immer größere Datenmengen
und ­zunehmende Konnektivität

Weltweit beträgt das Datenvolumen etwa 64,2 Zettabyte. 2025 werden es laut Europäischer Kommission bereits 175 Zettabyte sein. Durch das Internet der Dinge werden immer mehr Geräte miteinander verbunden, was die Datenmengen stetig erhöht. Bereits heute sind weltweit ca. 40 Milliarden Geräte vernetzt. Das Verarbeiten großer Datenmengen ist bereits heute eine große Herausforderung für die Sicherheitsbehörden, da der Großteil der Daten unstrukturiert ist. Durch den weiteren Anstieg an Sensoren, mobilen Endgeräten (Smartphones, Tablets etc.) sowie den steigenden Kapazitäten auf Speichermedien, wird diese Herausforderung immer größer. Hinzu kommt, dass sich Kriminalitätsphänomene immer weiter in den digitalen Raum verlagern und Sicherheitsbehörden stärker mit Daten in digitaler Form konfrontiert sind. Die steigende Konnektivität kann der Polizei jedoch auch nutzen: Informationen werden schneller und effizienter erhältlich. Durch die Verbindung verschiedener Arten von Sensoren, die Daten in Echtzeit liefern, kann die Polizei ein besseres Lagebild erreichen. Auch die Verarbeitung von Informationen und die Kommunikation zwischen den Behörden wird schneller, was für Einsätze und Ermittlungen von Vorteil ist. Dies erfordert jedoch den Aufbau von weiteren Behördenkompetenzen, u. a. in der digitalen Forensik, der Open Source Intelligence (OSINT) und der Analyse von Big Data. Es stellen sich technische Fragen nach Speicherkapazitäten, Rechenkapazitäten sowie geeigneter Software zur Auswertung dieser Daten. Die schiere Menge an Daten bringt infrastrukturelle Herausforderungen mit sich, welche nicht mit herkömmlichen Datenträgern abgefangen werden können. Zusätzliche Kapazitäten schaffen Rechenzentren (RZ). Dabei verlieren ortsgebundene RZ, sogenannte »On Premise« Rechenzentren gegenüber Cloudbereitstellungsmodellen zunehmend an Bedeutung. Vor dem Hintergrund einer länderübergreifenden digitalen Kriminalität und einer immer höheren Datenmenge besteht der Bedarf, ortsungebundene, offene und VS-gebundene Daten abrufen zu können. Eine Vernetzung soll Schnelligkeit schaffen und Redundanzen verhindern.

Die Infrastruktur muss gleichzeitig mit einem aktiven Wissensmanagementsystem ausgestattet sein. Die eingesetzte Software sollte daher große Datensätze strukturiert und nutzerfreundlich bearbeiten können. Dort entstehende Datenräume sind auf gemeinsamen Standards (oder Werten, Technologien, Schnittstellen) aufzubauen, was die Transaktion von Daten erlaubt und befördert. Die Software stellt somit nicht nur ein Datenhaus zur Verfügung, sondern auch die Voraussetzung für die sinnvolle Nutzung von mobilen Kommunikationstechnologien (z. B. Edge-Computing). Solche komplexen Systeme lassen sich kaum in Eigenentwicklungen lösen oder gar betreiben. Da Software komplex ist (z. B. aufgrund mehrerer zehntausend Zeilen Programmiercode), lässt sie sich nicht mehr vollständig testen. Veränderungen am Code, um z. B. im operativen Betrieb erkannte Fehler der Software auszugleichen, können neue Fehler generieren. Daher bedarf es einer ständigen Arbeit an und mit der Software. Vor allem hinsichtlich geeigneter Software sollte ein eigenes Ökosystem aus Sicherheitsbehörden, Wirtschaft und Wissenschaft entstehen, um Zugang zu zukunftsfähigen Lösungen zu erhalten. Dies fördert die digitale Souveränität. Diese strebt nicht nach Autarkie. Es gilt die Wahl zu haben, zwischen eigenen Optionen und denen von vertrauensvollen (auch internationalen) PartnerInnen.

Konnektivität wird auch die New Work der Polizeiarbeit beeinflussen. Dabei geht es nicht nur um Konzepte des mobilen Arbeitens, da diese oftmals gar nicht realisierbar sind. Stattdessen ist es ein Mindset zum Paradigmenwechsel. New Work umfasst die Fähigkeit, neue Organisationsstrukturen umzusetzen, in denen Mitarbeitende sich, gemäß ihren Fähigkeiten, entfalten. Sie ist demnach zunächst »New Leadership«. Führungskräfte entwickeln bestmögliche Rahmenbedingungen und motivieren Mitarbeitende, damit diese ihr volles Potenzial entfalten können. Dazu benötigen Führungskräfte auch Wissen um neue Technologien. Auch im operativen Dienst kann New Work zukünftig administrative ­Prozesse vereinfachen und beschleunigen. So könnte ein Streifenwagen durch digitale Lösungen nach einer Festnahme die vorhandenen Daten (z. B. durch Bodycams, Umgebungssensoren und Daten etc.) nutzen, um Einsatzberichte vorzubereiten. Polizeibehörden könnten noch während der Fahrt als „People in the Loop“ die aufbereiteten Berichte freigeben und weitere Maßnahmen einleiten, anstatt später mehrere Stunden bürokratische Tätigkeiten auszuführen.

Polizei der Zukunft sollte sich auf Techno­logie, Datenanalyse und die Interaktion mit dem Menschen konzentrieren

Trends wie die Themengebiete einer neuen Mobilität und Smart Cities sowie die New Work für die Arbeit der Polizeibehörden müssen zukünftig berücksichtigt werden. Im Zuge der steigenden Konnektivität kommt es in den Städten und Gemeinden der Zukunft zu einer vernetzten Interaktion zwischen Infrastruktur, Sicherheitsbehörden und BürgerInnen. Polizeibehörden werden sich bei der zukünftigen Mobilität durch autonom fahrende Verkehrsmittel, Drohnen und Flugtaxis und einer gesteigerten Anzahl an Sensoren und Kameras mit einer smarten ­Verkehrs- und Einsatzführung befassen müssen. Dies geht über „Grüne Wellen“ bei Ampelsystemen hinaus. Vielmehr geht es um ein aktuelles Lagebild, bei dem Einsatzkräfte gezielt in Notsituationen gelenkt werden. Außerdem können die durch die Smart Cities vorhandenen, öffentlichen Informationen zur Verfolgung von Tatverdächtigen genutzt werden. Drohnen, Sensoren oder Maschinen wie der Roboterhund SPOT könnten zur Überwachung von Räumen, z. B. kritischer Infrastrukturen eingesetzt werden. Diese technischen Hilfsmittel können dorthin gelangen, wo es für menschliche Einsatzkräfte zu gefährlich ist oder Such- und Rettungsaktionen unterstützen. Auch die Präsenz im öffentlichen Raum ließe sich damit steigern. Dazu wird auch der Einsatz von KI-Systemen eine Rolle spielen, um die Masse an Daten auszuwerten, Bedienstete zu entlasten und Informationen zu verbinden. Dies ist selbstverständlich mit einer ethischen Debatte verbunden. Ziel sollte nicht die Schaffung eines Überwachungsstaates sein, sondern die Förderung effektiver und effizienter Sicherheitsbehörden. Dies kann neue personelle Kapazitäten freisetzen, um Polizeiarbeit verstärkt auf die Gemeinschaft zu fokussieren. Die menschliche Interaktion mit lokalen gemeinschaftlichen Stakeholdern kann die Ursache von Kriminalität, z. B. in sozialen Brennpunkten stärker angehen, Vertrauen schaffen und Sicherheitsprobleme gezielter adressieren.

Herausforderungen der Polizeibehörden und deren zukünftige Implikationen
Quelle: bitkom

Die Grundlage für die Entwicklung von KI-Lösungen bietet der AI-Act auf EU-Ebene. Dieser enthält jedoch im derzeitigen Entwurf einen fatalen Konstruktionsfehler. So werden u. a. Klagemöglichkeiten gegen KI-Anwendungen sehr leicht zugänglich gestaltet und gleichzeitig Haftungskriterien für Anwendende von KI nicht spezifiziert. Dies führt zu rechtlichen Unsicherheiten und mangelnder Risikoabschätzung, was die Entwicklung von KI-Systemen in Europa erheblich einschränken könnte – trotz vorhandener Ausnahmetatbestände für KI-Anwendungen in Sicherheitsbe­hörden.

All diese Prozesse haben große Anforderungen an die Aspekte Datenschutz und Informationssicherheit, die an anderer Stelle weiter vertieft werden können.

Die Sicherheitsbehörden müssen befähigt sein auf Augenhöhe mit ihren PartnerInnen zu agieren. Dies erfordert ein neues Human Capital, bzw. eine erweiterte Ausbildung. Dabei ist der Erwerb eines Grundlagenverständnisses der IT für alle Bediensteten verpflichtend, um technische Zusammenhänge und Funktionsweisen nachvollziehen zu können. Dadurch werden Mitarbeitende befähigt, den steigenden Anforderungen durch die digitale Trans­formation zu begegnen. Dieses neue Human Capital umfasst dann – neben den vorhandenen Aspekten im Umgang mit Menschen – interkulturelle Kompetenz, das Wissen über rechtliche Fragen und ein technisches Verständnis für die verschiedenen Ausrüstungen und Systeme.

Die Notwendigkeit, über diese Aspekte nachzudenken, ergibt sich vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der zunehmenden Internationalisierung des Verbrechens.

Globalisierung des Verbrechens erfordert verstärkte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden

Die Globalisierung ermöglicht es dem Verbrechen über Grenzen hinweg zu operieren, wodurch sich eine Aufklärung erschwert. Tatbestände wie Geldwäsche, Menschenhandel, Terrorismus und Drogenhandel sind in den letzten Jahren zu einer globalen Herausforderung mit lokalen Implikationen geworden. Auch Cyberkriminalität und die Verbreitung von Falschinformationen im Internet haben zugenommen und werden aufgrund der steigenden Konnektivität weiter zunehmen. Allein 2022 waren laut einer Bitkom-Studie neun von zehn Unternehmen in Deutschland direkt oder indirekt von Cyberkriminalität betroffen. Der Schaden betrug über 200 Milliarden Euro. Die Verantwortlichen kommen meist aus dem Ausland. Um auf diese neuen Herausforderungen effektiv zu reagieren, bedarf es einer stärkeren Vernetzung der nationalen und internationalen Sicherheitsbehörden und der Zu­-
sammenarbeit mit der Wirtschaft und Gesellschaft zur Infor­mationssicherheit. Dazu benötigen die Sicherheitsbehörden auch den bereits genannten Zugriff auf Expertise aus ihrem Ökosystem mit Wirtschaft und Wissenschaft.

Die Organisation der Polizei ist gemäß den föderalen Strukturen jedoch Ländersache. Die Erfahrungen der Länder zeigen, dass ein einheitliches Vorgehen herausfordernd ist. Dabei spielen Souveränitätsvorbehalte sowie wirtschaftspolitische Überlegungen eine Rolle. Es gilt zu klären, welche eigenen Fähigkeiten die Sicherheitsbehörden haben, um z. B. allein Innovationen zu entwickeln bzw. diese umzusetzen. Im Gegenzug ist abzuschätzen, wie agil ein gemeinsamer Verbund agieren kann. Entscheidend für diese Wahl, bzw. die Notwendigkeit zwischen Verbund und Einzellösungen sind die Faktoren: Innovationsfähigkeit, Budget, Politik und rechtliche Aspekte der einzelnen Länder.

Die aufgezeigten Herausforderungen der Polizei und zukünftige Implikationen durch die digitale Transformation erfordern zunehmend eine Zusammenarbeit der Betroffenen. Nur so kann es uns gelingen, öffentliche Sicherheit smart, vernetzt und an den Bedürfnissen der Gemeinschaft auszurichten und aktiv zu gestalten. 



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