06.03.2023 •

Ahrtalflut und Spontanhelfende

Andreas Karsten, Stefan Voßschmidt, Martha Wingen

Donnerstagmorgen (11 Std. nach der Flut), Blick vom Kanonenwall in Ahrweiler
S. Voßschmidt

„Es gibt fast nur positive Erfahrungen im Ahrtal und anderenorts mit Spontanhelfenden, der professionelle Katastrophenschutz muss sie endlich als gleichberechtigte Partner ansehen“. So pointiert fasste Andreas Karsten, Präsident des Vereins DGSMTech das Ergebnis der sehr intensiven Diskussion zusammen. „Gemeinsam müssen wir daran arbeiten diese Fortschritte im Denken nachhaltig in die Praxis umzusetzen“, fordert Karsten weiter.

Dieses Thema wurde im Rahmen einer Podiumsdiskussion bei der Fachtagung Katastrophenvorsorge des DRK im Oktober 2021 behandelt:


1. Die Podiumsdiskussion begann mit zwei persönlichen Zugängen:

Stefan Voßschmidt schilderte seinen Fußweg von seiner Arbeitsstätte Ramersbacher Berg (AKNZ/BABZ) ins Tal und zur Ahrtorbrücke. 

Am 14. Juli 2021 abends gegen 22:40 Uhr standen viele Menschen auf der Ahrtorbrücke. Sie schauten in das Wasser, sahen die braune Flut und die Baumstämme darin treiben. Aber trotzdem herrschte ein Gefühl der Erleichterung. Irgendwie hatten alle die Meldung erhalten, die Pegelstände in Altenahr sind gefallen. Die freiwillige Feuerwehr war vor Ort, räumte Sandsäcke weg. Es war ein Gefühl der Erleichterung. Tagelang hatte es geregnet, teilweise gegossen. Aber seit 18:00 Uhr hatte der Regen aufgehört und es begann ein schöner lauer Sommerabend. Niemand empfand das Risiko oder die Gefahr. Der Begriff der „wilden“ Ahr war weit weg. 

 Die Entwarnung war ein Fake. 45 Minuten später ging in Ahrweiler die Sirene. Eine Stunde später (23:40 Uhr) kam es zu einer Verklausung der Brücke und das Wasser kam mit Macht. 50 cm von einer Minute zur anderen überall in Ahrweiler. Einfach so hereingelaufen. Erst jetzt wurde deutlich, wie tief die Altstadt liegt. Menschen wateten im Dunkeln durch die braune Brühe. Der Strom war abgestellt. Die Pufferung der Sendemasten funktionierte nicht; Kein Telefon, kein Handy, kein Internet. Nur der Kegel der Taschenlampen. Schlimm aber beherrschbar. 

 Eine halbe Stunde später kam Welle Nr. zwei: Da war es ein Meter. Die Menschen kämpften gegen die Flut. PKW schwammen vorbei. Es wurde gefährlich. 20 Minuten später: Welle Nr. 3: Das Wasser stand anderthalb Meter. Auch SUV und Campingbus trieben wildblinkend die Straßen entlang. Ein Katastrophenfall ungeahnten Ausmaßes. Und Ahrweiler Innenstadt hatte Glück: Der ganze tiefliegende Ort zwar mintestens anderthalb Meter unter Wasser, aber in Altenahr, Schuld etc.  und Bad Neuenahr waren die Flutwellen sechs bis sieben Meter hoch. Ganze Häuser wurden weggerissen. Noch in Sinzig an der Mündung der Ahr in den Rhein starben Menschen. 

Am nächsten Tag: Alles zerstört. Die feste Brücke in Trümmern. Die Menschen sind entsetzt. Die ersten fingen an aufzuräumen. Doch es schien gigantisch, chancenlos. Unmengen Schlamm und Wasser und Zerstörtes überall. In dieser Resignation tauchten auf einmal freundliche junge Menschen auf: „Do you need a hand“ und wenn zehn gebraucht wurden, irgendwie wurden die zehn organisiert, das Werkzeug auch. Auf einmal war die Stimmung anders: Es wird ein hartes Jahr, aber mit der Hilfe schaffen wir das. Hier stellen sich Fragen, die diskutiert wurden und diskutiert werden müssen. Auch nach Monaten und heute sind die Helfenden aktiv. Hoch professionell und überall prangen die Plakate: „Danke den Helfenden“. 

2. Fragen

Aber es stellen sich Fragen:

Was ist die aktuellste Fragestellung beim Thema Spontanhelfende? Sind sie effektiv eingebunden?

Ist der Bevölkerungsschutz auf Wechsel bzw. Weiterentwicklung der unterschiedlichen Plattformen eingestellt? Diskussionen liefen anfangs immer viel über Facebook und Twitter, aktuell oft auch über Messengergruppen oder Instagram.

Anfangs arbeiteten Spontanhelfer und Bevölkerungsschutz ohne gemeinsame Koordination. Doch schnell wurde klar: Zusammenarbeit steigert den Output. Wohin geht nun heute der Trend bei den Behörden, Spontanhelfende einzubinden? Fraglich ist vor allem das „wie“. Best Practice-Dokumentationen sind selten und immer auf die konkrete Lage bezogen. Detailabstimmungen sind daher schwer übertragbar. Aber die große Linie: Notwendigkeit von Koordination, Kooperation und Vorbereitung schon. Forschungen hierzu gibt es recht viele, wenn es aber an die Umsetzung geht, sind die Fördermittel ausgelaufen.

Kanonenwall in Ahrweiler am Tag nach der Flut
Kanonenwall in Ahrweiler am Tag nach der Flut
Quelle: S. Voßschmidt

Was immer noch verbesserungswürdig ist, ist das Miteinander von staatlichen Gefahrenabwehr (Feuerwehren, Hilfsorganisationen, THW, Polizeien, Bundeswehr) mit den Spontanhelfenden. Es hat sich doch schon einiges verbessert, das Bewusstsein für soziale Medien ist da, woran hängt es also noch? 

Vielleicht wirken tradierte Urteile: Bei dieser Lage gibt es keine Spontanhelfenden/wird es keine geben?

Vor der Pandemie galt die These: Spontanhelfende kommen bei epidemischen Lagen aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht so sehr zum Einsatz wie bei anderen Lagen. Kann diese These bestätigt werden? Eher nicht. Spontane Hilfe allerorten. Für Menschen in Quarantäne kaufen Freiwillige ein, allerorten: In Portugal, in Deutschland, in den USA oder in China.

 Vielleicht helfen Fragen weiter? Wäre es wünschenswert, im Rahmen einer verstärkten Ansprache der Bevölkerung auch auf Spontanhilfe hinzuweisen/zu sensibilisieren (vgl. Ansätze einzelner Bundesländer, Personen mit bestimmten benötigten Kenntnissen ad hoc zu rekrutieren) oder sollte man lieber direkt für die Organisationen werben? Ist das überhaupt ein Entweder-Oder?

Wird sich etwas an der Bereitschaft zur Spontanhilfe ändern, wenn das Thema Katastrophenschutz stärker ins Bewusstsein rückt? Welche Faktoren „bedingen“ Spontanhilfe? 

Alle Brücken waren zerstört, mit Ausnahme der Piusbrücke. Ersatzbrücke des...
Alle Brücken waren zerstört, mit Ausnahme der Piusbrücke. Ersatzbrücke des THW in Ahrweiler
Quelle: S. Voßschmidt

3. Wissen

Zu diesen Fragen drängt sich die dritte Frage auf: Warum wussten wir nicht, dass das passieren kann und warum waren wir eher unvorbereitet. Warum hat niemand dazu geforscht. Hier berichtete Martha Wingen von ihren Erfahrungen mit der Initiative eine Forschungsprojektes zu „Starkregen und Hochwasser in Altenahr“.

Das Thema Starkregen und dadurch induziertes Flusshochwasser ist seit dem Juli-Hochwasser des letzten Jahres wieder präsenter in den Medien und im Bewusstsein der Bevölkerung. Auch wenn bereits in den Vorjahren Starkregenereignisse an unterschiedlichen Orten vermehrt auftraten, lief die Vorbereitung durch technisch-organisatorische sowie informative Maßnahmen eher schleppend voran. Bereits seit 2019 wurden beispielsweise Forschungsanträge zum Umgang mit starkregeninduziertem Flusshochwasser an der Ahr gestellt, die jedoch bis nach letztem Jahr keine Beachtung fanden. 

Das besondere bei dieser Art von Hochwasser ist dabei die Vorwarnzeit. Während bei Flusshochwasser beispielsweise am Rhein teilweise mehrere Tage zur Vorbereitung zur Verfügung stehen, tritt Starkregen sehr plötzlich auf. Tritt dies in einer Hanglage mit Fluss auf, gelten die kurzen Vorwarnzeiten für Starkregen plötzlich für den Fluss. 

In Bezug auf die Spontanhilfe wird im Rahmen der Promotion von Martha Wingen das Prinzip der Hochwasserbewältigung 5.0 entwickelt. Diese beschreibt ein zukünftiges Hochwasserbewältigungskonzept, welches den 4.0-Ansatz der Automatisierung und Digitalisierung bereits weitestgehend umgesetzt hat und diesen um eine soziale Komponente erweitert. Dabei wird die Bevölkerung in den Katastrophenbewältigungs- und -Vorsorgeprozess soweit wie möglich sinnvoll einbezogen, mit dem Ziel Hochwasser- und starkregeninduzierte Schäden zu reduzieren.

Zentrale Aspekte sind zudem Klimawandel und Nutzungskonflikte. Das Bauland ist viel mehr wert als die grüne Ausgleichsflächenwiese am Fluss. Wie häufig werden derartige Ereignisse? Was heißt es: Das hundertjährige Hochwasser wird zum fünfzigjährigen. Das heißt nach geltender Diktion nicht nur die Gefahr wird doppelt so groß, sondern auch: Wir müssen etwas tun. Denn schon bislang war es das Ziel vorbereitet zu sein. Dabei fehlen starre Werte. Für größere und bebaute Areale ist im Allgemeinen das 100-jährliche Wiederkehrintervall (HQ 100) maßgebend. Für kleinere Siedlungen und Einzelobjekte geht man heute oft dazu über, das Schutzziel nur in Abhängigkeit vom Schadenspotential zu definieren, so dass die Kosten für Schutzmaßnahmen nicht zu hoch werden, nicht über dem potentiellen Schaden liegen. Ein häufiger Richtwert ist das HQ 30.

4. Der Irrtum 2016

Leider gab es im Jahre 2016 bereits ein Hochwasser, das als Katastrophenmaximum angesehen wurde: Viele Keller liefen voll. Dies schien das schlimmste denkbare Szenario zu sein. Die Hochwasser 1804 und 1910 wurden verdrängt. Die damaligen Erfahrungen prägten (anscheinend) das Verhalten. Die Menschen waren in Sorge um ihre Sachgüter, rechneten nicht mit Lebensgefahr. Im Ort Ahrweiler innerhalb der Stadtmauer haben z. B. die Häuser gehalten. Aber viele sind bei der Rettung von Sachwerten (PKWs) ertrunken. Doch die Flut 2016 war anders. In Altenahr standen nach starken Regenfällen viele Straßen unter Wasser, auch Bundes- und Landstraßen mussten gesperrt werden. Von einem Campingplatz in Altenahr mussten 25 Menschen per Boot und Hubschrauber gerettet werden. Die Brücke über den Leimersdorfer Bach (im Normalfall ein Rinnsal) wurde weggerissen. Dies war die einzige zerstörte Brücke. Sonst waren überall ca. ein Meter Abstand von der Brücke zur Ahr. Der Pegelstand in Altenahr betrug 3,71 Meter. Im Raum Grafschaft fielen 115 mm Regen pro Quadratmeter. Im Kreis Ahrweiler wurden insgesamt 800 Gebäude beschädigt, große Wasserrückhalteflächen (32.000qm) wurden geplant.

Das war das gedankliche Maß. 2021 war anders. „Mit einer solchen Katastrophe hatte niemand gerechnet“. Diese Aussage fasst die Einstellung zusammen. Als die Katastrophe aber bekannt war, kam Hilfe aus der ganzen Welt. Auch weil niemand der Helfenden sich vorher eine derartige Zerstörung vorstellen konnte.  

Diskussion am Helfershuttle
Diskussion am Helfershuttle
Quelle: S. Voßschmidt

Ein Feuerwehrverein aus Luxemburg kochte mehrere Tage für 800 Menschen.  Medikamente und Verbandsmaterial wurden gespendet (228ff), Helfer kamen auch aus Belgien.  Viele Helfer sind ins Ahrtal gefahren, teilweise motiviert durch persönliche Kontakte, teilweise motiviert durch die Berichte über die Katastrophe. Sie kamen aus ganz Deutschland und brachten ihr Engagement und Ihre Expertise ein. Vor allem aber gaben sie den Betroffenen das Gefühl nicht alleingelassen zu sein. Auch Ideen waren willkommen, z. B. die Spendenbündelung um Handwerkerleistungen zu bezahlen im 5,- € Haus. „We Ahr family“ und „#solidahrität“, drücken das vielleicht am besten aus.

Besonders tragisch endete der Feuerwehreinsatz Evakuierung des Campingplatzes „Stahlhütte“ in Dorsel direkt an der Ahr. Der erste Fluteinsatz Mittwochmittag. Eine junge Feuerwehrfrau die einer bettlägerigen Dame beistand, wurde in einem Mobilhaus von den Wassermassen mitgerissen. Beide ertranken.

Das Verhalten der Bevölkerung und die Relevanz von Aussagen sind schwer einzuordnen. In der Regel nimmt der Mensch die Informationen besonders gut auf, die Ansichten bestätigen, die er ohnehin hat. Welches Bild haben die Betroffenen von der Lage? Schon die Datenerhebung ist zur Einschätzung des aktuellen Lagebildes zum Bevölkerungsverhalten sicher wichtig. Gibt es darüber hinaus Ansätze bzw. Methoden zur konkreten Einbindung der Bevölkerung, der Nutzbarmachung der Potentiale der Bevölkerung? Das "Lagebild Bevölkerungsverhalten" gibt hierzu Informationen, im kleineren Maßstab ist das "Psychosoziale Lagebild" für Großschadenslagen/ Katastrophen. Hier gibt es ein enormes Entwicklungspotenzial im Bevölkerungsschutz. Die administrativ-organisatorischen EntscheiderInnen nutzen solche Instrumente noch viel zu selten. Valide Informationen zur Einstellung der Bevölkerung sind auch 2022 noch selten.

5. Wie soll es weitergehen?

Eine lebhafte Diskussion zwischen zwanzig - dreißig Personen in der digitalen Welt zeigt, das Thema ist angekommen. DRK, ASB, Johanniter, Malteser, alle wollen mit den Spontanhelfenden zusammenarbeiten. Aber wie? Sind hier neue Veranstaltungen z. B. der BABZ mit und auch für Spontanhelfende der Königsweg? Wie muss sich der Bevölkerungsschutz verändern? Passen die Schulungskonzepte der Hilfsorganisationen? Oder sind digitale Wochen mit leichtem Zugang, wie DGSMTech sie praktiziert, ein guter erster Schritt. Oder ist das alles richtig, aber noch zu wenig. Ein paar Überlegungen werden auch die Frühjahrstagung DGSMTech/ Safety Innovation Center bestimmen. Warum fragen wir z. B. nicht die Soziologie oder andere Wissenschaften? Vernetzung tut not.



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