Der BRK Kreisverband Bayreuth entschied sich im Jahr 2014 dafür, neue Wege im Bereich des Sanitäts- und Betreuungsdienstes (als zwei wesentliche Teilbereiche des Katastrophenschutzes) zu beschreiten und Komponenten seines komplexen Hilfeleistungssystems (KHLS) in ein Konzept mehrerer modularer Abrollbehälter nach DIN 14505 zu überführen, welche nahtlos mit den bestehenden Einsatzmitteln des Sanitäts- und Betreuungsdienstes eingesetzt werden können.
Die Grundlage hierzu bot ein Vorstandsbeschluss sowie ein mittelfristig ausgelegtes, standort- und organisationsübergreifendes Stationierungskonzept des Landkreises Bayreuth und der kreisfreien Stadt Bayreuth (als örtlich zuständige untere Katastrophenschutzbehörden im Sinne des BayKSG). Das überörtliche Konzept sieht die Stationierung von Wechselladerfahrzeugen beim Bayerischen Roten Kreuz und insgesamt fünf Stützpunktfeuerwehren der Kommunen im Landkreis (Gefrees, Pegnitz, Speichersdorf, Waischenfeld und Weidenberg) sowie eines sechsten Standortes bei der Freiwilligen Feuerwehr der kreisfreien Stadt Bayreuth vor.
Im Rahmen des Gerätebeschaffungsplanes fördert der Landkreis im notwendigen Maß Investitionen im Brand- und Katastrophenschutz mit überörtlicher Bedeutung. Der Sanitäts- und Betreuungsdienst des BRK Kreisverbandes Bayreuth ist bei Großschadenslagen (GSL) und Katastrophen für die Versorgung, den Transport und die Betreuung der Verletzten und Betroffenen in Stadt und Landkreis Bayreuth zuständig und mit Teileinheiten des Sanitäts- und Betreuungsdienstes in das gemeinsame Feuerwehrhilfeleistungskontingent für überörtliche Nothilfe integriert.
Um im Schadensfalle eine flexible und zeitnahe Handlungsfähigkeit zu garantieren, brauchen die beiden in mehreren örtlich dislozierten Schnelleinsatzgruppen (SEGn) organisierten Fachdienste Sanität und Betreuung die entsprechende Ausrüstung.
Das Prinzip der Wechselladerfahrzeuge (WLF) beruht darauf, dass auf einem Trägerfahrzeug je nach Bedarf und Einsatzzweck verschiedene Wechselaufbauten, sogenannte Abrollbehälter (AB) verlastet werden können. Abrollbehälter werden im Regelfall von den Einsatzkräften im abgesetzten Zustand be- oder entladen. Wechselladerfahrzeuge werden bei den Hilfsorganisationen – Stand heute – nur für spezielle Einsatzzwecke eingesetzt.
Die zu Grunde liegende Logistikbandbreite, mit einer Zuordnung mehrerer Abrollbehälter zu einem oder mehreren Wechselladerfahrzeugen erlaubt die wirtschaftliche Vorhaltung von im regulären Einsatzaufkommen des öffentlich-rechtlichen Rettungsdienstes nicht ständig eingesetzter Komponenten. Sie ergibt sich im logischen Ausdruck bei einem Wechselladerfahrzeug als n:1 und bei mehreren Trägerfahrzeugen (m) aufgrund der baugleichen Ausführung als n:m Kombinationsmöglichkeiten.
Konzeptionell besteht die Möglichkeit, den Einsatzwert eines Trägerfahrzeuges durch die Verwendung eines Anhängers für Abrollbehälter (A-AB) zu erweitern, so dass im Verbund zwei Abrollbehälter gleichzeitig transportiert werden können (2*n:1).
Je nach Anzahl und Typ der Abrollbehälter (n) und der für den ersten Abmarsch zu Grunde liegenden Alarm- und Ausrückeordnung (AAO) ergibt sich die notwendige Anzahl an Trägerfahrzeugen. Die Alarmierungsplanung im Rettungsdienst sowie im Brand- und Katastrophenschutz wird in Bayern von den Kreisverwaltungsbehörden und den Zweckverbänden für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung im Zusammenspiel mit den Organisations-Verantwortlichen sowie der federführenden Integrierten Leitstelle, in diesem Fall der ILS Bayreuth, Kulmbach, gemeinsam auf Basis der Bayerischen Alarmierungsbekanntmachung (ABek) erstellt.
Der BRK Kreisverband Bayreuth betrat mit seinem Entschluss der konzeptionellen Integration im Jahr 2015 Neuland, weshalb die Umsetzung des Projektes MNVZ schrittweise erfolgte. Im ersten Schritt dienen die bereits seit 2012 in Beschaffung befindlichen WLF-Trägerfahrzeuge der Feuerwehren in Kooperation als Transportoption mit schnellem Zugriff durch die hiesige Integrierte Leitstelle Bayreuth/Kulmbach.
Das MNVZ besteht neben dem notwendigen Trägerfahrzeug(en) (WLF) aus zwei auch autark einsetzbaren Modulen auf Basis von Abrollbehältern und einem mitgeführten Verbindungselement.
Modul 1 - Sanitätsdienst:
Als erster Abrollbehälter wurde nach rund 24 Monaten Planungs- und Beschaffungsdauer ein autark oder im Verbund zu betreibender AB-Sanitätsdienst in Dienst gestellt (Juli 2016).
Taktisch ist der AB-Sanitätsdienst mit seinem Einsatzwert in den Behandlungsplatz eingebunden. Der Abrollbehäter dient vor allem der Sichtung und medizinischen Versorgung bis zur Herstellung der Transportfähigkeit bei Großschadensfällen, aber auch für Sicherheitsabstellungen bei länger andauernden Einsätzen oder mehrtägigen Sanitätswachdiensten für Großveranstaltungen. Bei der Konzeption wurde besonderer Wert auf praktische Erkenntnisse und aktuelle Standards bei der Hygiene und Notfallversorgung wert gelegt.
Der Container ist bei einem Gewicht von 5t voll isoliert und mit einem begehbaren Dach ausgeführt (L 7,0 m x B 2,5 m x H 2,40 m). Er besteht aus zwei getrennt nutz- und regelbaren, voll klimatisierten Räumen für Aufenthalt mit WC und einem Behandlungsraum. Er verfügt über eine netzunabhängige Stromversorgung (USV- und 15kW-Netzersatzanlage), eine LED-Umfeld-Beleuchtung (Nahbereich), sowie eine Funkanbindung an das bundesweite TETRA-Digitalfunknetz der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), durch Festeinbau im Aufenthaltsraum mit einer Zweitbesprechung im Behandlungsraum (MRT) sowie zwei Handfunksprechgeräten (HRTs).
Die medizinische Ausstattung umfasst:
- Versorgungszeile mit medizinischer Grundausstattung im Behandlungsraum in Anlehnung an die Ausstattung eines DIN-RTW (stationär)
- Transportbeatmungsgerät, Typ Medumat Standard mit zwei Sauerstoffflaschen
- EKG-Transportmonitor, Typ Propaq mit NIP und Pulsoxymetrie (1)
- Defibrillator (AED), Typ Lifepack 100 (1)
- Pulsoxymeter (4)
- Notfallrucksack, mobil (1)
- Absaugpumpe (1)
- Vakuummatratze
- Spineboard
- Fahrttrage, Typ Stryker
Aufgrund des Platzangebotes und der notfallmedizinischen Ausstattung können alle in der Notfallmedizin etablierten Notfalleingriffe der Traumaversorgung in einer gesicherten Umgebung durchgeführt werden. Die notfallmedizinische Sachausstattung wurde während des Projektes materiell um die Erkenntnisse aus den bayerischen Konzepten für besondere und lebensbedrohliche Einsatzlagen ergänzt (LBEL, REBEL).
Zur bereits beschriebenen Ausstattung gehören weiterhin:
- Radio (DAB+)
- Flachbildschirm mit Sat-TV
- Internetrouter (Mobilfunk UMTS/LTE) mit strukturierter Verkabelung und und Telefonanbindung mittels Mobilfunk
- Räumlich abgetrenntes WC
- Warmwasserboiler und Wassertank (200 l) mit Frischwasser und Abwasseranschluss
- Kühlschrank
- Mikrowelle
Modul 2 - Betreuungsdienst:
Der im zweiten Schritt beschaffte, im Transportzustand maßgleiche AB-Betreuungsdienst, kann ebenfalls autark sowohl für den primären Verwendungszweck „Betreuung von Leicht-Verletzten und Betroffenen“, aber je nach Anforderung auch als Besprechungsraum für den Einsatzstab oder als Aufenthaltsraum für BOS-Einsatzkräfte genutzt werden. Er hat die konstruktive Besonderheit der möglichen räumlichen Erweiterbarkeit (Auszug B+1 m=3,50 m) und bietet dann für ca. 18 Personen Sitz- oder Liegeplatz. Er verfügt über ein begehbares Dach und ist ebenfalls voll klimatisiert.
Technik und Ausstattung:
- Netzersatzanlage und USV (7kW) mit Fremdeinspeisung
- Radio (DAB+)
- Flachbildschirm mit Sat-TV
- Internetrouter (Mobilfunk UMTS/LTE) mit strukturierter Verkabelung und Telefonanbindung mittels Mobilfunk
- Strukturierte Verkabelung inkl. Patchkabel für den Betrieb beider Abrollbehälter im Verbund
- Warmwasserboiler und Wassertank (200 l) mit Frischwasser und Abwasseranschluss
- Klimaanlage
- „Versorgungszeile“ in Form eines Kücheneinbaus
- Mikrowelle
- Kühlschrank
- Kaffeemaschine
- Klapptische (4x)
- Klappstühle (16x)
- Bierzeltgarnituren (3x)
- Feldbetten (3x)
- Fest installierte Patientenliege (Ausschub)
- Notfallrucksack
- Ein- und Mehrweggeschirr
- Wechselkleidung (Trainingsanzüge)
- Decken
Beide Module verfügen über heckseitige Flügeltüren (arretierbar) und rutschhemmende Rampen, welche mit den gängigen Fahrtragen des Rettungsdienstes oder Rollcontainern ohne Probleme befahren werden können (ausreichende Breite und Rampenneigung).
Kombination der beiden Module
Neben der Verwendung als Einzelkomponenten können beide Abrollbehälter auch im Verbund als Mobiles Notfall-Versorgung-Zentrum (MNVZ) zum Einsatz gebracht werden. Die hierfür je nach Witterung und Einsatzanforderung notwendigen Verbindungskomponenten auf Basis einer Alu-/Planen-Konstruktion werden platzsparend in außen liegenden Geräteräumen der Abrollbehälter mitgeführt. Sie erlauben stufenlose und flexible Zeltverbindungen zwischen vier und sechs Metern.
Auf diesem Weg entsteht eine vollwertige Lösung mit inmitten bis zu 42qm überdachter Nutzfläche- und Aufenthaltsfläche mit 74qm Gesamtfläche. Durch die vorgesehene Integration in den Behandlungsplatz wurde auf die Kompatibilität zum Andocken der bereits bei den Schnelleinsatzgruppen und auf den Gerätewagen Sanitätsdienst des Bayerischen Roten Kreuzes vorhandenen Schnelleinsatzzelte Wert gelegt. Aufgrund der mitgeführten Ausstattung kann das komplette MNVZ nach ca. 25 Minuten Rüstzeit die Einsatzbereitschaft an den Einsatzleiter melden. Hierfür wird personell ein Trupp (bestehend aus 1/2/3) sowie ausreichend befestigter Untergrund mit LKW-Befahrbarkeit benötigt.
Da in der DACH-Region nach intensiver Recherche keine fertig konzeptionierte Lösung für die von den Verantwortlichen formulierten Anforderungen greifbar war, machte sich der BRK Kreisverband auf die Suche nach einem innovativen, erfahrenen und leistungsfähigen Aufbauhersteller (Fa. Hofmann, Mainleus). Zahlreiche Konstruktions- und Baubesprechungen waren notwendig, bis nahezu alle von den BRK-Praktikern formulierten und im Einsatz notwendigen Anforderungen konzeptionell in die Raumgeometrie und Sachmittelausstattung einfließen konnten.
Ihnen und auch den projektbezogenen Spendengebern aus den Reihen der BRK Fördermitglieder, der freien Wirtschaft und der Bevölkerung gilt der besondere Dank der Verfasser!
Crisis Prevention 3/2018
Karl Bernet
Instruktor/Ausbilder Sanitätsdienst und
Projektkoordinator MNVZ
BRK-Kreisverband Bayreuth KdÖR
Peter Maisel
Vorstandsvorsitzender und
Katastrophenschutzbeauftragter
BRK-Kreisverband Bayreuth KdÖR
Markus Ruckdeschel, B.Eng., MBA
Leiter der Integrierten Leitstelle
Bayreuth/Kulmbach (BRK)
Stabsstelle Gefahrenabwehrplanung im
BRK-Kreisverband Bayreuth KdÖR