07.02.2022 •

Mehr Kapazität für das THW

Interview mit dem Präsidenten des THW Gerd Friedsam

Heike Lange

Das Technische Hilfswerk (THW) hatte in den vergangenen Monaten den größten Inlandseinsatz in seiner Geschichte zu bewältigen. Darüber, wie man die Pandemie, In- und Auslandseinsätze sowie die Unwetterkatastrophe und ihre Folgen meisterte und weiterhin meistert, sprach Heike Lange von der Crisis Prevention mit dem Präsidenten des THW, Gerd Friedsam.

Gerd Friedsam, Präsident THW
Gerd Friedsam, Präsident THW
Quelle: Bildkraftwerk/Zöhre Kurc

Crisis Prevention: Wer ist der Mensch Gerd Friedsam privat?

Gerd Friedsam: Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder, vier Enkel und bewege mich relativ viel in der Natur, wenn ich denn die Zeit dazu habe. Die Enkel sind nicht alle immer direkt vor Ort, aber wir hoffen, dass wir Weihnachten wieder alle zusammen feiern.

CP: Welche sind Ihre persönlichen Schwerpunkte für das THW?

GF: Das THW hat eine enorme Entwicklung vollzogen, was die Mehrung der Aufgaben und eine veränderte Ausrichtung der Aktivitäten und Schwerpunkte angeht. Dazu gab es einen erheblichen Zuwachs an finanziellen Mitteln und hauptamtlichem Personal, innerhalb von fünf Jahren von 800 auf 2000 Stellen. Eine Aufgabe war, dieses Personal in die Organisation zu integrieren und verschiedene Bereiche auszubauen. Aus meiner Sicht haben wir die richtigen Schwerpunkte gesetzt: Stabilisierung, Kontinuität herstellen und sich im Jahr 2020 den neuen Herausforderungen annehmen.

CP: Konnten Sie die Corona-Pandemie innerhalb des THW gut bewältigen, gab es Hindernisse?

GF: Wir konnten nur anbieten, was auch in dieses Szenario passte. Es mussten anfangs für die aus China ausgeflogenen Bundesbürger Krankenhäuser vorbereitet und Notaufnahme­kapazitäten geschaffen werden. Das Schaffen von Infrastruktur für Strom, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung hat letzten Endes auch immer etwas mit handwerklicher Tätigkeit zu tun. Der Aufbau einer solchen zusätzlichen Infrastruktur auf Anforderung für Gesundheitsämter, Stadtverwaltungen, Kreisverwaltungen, das ist unsere Kompetenz. Eine unserer großen ­Stärken sind die logistischen Fähigkeiten. Eine besondere Herausforderung war das Risiko, als Organisation selbst betroffen zu sein.

CP: Corona beschäftigt uns seit fast zwei Jahren. Hat sich Ihre Sichtweise verändert?

GF: Die Sicht darauf hat sich eher nicht verändert. Bis vor gut einem halben Jahr haben wir uns in unserem möglichen Tätigkeitsspektrum streng an den Inzidenzwerten orientiert, abgesehen von der Gefahrenabwehr. Mittlerweile haben wir etwas gelockert, weil viele jetzt geimpft sind und zusätzlich getestet werden können. Im Moment kann man sich aus diesen Vorsichtsmaßnahmen aber noch nicht zurückziehen.

CP: Wo liegen die Unterschiede zwischen den Einsätzen des THW im Inland und im Ausland?

GF: In beiden Fällen müssen wir ange­fordert werden, ob von den eigenen Gefahrenabwehrbehörden oder vom Ausland. Die Mechanismen sind dieselben: So schnell wie möglich Hilfskräfte und Material an den Ort des Ereignisses bringen. Im Inland steht unser Portfolio mit 25 Fachaufgaben für jede Gefahrenabwehrbehörde in Deutschland fest und die Kultur ist bekannt. Auf andere Länder und Kulturen gilt es sich besonders vorzubereiten. Dafür gibt es spezielle Zusatzqualifikationen und Ausbildungsgänge, die auf die Haupteinsatzgebiete bei Naturkatastrophen und technische ­Katastrophen zielen. Auch interkulturelle Kompetenzen und Sicherheitsthematiken werden vermittelt.

CP: Kann man die Helfer und Helferinnen auf besonders schwierige Situationen vorbereiten, beispielsweise wenn man Menschen nicht mehr helfen kann und die Einsatzkräfte vor Leichen stehen?

GF: Ich glaube es ist klar, dass man mit Sterben und Tod umgehen lernen muss. Das sind natürlich Belastungen, die auf einen zukommen können. In den Einsätzen in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz hatten wir bis zu dreißig Notfallseelsorger immer im Einsatz, weil auch die Einsatzkräfte betreut werden müssen. Wo man mit belastenden Situationen zu tun hat, ist es obligatorisch, dass man die Leute nicht allein lässt.

CP: Können Sie einschätzen, wie lange das THW an der Ahr noch gebraucht wird?

GF: Wir bleiben so lange dort, wie wir mit unseren Spezialfähigkeiten gebraucht werden. 20 Brücken haben wir bis Mitte November erstellt, drei weitere sind in Planung, die aber auch von Materiallieferungen abhängig sind. Zusehends beteiligen sich Handwerksbetriebe, andere Unternehmen, Energieversorger, und decken viel Bedarf ab. Das ist auch richtig so. Wir wollen nicht zu irgendwelchen Unternehmen in Konkurrenz treten. Aktuell planen wir unseren Einsatz bis mindestens Ende November.

CP: Jetzt ist die Unwetterkatastrophe schon vier Monate her. Kann man schon einen ersten Blick zurückwerfen? Was hat gut funktioniert und wo liegt Verbesserungspotenzial?

GF: Also zunächst darf ich auch ein Stück weit mit Stolz und Anerkennung für unsere Kräfte sagen: Das ist jetzt der größte Einsatz in der 71-jährigen THW-Geschichte, mit fast 16.000 Einsatzkräften, 2,4 Millionen Einsatzstunden über einen Zeitraum von vier Monaten. Das ist schon eine außergewöhnliche Leistung. Unsere Spezialfähigkeiten in der Wasserversorgung haben wir in dieser Größenordnung noch niemals in Deutschland eingesetzt.

Natürlich haben wir in bestimmten Bereichen auch Nachhol­bedarf. Das Klären von Abwasser zum Beispiel ist in diesem Maße bisher noch nie notwendig gewesen. Aber es gibt mobile Anlagen, in diesem Segment sollten wir uns stärker am Machbaren orientieren.

Schwierig war die Eigenbetroffenheit vieler Gefahrenabwehrbehörden. So ein Einsatzgebilde muss man intensiv nacharbeiten, um solche Situationen zukünftig ein stückweit abfedern zu können. Wir müssen aber auch sensibilisieren. Neue Alarmsysteme werden nicht ausreichen, denn Alarmsysteme müssen auch verstanden werden und es muss verstanden werden, welche Handlungen sich aus der Alarmierung ableiten.

CP: Das Thema Brückenbau haben Sie schon erwähnt. Gab es positive Reaktionen vor Ort?

GF: Ja, gerade in der Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler. Da war es schon ein großer Vorteil, zügig mit Brücken agieren zu können, auch mit Fußgängerbrücken und eine Art Pontonbrücken. Das sind die Dinge, die man relativ schnell mit einfachen Mitteln bewerkstelligen kann. Anschließend brauchten wir Brücken mit größerer Tragkraft, mindestens 30 Tonnen, damit auch Lkw darüberfahren können.

CP: Man hörte nicht immer nur von positiven Reaktionen. Wie gehen Sie und Ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen damit um?

GF: Es waren wirklich Einzelfälle. In diesen Fällen müssen die Leute auch sensibilisiert werden, dass so was passieren kann. Muss man natürlich deeskalierend wirken und ich glaube, das haben unsere Leute auch getan. Wenn das aber nichts nützt, gibt es auch Ordnungskräfte, die man einschalten muss.

CP: Was wünschen Sie sich für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des THW und – nach außen gerichtet – für das THW?

GF: Nach innen betrachtet wäre mir für alle ehrenamtlich und hauptamtlich Engagierten über das Jahresende hinaus eine friedliche, friedfertige Zeit wirklich wichtig. In den letzten beiden Jahren wurde weit über das normale Maß hinaus gearbeitet, damit gehen auch psychische Belastungen einher. In der Außenwirkung hat das THW einen Schub für eine positive Reputation bei den Menschen und der Politik erfahren. Ich würde mir in der Tat eine große Aufmerksamkeit für alle wünschen, die sich ehrenamtlich für unsere Bevölkerung engagieren. Man sollte immer überlegen, was man selbst tun kann, für sich persönlich, aber auch in der Beteiligung an professionell mit Hilfeleistungen beschäftigten Organisationen. Und vielleicht ist jetzt gerade eine Situation, in der der eine oder andere überlegt, wo er noch ein Zeitkontingent frei hat.

CP: Wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen für Ihre weitere Arbeit alles Gute. 


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