Starkregen! Hurricanes! Hochwasser! ­Überschwemmungen! Anstieg des Meeresspiegels!

Prof. Frank Reininghaus

LV Brandenburg, DRK

All das sind Schlagworte, die der Menschheit in verschiedenen Regionen dieses Planeten in der jüngeren Vergangenheit immer wieder vor Augen geführt haben, dass die Natur, die Kraft des Wassers, sich nur sehr ungern bezähmen lässt.

Dieser Artikel widmet sich einer Betrachtung der menschengemachten Ursachen für diese Naturereignisse, denn es ist unzweifelhaft zutreffend, dass viele dieser Vorkommnisse ihren Ursprung in Eingriffen des Menschen in die Natur haben. Die Kernfrage ist, welche Ereignisse bei nachhaltiger und durchdachter Städte- und Landschaftsplanung hätte vermieden werden können bzw. – bei intelligenter Umsetzung – in Zukunft vermeidbar sein werden.

Ursache und Wirkung

Nach Aussage des Dossiers Hochwasserschutz der Bundeszen­trale Politische Bildung ist durch den forcierten Deichbau, Flussbegradigungen und Bodenversiegelungen die Hochwasserlage verschärft worden. Durch die Kanalisierung und / oder Begradigung der Ströme wird zum einen die Fließgeschwindigkeit der Flüsse erhöht (Bernoulli-Effekt), zum anderen werden immer weniger natürliche Überflutungsflächen ausgewiesen.

„Dadurch können die Wassermassen nicht mehr in die Fläche ausweichen“, erklärt Georg Rast, Referent für Wasserbau und Hydrologie des World Wide Fund For Nature (WWF).

Beispiele

Als Beispiele für die Belassung des natürlichen Verlaufs oder aber die Begradigung von Flussläufen können der Verlauf der Geeste kurz vor der Mündung in Bremerhaven und der Verlauf der Gail in Kärnten zwischen Kötschach-Mauthen und Hermagor angeführt werden. Dabei ist zu bedenken, dass die heutige Seestadt Bremerhaven erst kurz nach dem Zweiten Weltkrieg im Bereich der damaligen Stadt Wesermünde (1924 - 1947) gegründet worden ist; bis dahin lagen im Bereich der Geestemündung in die Weser die Gemeinden Geestendorf-Geestemünde (südlich der Geeste) und Lehe bzw. Leherheide (nördlich der Geeste), die in der Abbildung ausgewiesenen Wiesenflächen waren sozusagen Grenzareale ohne größeren Nutzen. 

Eine Begradigung der Geeste war somit vielleicht angedacht, aber nie durchgeführt worden, da dies Gebietsabtretungen erforderlich gemacht hätte oder da es ohne diese unweigerlich zu Grenzstreitereien gekommen wäre. Die Fließgeschwindigkeit der Geeste ist durch die drei erhaltenen Geestebögen sehr moderat, zur Vermeidung einer Überschwemmung durch aus der Weser oder der Nordsee auflaufendes Hochwasser wurde die Kennedybrücke mit Fluttoren ausgestattet, die im Bedarfsfall geschlossen werden.

Die Beweggründe zur Gailregulierung lassen sich ausführlich in der Dokumentation „125 Jahre Gailregulierung: Wasserwirtschaft im Wandel der Zeit“ von Josef Brunner (Amt der Kärntner Landesregierung, Abt. 18 – Wasserwirtschaft) aus dem Jahr 2001 nachlesen. Gleichwohl hat diese Begradigung nicht verhindern können, dass sich in den Jahren 1965 und 1966, also knapp einhundert Jahre nach Beginn der Gailregulierung, folgenreichsten Hochwasserkatastrophen der jüngeren Geschichte ereigneten.

Auszug aus Bremerhaven Hochwassergefährdungskarte
Abb. 1: Auszug aus Hochwassergefährdungskarte Bremerhaven; hier:
Geeste kurz vor der Mündung.
Quelle: Senator für Umwelt, Bau und Verkehr, Bremen; Ergänzungen aus
eigener Erkenntnis des Verfassers

Gesetzliche Maßnahmen

Seit der Jahrtausendwende sind die so genannten „Jahrhunderthochwasser“ gehäuft aufgetreten. 2005 trat daraufhin das Hochwasserschutzgesetz in Kraft, 2013 wurde durch die Umweltministerkonferenz (UMK) die Erarbeitung eines Nationalen Hochwasserschutzprogramms (NHWSP) unter Koordinierung des Bundes beschlossen, welches auf der Umweltministerkonferenz in Heidelberg 2014 zu einer bundesweiten Aufstellung mit vordringlichen, überregional wirksamen Maßnahmen für den Hochwasserschutz führte.

Dieses Nationale Hochwasserschutzprogramm sieht bspw. Deichrückverlegungen und Projekte zur gesteuerten Hochwasserrückhaltung (z. B. Flutpolder) vor. Ziel ist es, den Flüssen insgesamt mehr Raum zu geben, sodass die negativen Auswirkungen von Starkregen oder Sturmfluten zumindest gemindert, wenn nicht ganz vermieden werden können. 

Nach dem Beschluss über das Nationale Hochwasserschutzprogramm wurden ab 2015 Projekte begonnen, für die die Planung bereits abgeschlossen war, dies umfasst an Elbe, Rhein und ­Donau insgesamt 15 Projekte – zehn Polder bzw. Hochwasserrückhaltebecken und fünf großflächige Deichrückverlegungen.

Umsetzung in der heutigen Stadt- und Landschaftsplanung

Christian Kuhlicke und Volker Meyer nennen in ihrem Dossier „Nachhaltige Hochwasservorsorge“ vier Säulen. Dies ist zum einen der technische Hochwasserschutz, der vor allem den Bau von Deichen, Mauern und Rückhaltebecken beinhaltet; Ziel ist es, Wasser zurückzuhalten bzw. Überschwemmungen von Siedlungsflächen und landwirtschaftlich genutzten Flächen zu verhindern. Der technische Hochwasserschutz versucht also, die Komponente „Gefahr“ zu reduzieren.

Zum zweiten nennen die Autoren den natürlichen Hochwasserschutz, der letztlich mehr Raum für Flüsse bereitstellt, in dem Auen regelmäßig überschwemmt werden und zusätzliche Wassermassen aufnehmen können. Damit lassen sich die Hochwasserhöchststände reduzieren, wenn die Wassermengen möglichst lange in der Fläche zurückgehalten werden. Als dritter Faktor wird die Bau- und Flächenvorsorge genannt, die – im Gegensatz zu den beiden vorgenannten – auf die Reduzierung der Exposition bzw. der Anfälligkeit abzielt. 

Von den genannten vier Strategien sollte vorrangig das Ausweichen betrachtet werden (Häuser auf Stelzen bauen oder umsiedeln), da die drei weiteren Möglichkeiten letztlich nur die Auswirkungen mindern (bspw. Verlagerung von wertvollem Hausrat oder von Heizungssystemen und Öltanks in höhere Stockwerke). Die Kompensation im Schadenfall als vierte Säule wird hier nicht weiter betrachtet.

Gail in Karnten Verlauf  zwischen Kötschach-Mauthen und Hermagor
Abb. 2: Verlauf der Gail in Kärnten zwischen Kötschach-Mauthen und
Hermagor.
Quelle: Karte basierend auf google maps, Markierung der Begradigung
aus eigener Erkenntnis des Verfassers

Erhoffte Ergebnisse

Durch die oben skizzierten Maßnahmen soll erreicht werden, dass Wassermassen in die Fläche ausweichen können; dies soll unabhängig davon ermöglicht werden, ob es sich um Hochwasserstände an der Küste oder um durch Starkregen verursachte Erhöhung der Pegelstände an großen und kleine Flüssen handelt. An der Küste können durch Deichrückverlegungen größere Areale geschaffen werden, auf denen sich das einströmende Wasser ausbreiten und nach und nach versickern kann. 

Im direkten Umfeld der Flüsse lassen sich durch Bereitstellung von Überflutungsgebieten signifikante Scheitelabsenkungen von mehreren Dezimetern realisieren. Es existieren Berechnungen, denen zufolge  an der Elbe durch Polder theoretisch bis zu 79 Zentimeter niedrigere Hochwasserhöchststände und an der ­Donau sogar eine Scheitelabsenkung von maximal 1,60 Meter möglich sind.

Interessenskonflikte

Dennoch müssen bei allen guten Absichten auch Interessenskonflikte berücksichtigt werden. Für Deichrückverlegungen oder Polderbauten sind große Flächen nötig, für die zumeist landwirtschaftlich genutzte Flächen verwendet werden müssen. Die betroffenen Landwirte streben in solchen Fällen oft eine umfangreiche Entschädigung an. Ein Bauverbot in den hochwassergefährdeten Gebieten (bspw. nach Wasserhaushaltsgesetz, § 78 WHG) lässt die Marktwerte der betroffenen Grundstücke sinken, sodass Städte und Gemeinden daran nur ein eingeschränktes Interesse haben.

Hochwasserschutz und Denkmalschutz stehen sich in mancher Situation ebenfalls entgegen. So sind in historischen Innenstädten die Hochwassermauern in vielen Fällen nur schwer mit dem Denkmalschutz zu vereinbaren; in Dresden ist dies gelungen, in Grimma folgten langwierige Auseinandersetzungen.

Der Widerstand – und die Ignoranz – in der Bevölkerung darf auch nicht unterschätzt werden. Der Verlegung von Deichen ins Hinterland, näher an die Wohngebiete der Flussanlieger, wird mit Angst und Abwehrhaltung reagiert. Als klassische Beispiele seien zwei Vorfälle in der jüngsten Vergangenheit genannt:

In Uerkheim in der Schweiz fielen im Juli dieses Jahres 81 Liter Regen pro Quadratmeter. Wasser strömte als brauner Schlamm die Hänge hinab – die Folge war eine Flut, die über das Dorf hereinbrach. Ironie des Schicksals: Der Gemeinderat hatte immer wieder Pläne zum Hochwasserschutz ausgearbeitet, doch trotz ausdrücklicher Hinweise auf die Gefährdung des Gebiets wurden die Projekte jedes Mal von den Bürgern abgelehnt.

Hurricane Harvey, der im August 2017 die texanische Golfküste über hundert Meilen landeinwärts verwüstet hat, verursachte Schäden in geschätzter Höhe von 180 Mrd. US-Dollar (rund 150 Mrd. Euro) und somit deutlich mehr als die Hurricanes Katrina (New Orleans in 2005) oder Sandy (New York City in 2012). Bei rechtzeitiger Investition von zwei Mrd. US-Dollar in erforderliche Sofortmaßnahmen und – über einen Zeitraum von zwanzig Jahren gerechnet – weiteren zwei Mrd. US-Dollar Instandhaltungs- und Modernisierungskosten hätten viele der über 80 Todesopfer vermieden werden können, die volkswirtschaftlichen Schäden hätten sich in deutlich geringeren Summen bewegt. Es erübrigt sich an dieser Stelle, die Wichtigkeit einer Mauer zu Mexiko und die Hochwasserschutzmaßnahmen im Bereich der U.S.-amerikanischen Golfküste gegenüber zustellen.

vom Hurricane Harvey betroffene Gebiete auf einer Karte des U.S.-Bundesstaates...
Abb. 3: Karte des U.S.-Bundesstaates Texas mit den vom Hurricane
Harvey betroffenen Gebieten.
Quelle: Federal Emergency Management Agency, FEMA; eigene
Ergänzungen des Verfassers

Die genannten Schäden durch Hurricanes führen nur einige wenige von vielen Beispielen eines mangelhaften Hochwasserschutzes in den Vereinigten Staaten vor Augen. Deutlich besser aufgestellt sind in diesem Bereich die Niederlande mit den Poldern (man halte sich vor Augen, dass ganze Landstriche der Niederlande unter dem Meeresspiegel liegen) oder London mit der modernen Thames Barrier, einer beweglichen Hochwasser- und Flutbarriere östlich von Central London.

Direkt am Fluss oder an der Küste gebaute Altstädte wie Köln, Dresden, Hamburg sind aufgrund dieser Lage immer wieder von den Sturmfluten oder Hochwassern der Flüsse beeinträchtigt. Gleichwohl zeigen die vergleichsweise geringen Schäden, dass deutsche Städte in vielen Bereichen schon gut bis sehr gut aufgestellt sind. 

Andere sind planerisch suboptimal ausgerichtet, dies ist teils auf mangelnde Einsicht der Bevölkerung, teils auf das Fehlen entsprechender Finanzmittel zurückzuführen ist. Es ist zu überlegen, ob effektive Hochwasserschutzmaßnahmen – ggf. zu Lasten der Ästhetik – vorrangig verfolgt werden sollten, um die mittlerweile im mehr oder weniger Fünf-Jahres-Takt wiederkehrenden Hochwasserlagen erfolgreich zu händeln, vorzugsweise nicht zu Lasten der weiter flussabwärts liegenden Gemeinden und Städte.

Um es mit den Worten einer der zentralen Forderungen nach dem Augusthochwasser 2002 und im Nationalen Hochwasserschutzprogramm auszudrücken: Lasst uns „den Flüssen mehr Raum geben!“ 

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