22.06.2020 •

Zivilschutz in Deutschland

Zwischen Verdrängung, Besinnung, hoher Fachlichkeit und neuen Gefahren

Andreas von Block-Schlesier

THW

Der Sprachgelehrte Jakob Grimm schrieb 1830 an den Rechtsgelehrten Carl von Savigny: „Möge der Himmel Deutschland erhalten!“ Mehrfach war es seither mit der Erhaltung sehr knapp. Der Verfasser hat sich daher, aus früherem Interesse und neuerem Anlass, darüber informiert, was unterhalb des Himmels der Sachstand des Zivilschutzes in Deutschland ist, bzw. welche Zuarbeit der Himmel für seine Erhaltungsaufgabe erfährt. Als guter Deutscher erhebt er natürlich den Zeigefinger. Der weist allerdings eher auf uns alle als, in der Tradition unseres Bundestages, auf den jeweils anderen. Denn Bevölkerungsschutz ist, wie der Begriff schon sagt, ein Anliegen aller. Da der Platz für Text begrenzt ist, muss dabei manchmal auch das platzsparende Stilmittel der Nichternsthaftigkeit – gut erkennbar – eingesetzt werden.

Im Zweiten Weltkrieg und danach waren die Genfer Konventionen allgemein bekannt. Besonders das Kriegsgefangenen-Abkommen kannten diejenigen Eltern, Ehefrauen und Kinder, die hofften, von den vermissten und gefangenen Soldaten nach den Regeln dieses Rechts zu hören. Aus der Sowjetunion kamen Nachrichten erst, nachdem dort beschlossen wurde, den Abkommen in der Zukunft beizutreten. Heute weiß von den Genfer Konventionen – neben unseren Soldaten – nur noch eine kleine verschworene Gruppe von Idealisten. Dieses „Humanitäre Völkerrecht“, das auch zum Zivilschutz verpflichtet, wurde seit dem 2. Weltkrieg erweitert, verbessert, ja geradezu lückenlos perfektioniert. 1949 kam die 4. Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung hinzu, 1977 die Zusatzprotokolle mit wesentlichen Zivilschutzbestimmungen, 1998 das sog. Rom-Statut, zur Einführung des Internationalen Strafgerichtshofes. Viele weitere Abkommen wurden erarbeitet, und schließlich folgten ab 2002 endlich die Strafverfahren gegen Kriegsverbrecher, leider unvollständig und viel zu langgezogen.

Die Vereinigten Staaten sperren sich gegen wesentliche Teile ­dieses Rechts bis heute. Dabei waren sie es, die in den Nürnberger Prozessen und bei Gründung der Vereinten Nationen (UNO) postulierten, Krieg sei nun geächtet und unmöglich gemacht worden. Darüber wollten sie als neue Weltmacht wachen. Es kam anders. 

Stiefkind Zivilschutz

Die UNO und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zählen seit 1945 bis heute weit über 200 bewaffnete Konflikte. Neue Mittel und Methoden wie „Cyber War“, Einsatz autonomer Waffen, Konflikte durch wirtschaftlich, klimatisch oder militärisch ausgelöste Völkerwanderungen können sich verheerend auf die Zivilbevölkerungen auswirken. Die UNO spricht von Millionen „Klimaflüchtlingen“, schon auf dem Weg oder als drohende Gefahr. Eine deutsche Bundestagsvizepräsidentin forderte kürzlich die Erweiterung des Asylrechts auf Klimaflüchtlinge. Die nukleare Bedrohung besteht fort und weitet sich durch neue – auch verdeckte – Nuklearmächte aus.

Der Zivilschutz steht vor bekannten und kaum übersehbaren neuen Herausforderungen. Schon immer musste er auf Entwicklungen reagieren. Doch als nach der Wiedervereinigung angenommen wurde, die Mittel für den Zivilschutz könnten nun eingespart werden, bis hin zum Verzicht auf Sirenen, geschah dies gegen jede Vernunft. Das wurde inzwischen erkannt. Wir hatten Reformen und verfügen über Strukturen, die Bevölkerungsschutz ermöglichen. Natürlich komplizierter als zu wünschen, unter unseren Prämissen des Föderalismus, der Subsidiarität und gewachsener Strukturen. Wir haben wieder funktionierende Einrichtungen, kompetente Stimmen in Theorie und Praxis und auch ein paar Haushaltsmittel. Dem Zivilschutz stehen der Katastrophenschutz und die heutige Rest-Bundeswehr gemäß der Strategie des Doppelnutzens zur Seite, mit dem, was sie haben und dürfen. Motivierte private Hilfsorganisationen gehören dazu. 

Im Kalten Krieg, hier 1975, gab es noch Zivilschutzräume in Bunkern
Im Kalten Krieg, hier 1975, gab es noch Zivilschutzräume in Bunkern
Quelle: Wiki Commons, Deutsches Bundesarchiv

Könnten sich Politik und Medien jetzt nicht auch einmal ideologiefrei für den Zivilschutz stark machen angesichts der gravierenden weltpolitischen und technologischen Herausforderungen? Und vielleicht realisieren, dass unsere soeben zum 70-Jahre-­Jubiläum so gelobte Verfassung dies fordert? Oder warten wir da noch auf irgendjemand anders? Etwa die EU?

Im Mai 2019 feierte unser Parlament 70 Jahre Grundgesetz, einstimmig als Erfolgsgeschichte anerkannt. Vom Zivilschutz, einer nach dem Grundgesetz geltenden, zentralen Staatsaufgabe sprach keiner der Redner im Parlament auch nur ein Wort. Auch der Bundespräsident, der kurz zuvor noch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) besucht hatte (s. hauseigenes Magazin „Bevölkerungsschutz“, Heft 3/19), erwähnte die „streitbare, wehrhafte Demokratie“ – ausgerechnet am Ort der Begründung dieser gefestigten Rechtsprechung – in seiner ausführlichen Karlsruher Festrede nicht einmal ansatzweise. 

Wofür hatte er wenige Tage zuvor die Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz in Ahrweiler besucht? So wird der Zivilschutz heute leider oft behandelt: sich nicht damit befassen, nicht davon sprechen, keine Haushaltsmittel fordern und schon gar nicht Zivilschutz üben. Warum? Weil das Wähler beunruhigen könnte? Weil das Thema nicht für Sonntagsreden taugt? Weil das Thema ideologisch unsympathisch ist? Und wie steht es eigentlich um das Interesse, das Mitverantwortungsgefühl und das Fachwissen in den Medien?

Ist das nur Schwarzmalerei des Verfassers? Beweisen nicht das BMI mit seinem BBK und dem THW, die „LÜKEX“-Übungen, die Arbeit der privaten Hilfsorganisationen, ARKAT (Organisation der Regieeinheiten/-einrichtungen der Katastrophenschutzbehörden) und viele weitere engagierte Beteiligte, auch diese Fachzeitschrift CP, das Gegenteil? Richtig! Man kann sie alle nicht genug loben! Aber die dort Tätigen haben zugleich den ehrenvollen Status von Rufern in der Wüste. Das Lob des BBK-Präsidenten im Editorial des Magazins „Bevölkerungsschutz“ 3/2019 für die Erfolge des BBK ist zurecht erteilt. Gleichwohl steht der Bevölkerungsschutz vor einem riesigen Berg noch zu erledigender Aufgaben. Aber bleiben wir zunächst beim Lob:

Unter den Privaten kämpfen Teile des DRK naturgemäß in vorderster Linie. Entstanden aus dem Menschheitsanliegen des Schutzes der Zivilbevölkerung im Krieg, hält das DRK das System der „Konventionsbeauftragten“ aufrecht, um seinen Gründungsauftrag nicht zu vergessen. Es ist eine der von den Genfer Konventionen geschützten Hilfsorganisationen. Es hält diese ihm obliegende Aufgabe, die zweifelsfrei gleichwohl primär eine Staatsaufgabe nach Völkerrecht und Grundgesetz ist – gemessen am Volumen seiner sonstigen Tätigkeiten – sozusagen auf „Sparflamme“ aufrecht. Außerhalb der Bundeswehr, die sorgfältiger als jede andere Armee Kriegsvölkerrecht lehrt, wird „Verbreitungsarbeit“ im Sinne der Verpflichtung nach Genfer Recht allerdings sonst kaum geleistet. 

Sie wird im DRK von wenigen engagierten, überwiegend unbezahlten hochmotivierten bewundernswerten Idealisten durchgeführt. In den Haushalten der Verbände findet dies kaum messbaren Niederschlag. Das DRK-Generalsekretariat verbreitet (erst) seit 2017 einen „Newsletter“ zum Thema, der nicht genug gelobt werden kann! Ein Fachausschuss höchster Qualität gibt hier wissenschaftlichen Rat. Dort steht aber das Völkerrecht und nicht der Zivilschutz im Vordergrund.

Und die Hilfsorganisationen JUH und MHD, auch genannt im DRK-Gesetz, was tragen sie bei? Das ist ungeregelt. Sie sind im DRK-Gesetz von 2008 genannt, sind in den Bevölkerungsschutz eingebunden, müssten aber mangels eigener Kompetenz im Zivilschutzfall dem DRK unterstellt werden. Denn es gibt keine erkennbare eigene Führungskompetenz bezüglich dieser Aufgabe in ihren Satzungen, Strukturen und Orden. Eine Verzahnung mit dem DRK gibt es gleichwohl nicht.

Daneben tut der Staat gerade so viel, dass ihm aus Genf kein Vorwurf gemacht werden kann. Die Bundeswehr ist eine positive Ausnahme, jedenfalls gemessen an anderen Armeen.

Unübersehbare Gefahren des IT-Zeitalters

Kürzlich fiel beim Verfasser – wieder einmal – das WLAN aus. Die Anbieter-Hotline konnte nicht sagen, für wie lange und empfahl, zwischenzeitlich spazieren zu gehen oder ein Buch zu lesen. Tatsächlich, nach ein paar Stunden liefen PC, Telefon und TV wieder.

Aber man konnte durch diese Vorstufe eines allgemeinen Stromausfalls mal wieder gut erkennen und sich vorstellen, wie man bei dessen Eintritt seine diversen Chipkarten aus der Brieftasche aussortiert und z. B. statt Smartphone Notizbuch und Stift einsteckt. Immerhin hat man die Sirenen wieder eingeführt, mag der Leser denken und sodann: Wie mag es wohl bei Porsche zugegangen sein, als Mitte Oktober 2019 die gesamte Produktion wegen eines IT-Fehlers ausfiel? 

Was waren nochmal EMOTET oder NOTPETYA? Warum waren im Dezember 2019 und Januar 2020 diverse Netze ausgefallen? Und: Was mag wohl aus dem “EMP“ (electromagnetic pulse) geworden sein, von dem es hieß, damals in Zeiten des Kalten Krieges, er könne Niedrigvoltsysteme flächendeckend ausschalten? Welche Bedeutung haben die Unterseekabel im Atlantik für unsere lebenswichtigen Systeme, und was suchten nicht zur NATO gehörige U-Boote 2019 dort? Oder: Wie steht es z. B. um unsere Gasversorgung (LÜKEX 2018) mit und ohne „Nordstream 2“?

Und was wird „ANN“ anrichten? Der Verfasser hat dazu keine Erkenntnisse. BMI und BBK sind sicherlich informiert: Es wird prognostiziert, „ANN“ (Artificial Neural Networks), also die künstlichen neuronalen Netze, können ein neues technisches Zeitalter schaffen, das die bisherigen IT-Möglichkeiten verhundertfacht. Diese Technologie, heißt es, werde sich explosionsartig ausbreiten, die Menschheit erschüttern und (unter anderem) militärische Gefechtsstände in Rechenzentren und Soldaten in Lenker eines Arsenals von autonomen Waffen und Drohnen verwandeln, sagt Google. Die „Heuschrecken“ dieser Welt investieren schon. 

Ob der Bevölkerung Gefahren drohen, die mit den vorhandenen Möglichkeiten nicht zu bewältigen sind? Ob dann vielleicht die neue Bon-Pflicht bei allgemeinem Ausfall der Netze nicht aufrechterhalten werden kann? Was dann, liebe Regierung – Verkauf ohne Bons? Nein, ernsthaft: Auch diese Entwicklung kennt man sicherlich auf den Ebenen von EU, Bundesregierung und BBK längst. Aber wann rückt diesbezüglich der Bevölkerungsschutz in den Fokus der Politik? Wann darf die Öffentlichkeit erfahren, was Regierung, Parlament, Parteien, Medien dazu sagen und welche Mittel sie fordern, aufgrund der Erkenntnisse der Fachleute und das alles in der Sprache der Bürger? 

Mancher Hobby-Hacker sieht solche Entwicklungen vielleicht ohne Sorge und stellt sich händereibend vor, er würde demnächst einen autonom fahrenden Schulbus vor seiner Haustür endlich auf die erlaubten 30 abbremsen können. Vielleicht bald mit einer freiverkäuflichen Software von Amazon?

Spaß beiseite: Manche derjenigen, die die Begeisterung für die lückenlose Digitalisierung unseres Lebens schüren, haben dabei eventuell nicht nur die per Smartphone kochende Küche im Blick, sondern wollen, dass wir uns den berühmten Strick schon mal selbst um den Hals legen. Denn infantil wirkende Freaks könnten auch Agenten eines strategisch gut vorausschauenden Gegners sein. Was ist leichter wirtschaftlich oder militärisch zu unterwerfen als ein Europa mit zusammengebrochener Infrastruktur? Nicht nur „New Dark Age“ von James Bridle, 2019, gibt dazu Einblick. Egmont R. Koch und Jochen Sperber, „Die Datenmafia“, öffneten uns schon 1995 die Augen. Und Marc Elsbergs Krimi „Blackout“ von 2012 ist längst ein europäisches Handbuch des Bevölkerungsschutzes geworden. Die digitalen Stromzähler, die einem Gegner in die Hände spielen können, werden gerade überall installiert.

Jeder, der auf die Anfälligkeit unserer elektronischen Systeme aus Sicht der – hybriden – Gesamtverteidigung verweist, trägt natürlich Eulen nach Athen und Ahrweiler. Die Notbevorratung wurde längst wiederentdeckt, um nur eins der vielen Themen zu nennen, die in bewundernswerter Lückenlosigkeit Gegen­stand des BBK sind. Zusätzlich sind weitere Bundesämter befasst.

Und der Bürger? Ist er sensibilisiert und weiß sich zu helfen? Dass an diese Frage das größte Fragezeichen gehört, wird wohl kaum bestritten! Der Transfer der Erkenntnisse unserer Fachleute in Politik, Medien, Wirtschaft, Verwaltungen zu Lehrern, Müttern und Vätern, in die gesamte Gesellschaft und die Arbeit für die Akzeptanz dort erfordern noch enorme weitere Kräfte und Mittel! 

Die BBK Bürgerinformation Nr. 3 „Stromausfall“ vom Januar 2019 zeigt, wie es geht: In der Sprache des Bürgers, ohne pseudowissenschaftliches Geschwurbel, wird informiert. Aber wie wird verbreitet, unterstützt und der Erfolg gemessen?

Zivilschutz verstärken

Im vergangenen Dezember gab der Bundesinnenminister die Aufstockung von BKA und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) um 600 Stellen bekannt. Werden BBK und AKNZ analog aufgestockt? Sie verfügen zusammen über ca. 300 Mitarbeiter, also die Hälfte des angekündigten Zuwachses der beiden genannten Ämter. Beim Militär entsprechen 300 Soldaten einem kleineren Bataillon. In dieser Stärke schützt das BBK eine 83 Millionen-Bevölkerung?

Natürlich muss das Katastrophenschutz-Potential der Länder hinzugerechnet werden, aber der Zivilschutz ist Bundessache und wird es bleiben, erst recht, wenn es zu einer (von der FDP am 19.12.2019 im Bundestags-Innenausschuss geforderten) „Reform der föderalen Sicherheitsarchitektur“ kommen sollte. Von 2013 bis 2018, berichtet das Statistik-Bundesamt, sind ca. 10 Millionen Menschen ein- und gut 5 Millionen ausgewandert. Deutschland ist also in dieser Spanne (ohne 2019) ca. um die Bevölkerung Irlands oder Finnlands gewachsen. Die 10 Millionen Neubürger sind vermutlich aus verschiedensten Gründen noch weniger in der Lage, sich selbst zu schützen, als solche, die mit dem Land vertraut sind. Das BBK veröffentlichte zu dieser Frage 2018 die Studie „Interkulturelle Kompetenz im Bevölkerungsschutz“ (Forschungsreihe Bd. 20, 324 S.).

Sind die Mittel im BBK, mit seinem ihm 1997 zugeordneten Selbstschutz, entsprechend dem Migrationszuwachs eigentlich mitgewachsen? Maßnahmen zur Erhöhung der Selbstschutzfähigkeit wurden bereits 2011 in gleicher Reihe (Bd. 15, 522 S.) vorgeschlagen.

Ein Pflichtjahr einführen?

Ob wir vielleicht ein Pflichtjahr oder ein wesentlich verbessertes Freiwilligen-Jahr für die personelle Stützung des Bevölkerungsschutzes benötigen, und ob die Aussetzung der Wehrpflicht aus Sicht des Gesamtverteidigungsauftrags ein Fehler war? Wer wagt sich zu dieser Frage vor Wahlen aus der Deckung? Der Verfasser hat dem Bundestag vor ca. 25 Jahren zur Frage eines Dienstjahres (m/w/d), auch für ältere Freiwillige (m/w/d) einen Entwurf vorgelegt. Das „Totschlagsargument“ der Gegner lautete natürlich stereotyp, es solle wohl der Reichsarbeitsdienst wieder eingeführt werden. Das hat die Diskussion beendet, der Wehrdienst wurde ersatzlos ausgesetzt. Zwei „Vorteile“ hatte diese Maßnahme: Man konnte danach Zivilschutz und Zivildienst nicht mehr verwechseln, weil einer von beiden weggefallen war. Und die Gleichberechtigung war insofern wiederhergestellt, als dass die jungen Männer den jungen Frauen jetzt keine Kenntnisse (z. B. in Erster Hilfe) mehr voraushaben... 

In der Tat, lange konnte man zu dieser Frage nur satirisch Stellung nehmen. Jetzt aber besteht eine neue Lage: Man kann den Greta-­Effekt nutzen! Seit „Fridays for Future“ möchte keine Partei mehr die Wählergruppe der Klimaschützer übersehen. Plötzlich gibt es Politiker, die angeblich schon immer den Zusammenhang zwischen Klima und Bevölkerungsschutz gesehen haben. Dann könnte man doch gut den Gedanken eines ökologischen Pflichtjahrs (m/w/d) erfolgreich ins Gespräch bringen…

Strukturieren könnte man das Jahr so:

3 Monate Grundausbildung mit den Schwerpunkten: Ökologisches Grundwissen, Erste Hilfe und Selbstschutz, danach wahlweise: Klimaschutz, Naturschutz, Brandschutz, Rettungsdienst, Katastrophenschutz, Zivilschutz, Verteidigung, Pflege, Kinderbetreuung etc. (Das ehemalige Bundesamt für Zivildienst hat sicherlich Unterlagen zum damaligen Verwendungsspektrum hinterlassen). Das Jahr wird zusätzlich geöffnet für die Teilnahme freiwilliger älterer Bürger (m/w/d), auch in Teilzeit. Das Jahr wird EU-weit ein Modell, ist in allen Mitgliedsländern erfüllbar und erhält EU-Förderung. Die Welt würde Europa beneiden.

Profiteur in Deutschland wäre insbesondere das BBK. Es könnte die gesamte Grundausbildung aller Bürger/-innen für den Bevölkerungsschutz in das 1. Quartal des Dienstjahres verlegen und Helfer gewinnen.

Welche Hilfsorganisation, welches THW, welche sonstigen sozialen Einrichtungen, die früher für „Zivis“ dankbar waren, würden sich nicht freuen, und welcher junge Bürger (m/w/d) wollte sich diese Chance entgehen lassen? Rückblickend haben Dienstverpflichtete damals regelmäßig eingeräumt, vom Zivildienst profitiert zu haben, jedenfalls, sofern sie sinnvoll eingesetzt waren.

Schließlich noch die wichtigste Frage: Wie kann man flächendeckend die Bürger erreichen?

Wenn alle Haushalte des Landes mit schriftlichen Informationen – z. B. zur Notbevorratung – auszustatten wären, wie früher durch die Rückseite des Telefon-Vorwahlverzeichnisses „AVON“, warum nicht über das System der ehemaligen GEZ, die ihre – unbeliebten – Gebühren pro Haushalt einzieht? Sie heißt heute Beitragsservice zur Einziehung des Rundfunkbeitrages und verfügt flächendeckend über die Adressen aller Haushalte. Was spricht dagegen? Der Verfasser – einer von vielen Nicht-TV-Nutzern – könnte in den Gebühren dann sogar einen Nutzen erkennen.

Die Internationalen Schutzbestimmungen brauchen Glaubwürdigkeit

Was ist mit den bewaffneten Konflikten, von denen die Welt befreit werden sollte? Wie ist die Situation in unserem Land, in dem sich Ältere noch erinnern, wie es der Bevölkerung geht, wenn die Grundversorgung ausfällt? Wo man seit den Nürnberger Prozessen auch sehr dafür sensibilisiert ist (oder war?), nicht eines Tages als verantwortlicher Soldat, Beamter oder Politiker vor einem völkerstrafrechtlichen Tribunal zu stehen? Treten wir international vorbildlich für das Humanitäre Völkerrecht ein?

Der Schutz der Zivilbevölkerung im bewaffneten Konflikt ist Aufgabe von höchstem Rang. Für diesen Schutz und gegen Verstöße haben wir lückenlose Vorschriften. Unsere Regierung betont gern, sich daran zu halten. Aber wie erklären wir das Schweigen zu Verstößen anderer, zum Beispiel unserer Verbündeten? Die internationale Rechtswissenschaft ist sich in der Bewertung einig, was Verstöße nach dem letzten Weltkrieg betrifft. Gleichwohl sehen die Bürger, dass es z. B. zu Vietnam, Irak, Guantanamo, Syrien, Palästina, Kosovo keine internationalen Verfahren gibt. Zu anderen Verstößen gab es Tribunale: Ruanda, Ehem. Jugoslawien, Sierra Leone, Kambodscha. Durch deren Verfahrensdauer (im Schnitt 20 Jahre) oder dem großen zeitlichen Abstand zu den Verbrechen (Kambodscha 40 Jahre) sind dem Völkerrecht auch Akzeptanzprobleme entstanden. In Nürnberg ergingen die Urteile nach neun Monaten. In Afrika dagegen brauchte es eine Generation. In Sierra Leone, wo englisches Recht galt, hörte der Verfasser mehrfach den Satz: “Justice delayed is justice denied“. Mehrere der genannten Verfahren werden in Den Haag noch immer fortgesetzt. In Afrika wird auch aus diesem Aspekt von „westlichem Recht gegen Afrika“ gesprochen.

Was hat das mit dem deutschen Zivilschutz zu tun? Dieses: Das Humanitäre Völkerrecht ist, zusammen mit dem Grundgesetz, dessen Basis. Die Regierung ist ausdrücklich verpflichtet, die Kenntnis davon zu verbreiten! Nur was man kennt, kann man akzeptieren und anwenden. Dem trägt das BBK (wie schon seine Vorgänger) Rechnung, 2020 z. B. mit dem Seminar Nr. 21 der AKNZ. Ob das reicht? Könnte man das einmal testen? Analysen des Verfassers, publiziert vor einigen Jahren, ergaben erhebliche Zweifel (vgl. z. B. Lernziel Rechtsbewusstsein). Heutige Analysen dürften einen weiteren Abwärtstrend des Rechtsbewusstseins, national wie international, anzeigen. Das Vorgehen der Türkei im syrischen Grenzgebiet sei völkerrechtswidrig, hieß es kürzlich im Bundestag. Das hört man selten, wenn es um Verbündete geht. Vorgetragen hatten jene, deren völkerrechtswidriges Vorgehen zum Kosovo gerne zum Nachweis westlicher Doppelmoral herangezogen wird. Das Völkerrecht hat durch solche Beispiele sein Akzeptanzproblem.

Der Verfasser hat es in Auslandseinsätzen immer wieder – plausibel vorgetragen – ratlos anhören müssen, selbst einfache Bürger waren gut informiert: Der Westen habe das Völkerrecht geschaffen, mit dem er seine Vormacht sichere und welches er bei Bedarf missachte. Viele unstreitige Beispiele können in der Völkerrechtsliteratur nachgelesen werden. Der Staat, sein Militär, seine am Zivilschutz beteiligten Ämter sind nachdrücklich durch einschlägige Artikel der Genfer Konventionen und ihrer Zusatzprotokolle verpflichtet, den Inhalt der Schutzvorschriften zu verbreiten. Der Verfasser hat diese Arbeit auch im Ausland geleistet. Besonders betroffen macht es Deutsche, die Humanitäres Völkerrecht im Ausland lehren, wenn auf die schweigende Mitwirkung Deutschlands an Verstößen verwiesen wird, was als perfide gilt, wenn man sich zugleich als Freund und Vorbild geriert.

Ob von Ramstein aus Drohnen zu völkerrechtlich fraglichen Einsätzen gesteuert werden, könne man nicht wissen, weil die Nutzung dieses Stützpunkts der verbündeten ausländischen Macht vertraglich überlassen ist und diese versichere, alles laufe dort vertragsgemäß, so im Mai 2019 im youtube-Video von „Rezo“, sinngemäß, in Recherchen bestätigt und nicht dementiert, der damalige deutsche Außenminister.

Ja, das humanitäre Völkerrecht mit seinen Schutzbestimmungen für die Zivilbevölkerung hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, das mit jedem Blick in die Welt, in die Medien und auch auf die Politik im eigenen Land stärker zu werden scheint.

Und übrigens, liebe Leser, wann hat Ihre Kommune die letzte ernsthafte Zivilschutz-Übung durchgeführt, in die die Bevölkerung und Medien eingebunden waren und an die man sich erinnert? Vielleicht sogar dankbar mit Blick auf die eigene Familie oder den eigenen Haushalt? Gibt es etwa Kommunen, die sich bewusst dagegen sperren?

Schluss

Dank gilt den vielen Helfern und Fachleuten, die in diesem Beitrag nur ganz unzureichend gewürdigt werden konnten. Dank auch der CP für den Abdruck dieses Beitrags, der vielleicht das notwendige Bewusstsein fördert. Es gibt noch viel zu diskutieren, zu finanzieren und in Angriff zu nehmen!

In fünf Jahren wird das Grundgesetz 75. Dann haben die Fest­redner wieder eine Chance. Vielleicht werden sie dann das Verfassungsgebot der „wehrhaften Demokratie“ nicht wie 2019 verschweigen. Das Fachpersonal und die Helfer des Zivilschutzes werden bis dahin weiter hart arbeiten und aus oder in der Wüste rufen. Zwischenzeitlich darf gefragt werden, warum und für wen das Bundesverfassungsgericht den Begriff der „Streitbaren, wehrhaften Demokratie“ aus dem Grundgesetz eigentlich entwickelt hat. 

Dieser Artikel begann mit dem „Humanitären Völkerrecht“ und soll damit enden: 

Tragisch wäre es beim nächsten Grundgesetz-Jubiläum für uns alle, wenn es Guantanamo immer noch gäbe, Deutschlands „Verteidigung am Hindukusch“ erfolglos beendet worden wäre, andere Konflikt-Schauplätze entstanden wären und das Faustrecht in der Welt weitere Fortschritte gemacht hätte, um das so kunst- und hoffnungsvoll entwickelte Humanitäre Völkerrecht wieder abzulösen. Und in Deutschland würde nicht mehr nach dem Zivilschutz gefragt… Hätten wir dann etwas unterlassen?

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