„Methode Terrorismus“
Eine überwindbare Herausforderung?
Teil 2
Wolfgang L. Würz
Dieser Beitrag setzt unter gleichem Titel den Artikel als Teil 2 fort und beleuchtet kriminalsoziologische Erklärungsmuster für Terrorismus und daraus resultierende Handlungsnotwendigkeiten. Bei allen ideologischen Unterschieden dieser Milieus sind ähnliche Verhaltensmuster deutlich zu identifizieren: Hohe Gewaltbereitschaft, Demokratiefeindlichkeit, Intoleranz und Machtstreben.
Weltweite Instabilität und Wechselwirkungen
Die aktuelle Lage indiziert jedoch nicht nur in Deutschland und Europa, sondern vielmehr weltweit, eine komplexe, unübersichtliche Konstellation sehr unterschiedlicher Interessen, diffuse und unklare Machtverhältnisse sowie sich schnell verändernde Einstellungen von großen Bevölkerungsteilen. Somit existiert eine brisante Situation von hoher politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Instabilität, die bei den Menschen wiederum Ängste hinsichtlich ihrer momentanen Stellung und vor einer unklaren Zukunft schüren.
Eine Lage, in der sich gewalttätige, terroristische Methoden bei Hinzutreten weiterer, ungünstiger Konstellationen epidemisch ausbreiten können. Vor allem sind dabei Länder, Regionen und deren Gesellschaften gefährdet, die aufgrund ihrer aktuellen sozio-ökonomischen Verfasstheit nur geringe Widerstandskraft gegen totalitäre Machtansprüche terroristischer Gruppen vermuten lassen.
Kriminalsoziologische Erklärungsmuster für Terrorismus
Welche Ursachen sind die Triebfedern für den scheinbar unaufhaltsamen Anstieg der „Methode Terrorismus?“ Finden sich in den besonders infizierten Regionen Muster, finden sich Gemeinsamkeiten, die erklärende Anhaltspunkte für die gewalttätige Spirale ergeben?
Die Forschungsergebnisse des GTI stellen heraus, dass nicht Armut und andere wirtschaftliche Faktoren an erster Stelle maßgeblich sind, bzw. wenig Aussagekraft für den Ausbruch terroristischer Gewaltakte oder für die Entstehung von Terrorismus in den davon befallenen Ländern haben. Auch andere gesellschaftliche Entwicklungsfaktoren, wie beispielsweise durchschnittliche Schuldauer oder Lebenserwartungen der Bevölkerung zeigen sich als wenig aussagekräftig.
Vielmehr zeigt die Studie für Länder mit einem besonders hohen Befall von Terrorattacken drei statistisch signifikante Faktorenbündel: 1. Eine höhere gesellschaftliche Feindseligkeiten zwischen verschiedenen ethnischen, religiösen oder sprachlichen Gruppen und einen Mangel an übergreifendem Zusammenhalt, sowie ein hohes Maß an gruppeninterner Unzufriedenheit. 2.
Die Präsenz von staatlich geduldeter, jedoch parastaatlicher Gewalt, wie beispielsweise außergerichtliche Hinrichtungen, politische Terrorakte und massive Menschenrechtsverletzungen. 3. Eine höhere Betroffenheit von anderen Gewaltformen einschließlich von Todesfällen bei organisierten Konflikten, wie beispielsweise gewalttätigen Demonstrationen, häufige Gewalttaten und hohe Kriminalitätsraten.
Die Forschungen belegen eindeutig, dass schwache politische Systeme, ein Mangel an politischer Legitimität und staatlich geduldete oder geförderte Gewalt einen wesentlich stärkeren Einfluss auf die Entstehung von Terrorismus haben, als andere soziale oder wirtschaftliche Indikatoren, wie beispielsweise die Höhe des Bruttosozialprodukts, der durchschnittlichen Lebenserwartung oder des allgemeinen Bildungsniveaus.
Auch unterstreichen statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen Terrorismus und anderen Gewaltformen, dass insbesondere ständige Angriffe auf Polizeikräfte und durch Terrorakte erzielte Instabilitäten, die Rechtsstaatlichkeit nachhaltig aushöhlen und zu einem weiteren Anstieg von allen Arten von Gewalt führen.
Individuelle Muster von Terrortätern
Neben diesen kriminalsoziologischen Erkenntnissen zu Entstehungszusammenhängen und Mustern von Terrorismus drängt sich die Frage nach individuellen Zusammenhängen von terroristischer Gewalt und menschlichem Verhalten in den Vordergrund: Warum wird ein Mensch zum gewalttätigen Terroristen? Und warum wird er es, auch wenn eigentlich alle Umstände seiner persönlichen Umwelt dafür keinen erkennbaren Anlass bieten?
Diese Fragen stellen sich gerade in Europa und Deutschland besonders eindringlich. Warum geraten junge Menschen in eine Spirale von Hass, Gewalt und Terrorismus? Was treibt beispielsweise einen 17-jährigen Schüler aus einer durchschnittlichen Familie in Deutschland dazu, zum Islam zu konvertieren und in Konfliktregionen auszureisen, um sich dort dem Dschihad anzuschließen? Oder in seiner Heimat Terrorakte zu planen und durchzuführen? Gilt tatsächlich für das terroristisch-islamistische Milieu eine Überschrift im berlinischen Tagesspiegel vom 23. Januar 2015: „Männlich, muslimisch, jung sucht?“
Diese Fragen stellen sich allerdings so oder ähnlich ebenso für die Aktivisten anderer gewaltorientierter terroristischer Gruppen, unabhängig der ideologischen Herleitungen.
Eine Annäherung an die Fragen individueller Affinität zu terroristischen Aktionen verlangt zunächst eine mindestens zweigeteilte Betrachtungsweise: Eine Ansicht der Anführer, der Gestalter, der Führer und eine der Mitläufer, der Sympathisanten, der Unterstützer und der gewalttätigen Handlanger des Terrors.
Von Führern und Geführten
Allen Erfahrungen nach gilt für die Gruppe „Führer“, dass diese Menschen über Eigenschaften verfügen, die sie besonders befähigen, andere Menschen zu beeinflussen, zu überzeugen, zu manipulieren und anzuführen. In einer frühen Entstehungsphase von Terrorismus sind sie Agitator, Organisator, Propagandist und oft auch Aktivist gewalttätigen Handelns in Personalunion. In dieser Phase handelt es sich bei Terrorismus – nach allgemein akzeptiertem Verständnis – um einzelne, punktuelle Gewalttaten gegen Personen und Sachen mit dem Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten. Wichtigstes Element des Terrorismus ist dabei die Kommunikationsstrategie, die gezielte Propaganda. Es handelt sich um „Terrorismus von unten“.
Erreichen diese Menschen ihr Ziel, die Übernahme der (staatlichen) Macht, verändert sich die terroristische Gewalt in staatlichen Terror. Eine von „oben“ gesteuerte staatliche Schreckensherrschaft mit systematischer Gewaltanwendung zur Unterdrückung der Bevölkerung und Erhaltung der erlangten Machtposition hat sich konstituiert. Als historische Beispiele für solche Verwandlungsprozesse und ihre Protagonisten gelten Robespierre in Frankreich, Hitler in Deutschland, Stalin in Russland, Mao in China und Pol Pot in Kambodscha.
In der aktuellen Lage der islamistisch-terroristischen Bewegungen können die Führer von „Al-Qaida“ (Al Zawahiri) und dem „Islamischen Staat“(Al Baghdadi) als vergleichbare Akteure betrachtet werden; allerdings mit unterschiedlichen Strategien bei gleicher Zielsetzung: Al Zawahiri setzt nach wie vor auf Destabilisierung durch terroristische Aktionen und einer Kommunikationsstrategie, um weltweit Konfliktherde zu entfachen und seinem Ziel eines (Welt-)Kalifats näher zu kommen. Al Baghdadi hat sich davon emanzipiert und mit einem Teil der islamistischen Anhängerschaft einen regional begrenzten Raum militärisch erobert, dort ein Kalifat ausgerufen und herrscht in dieser Region mit Terror.
Beiden Protagonisten geht es gleichwohl bei ihren strategischen und taktischen Schritten um die Eroberung von Macht bzw. die Wahrnehmung machtvoller Positionen in den eroberten Gebieten im Sinne ihrer eigenen Interpretation eines islamischen Kalifats.
Bei dem großen Feld der Anhänger, Unterstützer und Handlanger des Terrorismus sind solche zugespitzten Bewertungen nicht möglich. Zu unterschiedlich und vielfältig sind Herkunft, Charakter, Lebensweg, Motivation und Beeinflussung der einzelnen Menschen auf dem Weg in den Terrorismus, um auch nur ansatzweise Muster zu erkennen.
Wenn man nach Gemeinsamkeiten oder Faktoren sucht, die eine Radikalisierung begünstigen oder Voraussetzungen für ein Abgleiten in gewalttätige Milieus sein könnten, stößt man sehr schnell an Grenzen. Weder bei der Bildung, noch beim sozialen Status der Familien oder in der Einkommenssituation finden sich belastbare Zusammenhänge, sobald man über den individuellen Einzelfall hinaus forscht.
Auch die Religiosität oder die politische Einstellung scheinen keine signifikante Bedeutung zu haben. Alle einschlägigen Experten referieren gleichwohl, dass die Biographien junger Anhänger gewalttätiger Gruppierungen den Verdacht nahe legen, dass diese Menschen zunächst weniger dem ideologischen Inhalt der Gruppe folgen, sondern vielmehr deren Versprechungen nach Gemeinschaft, Akzeptanz, Respekt, Zusammenhalt und Zuneigung.
Dann wären es logischer Weise genau diese Eigenschaften, die den jungen Menschen fehlen. Wenn dann noch eine kritische Situation, wie beispielsweise Trennung der Eltern, hinzukommt, kann eine generelle Suche nach Halt direkt zu einer radikalen Gruppe führen. Deren Ideologie und Verhaltensmuster adaptieren sie gemäß des dialektischen Materialismus „das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein“ und sie entfremden sich rasend schnell ihrem bisherigen familiären Umfeld und ihren Freunden.
Aus Kindern und Jugendlichen, aus Schul- und Sportkameraden, Freunden und Bekannten werden plötzlich Terroristen und Selbstmordattentäter.
Handlungsnotwendigkeiten
Welche Handlungsnotwendigkeiten bestehen nunmehr aufgrund der brisanten Lageentwicklung für Politik und Rechtstaat in Deutschland?
Was muss getan werden, um die Widerstandskraft der zivilen Gesellschaft zu erhalten und weiter zu stärken? Gibt es Aufgaben, die eher mittel- und langfristig in Angriff genommen werden müssen? Welche Strategie kann gegen die „Methode Terrorismus“ helfen?
Das Modell der sieben Säulen einer „Strategie gegen den Terrorismus“ zeigt einen klugen Weg, um die Ausbreitung terroristischer Methoden einzudämmen. Angelehnt an das „Zivilisatorische Hexagon“ von Dieter Senghaas sind die sieben Säulen Grundvoraussetzungen einer friedlichen, stabilen und rechtsstaatlichen Ordnung. Sie sind das Gegenmodell zu allen Bestrebungen, durch Terrorakte totalitären Herrschaftssystemen den Boden zu bereiten.
Im Hinblick auf die diagnostizierte akute Gefahrenlage, gestützt durch die aktuellen Untersuchungsergebnisse des GTI, sind die Säulen Gewaltmonopol, Rechtstaatlichkeit und konstruktive Konfliktkultur am dringendsten und nachdrücklichsten zu beachten und zu stärken.
Gewaltmonopol
Die von den Bürgern akzeptierte und legitimierte Konzentration der physischen Gewalt beim Staat zur Durchsetzung demokratisch getroffener und rechtsstaatlicher Entscheidungen und zum Schutz der Menschen vor unrechtmäßiger Gewalt und anderer Gefahren ist in Deutschland grundsätzlich den Vollzugspolizeien des Bundes und der Länder vorbehalten. Sie sind ausreichend mit Personal und Sachmitteln auszustatten, dass sie jederzeit und an jedem Ort in Deutschland ihrem Auftrag folgeleisten können. Es dürfen keine Freiräume für unrechtmäßige Gewalt zugelassen werden. Diese Handlungsnotwendigkeit hat die oberste Prioriät, wenn man die Ergebnisse des GTI ernst nimmt.
Rechtsstaatlichkeit
In gleicher Weise muss das Gewaltmonopol durch rechtsstaatliche, justizielle Institutionen eingehegt und kontrolliert werden, um den Gleichklang mit den bürgerlichen Rechten andererseits sicherzustellen. Es bedarf dringend personell und sachlich gut ausgestatteter Staatsanwaltschaften und Gerichte.
Die Durchführung ordentlicher und öffentlicher Gerichtsverhandlungen in angemessener Zeit gegen terroristische Täter ist ein wichtiger Teil der Strategie, denn diese entziehen Terrorbanden jede propagandistische Legitimation ihres verbrecherischen Handelns.
Die reinigende Wirkung von gerichtlichen Hauptverhandlungen ist derzeit sehr prägnant im Falle des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ zu beobachten. Nur in einem öffentlichen Verfahren können die (niedrigen Beweggründe) der Angeklagten und ihre Motivationen fair untersucht, festgestellt oder verworfen werden.
Konstruktive Konfliktkultur
Die konstruktive Konfliktkultur einer Gesellschaft fängt bei der Erziehung junger Menschen in der Familie und in den Kinderbetreuungsstätten an und setzt sich über Schul- und Berufsausbildung fort. Nach derzeitigem Stand der neurologischen Forschung sind dabei die ersten beiden Lebensjahre von überragender Bedeutung bei der Entwicklung zu einer gesunden, positiven und gewaltfreien Lebensgestaltung.
Daher sind in dieser Säule ebenfalls unmittelbare und konkrete Verbesserungen durch entsprechende personelle und räumliche Ausstattungen zu erzielen, die sich mittel- und langfristig bei der Entwicklung der strategischen Säule „Selbstkontrolle und gegenseitigen Verständnis“ positiv auszahlen werden. Insbesondere Investitionen in frühkindliche Betreuung und familiäre Wohlfahrt sind gut angelegte Gelder für die Gesellschaft.
Handlungsrahmen und Fazit
Eine Strategie gegen Terrorismus in Deutschland bewegt sich derzeit noch in einem ausgesprochen günstigen Handlungsrahmen hinsichtlich der weiteren Säulen „Wohlstand und wirtschaftliche Prosperität“, „soziale Gerechtigkeit und Wahrung der Menschenrechte“ und demokratische „Partizipation“.
Gleichwohl sind die erreichten Standards keineswegs Selbstverständlichkeiten, sondern bedürfen einer hohen Aufmerksamkeit und Pflege. Ihre Beschaffenheit muss stetig auf ihre Stabilität und Widerstandskraft hin überprüft werden. Jedes schwache Signal sollte wahrgenommen werden.
Die Sicherheit des Industrielandes Deutschland muss dabei im internationalen Rahmen verstanden werden, die Einkommenssituationen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen sind im Hinblick auf Verarmungsgefahren sorgsam zu beachten und der Abkehr weiter Bevölkerungsgruppen von demokratischen Wahlen ist dringend entgegenzuwirken. Aus schwachen Signalen können schnell größere Infektionsherde werden, die sich zu Flächenbränden ausweiten, wenn nicht frühzeitig und schnell gehandelt wird.
Die sieben Säulen der Strategie gegen Terrorismus sind daher unter der Prämisse Dialog und Konsequenz zu erhalten und zu stärken.
Crisis Prevention 3/2015
Wolfgang L. Würz
Köpenickerstraße 10 a
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