Die Unterbringung der Betroffenen ist eine zentrale Herausforderung in vielen Szenarios der Soforthilfe. Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die Lösung dieser Aufgabe drei Facetten hat: Die Beschaffung, den Einsatz selbst und die Verfahrensweise nach dessen Ende. Ein Kooperationsprojekt der Technischen Universität Dresden (TU Dresden) und u. a. des DRK LogHub zeigt eine gesamtheitliche Lösungsmöglichkeit auf und führt aktuell eine öffentliche Feldstudie durch.
Bilder von Massennotunterkünften begleiten zunehmend die Berichterstattung aller Katastrophen, von Flutereignissen bis zu komplexen Lagen in Kriegsgebieten. Wie können in kürzester Zeit gewaltige Mengen an Ausrüstung bereitgestellt werden? Und wie geht man mit diesen Mengen um, sobald sie, nach möglichst kurzer Zeit, nicht mehr benötigt werden? Diese Fragen waren der Ausgangspunktpunkt einer Reihe von Entwicklungsprojekten der TU Dresden. Seit 2014 die ersten Arbeiten dazu unternommen wurde, haben Problemstellungen dieser Art an Relevanz gewonnen.
Ausgehend von dem typischen Klapp-Feldbett wurde untersucht, welche Eigenschaften ein massentaugliches Feldbett für modernen Katastrophenschutz mitbringen sollte. Die grundlegende Herausforderung war die möglichst vollumfängliche Ermittlung der Anforderungen der sehr vielfältigen Praxis. Diesen sollte mit einem nachhaltigen Produktkonzept begegnet werden: Die sich abzeichnende Zunahme von Ereignissen weltweit hat ihre Hauptursache in den Folgen des Klimawandels. In den letzten Jahrzehnten kam es dadurch bereits zu einer Verzehnfachung von Naturkatastrophen (UN/Welthungerhilfe - Naturkatastrophen und der Klimawandel, 2022). Eine Lösung für die Katstrophenhilfe darf nicht Teil dieser Ursache selbst sein und erfordert damit die Nutzung nachwachsender Rohstoffe und praxistaugliche, umweltverträgliche End-of-Life-Lösungen. Über die Jahre wurden mehrere Werkstoffe und Gestaltungen getestet und weiterentwickelt. Dies erfolgte im praktischen Austausch mit den zukünftigen Anwendern, z. B. der THW-Jugend Dippoldiswalde oder auf der FLORIAN 2019.
Als Ergebnis ist ein Bausatz für ein Feldbett für den einmaligen Transport entstanden, das neben einer hängemattenartige Bespannung aus Jutegewebe hauptsächlich aus einem Papierwerkstoff besteht: Die verwendete Schwerwellpappe ist ein typisches Verpackungsmaterial für Überseelogistik der Automobilindustrie. Sie besteht nahezu vollständig aus nachwachsenden Rohstoffen mit vergleichsweise geringem CO2-Fußabdruck gegenüber den bei Klapp-Feldbetten überwiegend verwendeten Metallen und Kunststoffen.
Beschaffung und Logistik
Dieses Material ist leicht, steif, kostengünstig und einfach zu verarbeiten. Die Herstellung der Einweg-Feldbetten findet auf Stanzmaschinen der Verpackungsindustrie statt, die in einem Arbeitsgang aus großen Materialbögen Teile ausstanzen, Falze einbringen und Anleitungen aufdrucken. Die gebrauchsfertigen Stanzteile werden flach liegend auf EURO-Paletten gestapelt und sind fertig für den Versand. Durch die hohe Produktivität dieser Anlagen können in kurzer Zeit große Mengen an Feldbetten zu niedrigen Preisen in Deutschland produziert werden. Die bei Klapp-Feldbetten langwierige und unflexible Logistik durch Importe aus Fernost entfällt. Es kann vor allem Zeit eingespart werden, aber auch beträchtliche Schadstoff-Emissionen. Ein zusätzlicher Gewinn ist die Unabhängigkeit von zunehmend unsicheren Transportketten und Ressourcenabhängigkeit, nicht zuletzt wie in Zeiten hoher Nachfrage z. B. im März 2022. Das gegenüber Klappfeldbetten höhere Transportvolumen ist ein Nachteil, der teilweise durch die gute Palettierbarkeit bei gleichem Gewicht aufgewogen wird.
Der Einsatz
Der Aufbau eines Einweg-Feldbetts erfolgt werkzeuglos durch falten und stecken. Dafür wurde ein Kompromiss aus der Anzahl an Einzelteilen, Komplexität des Aufbaus und Stabilität ausgemacht. Als Unterstützung findet sich eine Aufbauanleitung direkt auf dem Produkt, zusammen mit einem QR-Code für ein Online-Video. Sowohl professionelle Hilfskräfte als auch Betroffene sollen in der Lage sein, den Aufbauprozess innerhalb kurzer Zeit zu verstehen. Die Bedürfnisse beider Gruppen als Nutzer:innen des Produkts sind auch in Detaillösungen berücksichtigt, die das Einweg-Feldbett für mehrere Einsatz-Szenarios ertüchtigen. Während das bisherige Klapp-Feldbett seit dem Ersten Weltkrieg nahezu unverändert ist, umfasst das Einweg-Feldbett zusätzliche zeitgemäße Funktionalitäten, wo immer es mit vertretbarem Aufwand möglich ist. U. a. sind das ausklappbare Ablagen für Kleingegenstände wie Mobiltelefone oder Petrischalen, verstärkte Sitzkanten, Halterungen für Infusions- oder Garderobenständer, Aufnahmen für ein Mosquito-Zelt und die Möglichkeit, Nässeschutzüberzieher im Fußbereich anzubringen.
Die Schwerwellpappe selbst kann nicht gegen anhaltende Einwirkung von Feuchtigkeit beständig ausgeführt werden, ohne den Nachhaltigkeitsansatz erheblich einzuschränken. Durch die Option, die typischen OP-Schuhüberzieher anzubringen kann aber einer Beeinträchtigung im Falle von nassen Böden vorgebeugt werden. Für den typischen Einsatz z. B. in Sporthallen ist dies nicht nötig. Hier ist die Wellpappe von Vorteil, da sie empfindliche Böden nicht beschädigt. Dies wurde während der s. g. Flüchtlingskrise bei Klapp-Feldbetten beobachtet, ebenso wie der vereinzelte Missbrauch von deren Teilen als Schlagwaffe. Während sich die Teile eines Einweg-Feldbetts für Wartung und Reparatur eignen und daher auch entfernbar sind, sind sie als Waffe unbrauchbar. Ein zentraler Aspekt der Reparaturfähigkeit ist der modulare Aufbau des Einweg-Feldbetts: Für eine Liegefläche von ca. 2 m Länge werden drei gleichartige Module aneinander montiert. Bei Feldbetten allgemein ist meist ein übermäßiges Ausleiern der Liegefläche in der Mitte als häufigster Schaden zu beobachten, was im Falle des Einweg-Feldbetts durch Austausch des mittleren Moduls behoben werden kann. Ein weiterer dadurch erzielter Effekt ist der von einer gewissen Längenanpassbarkeit für Kinder oder sehr große Personen. Feldversuche haben gezeigt, dass ebenfalls dadurch entstehende „Liegezonen“ als komfortabel wahrgenommen werden.
Die Nachbereitung
Die Konzeptionierung als „Einweg“-Produkt geht auf eine verbreitete Gemeinsamkeit von Massennotunterkünften in der Soforthilfe zurück: Während die Bereitstellung zahlreichen Ansprüchen genügen muss, um eine effiziente Hilfsleistung zu ermöglichen, ist der Umgang nach Einsatzende in vielen Fällen offen und führt selten zu einer Weiternutzung. Die Kosten von Aufbereitung, Rücktransport und Einlagerung stehen in keinem wirtschaftlichen Verhältnis angesichts der Ungewissheit, wann diese Ausrüstung erneut gebraucht wird. Klapp-Feldbetten sind hinsichtlich Material und Gestaltung theoretisch für eine Lebensdauer bzw. Wiederverwendbarkeit ausgelegt, die daher in diesem Fall praktisch oft nicht umgesetzt wird. In der Folge sind sie ein Produkt, das gemessen an dessen tatsächlichen Anwendungsfall zu energieintensiv und aufwendig in Herstellung und Entsorgung ist. Einweg-Feldbetten sind für eine begrenzte Nutzungsdauer von mindestens zwei Wochen konzeptioniert, bei normalem Umgang werden tlws. weit längere Standzeiten erreicht.
Eine Wiederverwendbarkeit ist nicht beabsichtig, ist jedoch eingeschränkt möglich. Nach ca. 3 Aufbauvorgängen sind die Verbindungselemente abgenutzt. Am Ende der Nutzbarkeit erfolgt die Entsorgung über Altpapiercontainer. Aufgrund der hochwertigen Schwerwellpappe kann u. U. mit einem Rückfluss von Geldern an die Hilfsstrukturen gerechnet werden. Das Leben eines Einwegfeldbetts endet damit in dem mit über 85% Recyclingquote (BRD 2018, Verband deutscher Papierfabriken e. V.) wirkungsvollsten Wertstoffsystem und wird zu Recyclingpapier aufbereitet. Bereits das ursprüngliche Material enthält bis zu 70% dieses Altpapiers. Dieses Merkmal leistet einen Beitrag zur Nachhaltigkeit, auch wenn kein Recycling möglich ist. In diesem Fall steht oft das Verbrennen an erster Stelle, speziell in Szenarios mit biologischen Risikofaktoren. Die eingesetzte Schwerwellpappe ist relativ schwer entflammbar und verbrennt aufgrund der starken Aschebildung vergleichsweise langsam, die thermische Entsorgung ist aber im Vergleich zu Metallfeldbetten wesentlich einfacher möglich. Rückstände können aufgrund der Zusammensetzung der Wellpappe in der Umwelt abgebaut werden. Eine extern beauftragte Nachhaltigkeitsanalyse hat ergeben, das am Ende seines Lebenszyklus ein Einweg-Feldbett max. 14 % der CO2-Emission und KEA (Kumulierter Energieaufwand) eines einmalig genutzten Klapp-Feldbetts (Aluminium, hergestellt in PRC) verursacht hat.
Zusammenfassung/Ausblick
Das Einweg-Feldbett ist nicht für jede Art von Einsatz geeignet, hohe Luftfeuchtigkeit ist ein Ausschlusskriterium. Es soll auch keinen Ersatz darstellen für qualitativ hochwertige Feldbetten, die für Bevorratung und Mehrfachnutzung beschafft werden.
Die letzten Jahre haben jedoch gezeigt, dass Konzepte speziell für die Anforderungen der Katastrophenhilfe z. B. hinsichtlich Feldbetten angesichts des erwarteten Anstiegs von Großereignissen benötigt werden. Aus Sicht einer nachhaltigen Produktgestaltung erfordert insbesondere die Notwendigkeit, schnell große Mengen an Ausrüstung, für eine kurze Nutzung, zu möglichst geringen Kosten bereit zu stellen, eine hohe Innovationsbereitschaft von allen Akteuren. Gleichzeitig ist dieses Profil das mit dem höchsten Handlungsbedarf.
Um diese Bereitschaft zu evaluieren und die Weiterentwicklung des Konzepts praxisnah zu gestalten, werden bis Dezember 2022 Feldstudien durchgeführt. Dazu haben alle Organisationen des Katastrophenschutzes die Möglichkeit, Testpakete über www.retterstore.de, den Onlineshop des sächsischen DRK, zu bestellen. Der dazugehörige Feedbackbogen gibt ihnen die Möglichkeit zur aktiven Mitgestaltung und Optimierung der Ausrüstung speziell für ihre jeweiligen Herausforderungen. Dieses Testpaket enthält neben dem beispielhaft erläuterten Einweg-Feldbett konzeptionell vergleichbare Ergänzungsprodukte zur Ausstattung von Notunterkünften: Einen Tisch und zwei Hocker. Die ausgegebenen Testsets sind Prototypen mit Verbesserungsbedarf und sollen einen ersten Eindruck der Möglichkeiten bieten. Aufgrund der laufenden Entwicklung und der Erprobungskampagne zeichnen sich bereits jetzt tiefgreifende Änderungen der Produkte ab, die die Bedeutung der Mitwirkung vieler zukünftiger Nutzer:innen unterstreichen.
In naher Zukunft wird es neben optimierten Einweg-Betten, -Tischen und -Hockern weitere Produktentwicklungen im Kontext nachhaltiger Soforthilfe geben. Das erstreckt sich von Regalen über Leitsystemen bis zu spezieller Ausrüstung für die Katastrophenmedizin. Bei positiver Erprobung sind vorgepackte Gesamtpakete für die Ausstattung standardisierter Unterkunfts-Formate wie z. B. Betreuungsplatz 200 denkbar. Bei der angestrebten Serienproduktion sollen für z. B. Einweg-Feldbetten vergleichbare Preise wie für günstige Klapp-Feldbetten erreicht werden. Dafür spielt die Preisentwicklung der verschiedenen Rohstoffe in jede Richtung eine wichtige Rolle. Es hat sich gezeigt, dass neben Großereignissen auch Gründe für den Einsatz im kleinen Maßstab sprechen, z. B. dezentrale Unterbringung wie im Falle der Geflüchteten aus der Ukraine oder die provisorische Unterbringung von evakuierten Pflegepatienten bei Kampfmittelräumung mit anschließend stark verschmutzter Ausrüstung.
Langfristig steht die Verlässlichkeit des Konzepts und der einzelnen Produkte verstärkt im Mittelpunkt. Es wurde eine DIN erarbeitet (DIN SPEC 19305 - Mobiliar auf Basis von Wellpappe - Prüfungen und Anforderungen für den Kurzzeiteinsatz), deren Umsetzung Beschaffungsprozesse erleichtern soll. Die Projektergebnisse sollen von einem akademischen Lösungsansatz in ein verlässliches Werkzeug des Katastrophenschutzes überführt werden, um anhand der Erfahrungen der letzten Jahre für die Zukunft gerüstet zu sein. Dafür ist die Forschung auf den offenen Austausch mit den Hilfsstrukturen angewiesen, wozu wir sie ausdrücklich einladen möchten.
Dipl.-Ing. Sven Grasselt-Gille
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Produktentwicklung
TU Dresden, Professur für Holztechnik und Faserwerkstofftechnik
sven.grasselt-gille@tu-dresden.de