Ebola, Anthrax und Ausschwemmungen im Ahrtal zeigen die Gefahren der Zukunft: Resistente und hochgefährliche Erreger. Sie gefährden Einsatzkräfte und Bevölkerung. Um diese zu schützen, benötigen wir ein ausgefeiltes Management von biologischen Gefahren. Aktuelle Verfahren stoßen allerdings an ihre Grenzen: Die Detektion ist oft langwierig, Desinfektionsverfahren sind teils krebserregend (Formaldehyd) und Großschadenslagen fordern die Koordination heraus. Hier setzt das Forschungsprojekt DEFERM an:
Ziel des Projektes ist es, Prozesse und Maßnahmen für den Fall einer Kontamination mit unbekannten biologischen Gefahrstoffen zu verbessern: Schnelle PCR-Detektion, berührungslose Desinfektion und internationale Zusammenarbeit. Dabei sollen die Fähigkeiten von Einsatzkräften auf technischer wie operativer Ebene gestärkt sowie spezielle Verfahren erprobt werden.
Koordiniert durch das Technische Hilfswerk (THW) und das französische Institut Pasteur bringt das deutsch-französische Verbundprojekt hierzu Einsatzorganisationen, WissenschaftlerInnen und Unternehmen zusammen: Robert Koch-Institut, Helmut-Schmidt Universität – Universität der Bundeswehr Hamburg, Feuerwehr Dortmund, Hahn-Schickard, Universität Freiburg Centre for Security and Society, Deutsches Rotes Kreuz, Feuerwehren Bouches-du-Rhône und Alpes-Maritimes, CEA, Ademtech, MINES ParisTech und CETEP. Sie entwickeln gemeinsam neue Strategien zum Schutz der Einsatzkräfte.
Durchführung des gemeinsamen Feldtests
Im Labor erforschten WissenschaftlerInnen zunächst, wie eine schnellere Detektion gelingen könnte und erprobten drei verschiedene No-Touch-Desinfektionsverfahren auf Gas, Aerosol und Schaumbasis. Da in diesem Projekt jedoch die Anwendbarkeit durch Einsatzkräfte und die Praktikabilität der Techniken im Vordergrund stehen, ist es von allerhöchster Wichtigkeit, die Verfahren mit Einsatzkräften in praktischen Übungen zu testen und deren Meinungen und Eindrücke zu berücksichtigen. Vorgehensweisen, welche im Labor zunächst als geeignet erscheinen, können bei der praktischen Anwendung im Feld aufgrund unterschiedlicher Faktoren impraktikabel sein. Mögliche Gründe hierfür wären beispielsweise nötiges Fachwissen, welches bei EndanwenderInnen nicht vorhanden ist und vorher geschult werden müsste, oder die Bedienbarkeit von technischen Geräten in persönlicher Schutzausrüstung (PSA).
Für diesen Zweck wurde der erste Feldtest im März in Dortmund mit Einsatzkräften des THW, der Feuerwehr Dortmund, der französischen Feuerwehren sowie diversen Gästen verschiedener Institutionen (z.B. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Analytical Task Force – Biologische Gefahren) durchgeführt. Forschende erklärten und demonstrierten den Einsatzkräften alle Detektions- und Desinfektionsmethoden ausführlich: Zunächst stellten sie das Projekt an sich sowie die wissenschaftlichen Ergebnisse aller Verfahren und Techniken mittels kurzer Präsentationen vor. In den im Anschluss stattfindenden praktischen Demonstrationen, konnten die Einsatzkräfte sowohl das Detektionssystem als auch die drei Desinfektionsmethoden ausprobieren und Anwendungsgebiete und Limitationen zusammen mit den WissenschaftlerInnen reflektieren. Im Folgenden geben wir einen Einblick in die ersten Ergebnisse:
Schnelldetektion vieler Proben via qPCR
Zur Beantwortung einer biologischen Gefahrenlage ist es wichtig, die Lage schnell und eindeutig einschätzen zu können. Hier hat die Identifizierung des freigesetzten Erregers Priorität: In der von der Hahn-Schickard entwickelten Disk-Plattform können die Pathogene auf einem kostengünstigen Einwegtestträger, der LabDisk, vollständig automatisiert, vor Ort und zeitnah analysiert werden. Innerhalb von 40 Minuten kann das System ein sensitives und spezifisches Ergebnis liefern. Die Diagnostik basiert auf einer Mikrofluidik-qPCR und ist damit pathogenspezifisch. Die Weiterentwicklung der LabDisk ermöglicht nun, vier Proben auf bis zu zehn relevanten Erregern gleichzeitig zu testen. Innerhalb von DEFERM wählten die Einsatzorganisationen relevante Erreger aus. Für diese entwickelte die Firma Ademtech eine Anreicherung über Magneten (sogenannte Beads) und adaptierte das System somit für den Einsatz im Bevölkerungsschutz.
Die Einsatzkräfte testeten ausgiebig das Detektionssystem, welches innerhalb von 30 Minuten die relevantesten Viren und Bakterien aus Wischproben nachweisen kann. Der Fokus lag auf der Handhabung: Bei einer potentiellen Kontamination müssen die AnwenderInnen in persönlicher Schutzausrüstung die Lage vorerst einschätzen. Dort nehmen sie eine Wischprobe, welche für die Anwendung des Detektionssystem in die Flüssigkeit des Systems überführt werden muss. Bedingt durch die Handschuhe der PSA ist die Feinmotorik der Einsatzkräfte eingeschränkt und sie regten beispielsweise an, den Verschluss des Systems anzupassen. Allgemein bewerteten die Einsatzkräfte das System sehr positiv. Insbesondere die Breite an Pathogenen, die Möglichkeit, mehrere Proben parallel zu testen und die wenigen Arbeitsschritte sorgten für Begeisterung. Die Ergebnisse des Tests fließen nun in die weitere Entwicklung ein.
No-Touch Desinfektion
Hochpathogene Erreger wie Anthrax oder Ebola erfordern Desinfektionsprozesse, die effektiv, sicher und schnell durchführbar sind. Allerdings zeigen sich Prozesse, die auf manueller Wischdesinfektion basieren, dabei häufig als personalintensiv und stellen ein ernstzunehmendes Expositionsrisiko für das ausführende Personal dar. Eine Alternative sind halbautomatische Verfahren, sogenannte No-Touch-Desinfektionsprozesse. Hier wird ein desinfizierendes Mittel als Schaum, Gas oder Aerosol im kontaminierten Bereich angewendet.
Ein Schwerpunkt des Verbundprojektes DEFERM liegt auf der Etablierung solcher neuartiger Desinfektionsmaßnahmen. Hierbei stehen drei Verfahren im Fokus: Eine Desinfektion mit Wasserstoffperoxid, die Ausbringung von Peressigsäurenebel und die Verwendung eines neuartigen Desinfektionsschaums (Confoam), welchen das französische Institut CEA entwickelte.
Zunächst wurden die ausgewählten Desinfektionsverfahren im Labormaßstab getestet und Einflussfaktoren auf die Effektivität der Desinfektionsverfahren identifiziert und parametrisiert. Für die labortechnische Testung der unterschiedlichen Desinfektionsmaßnahmen gegenüber Bakterien und Viren zeigen sich das Robert Koch-Institut, das Institut Pasteur und die Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg verantwortlich. In enger Abstimmung mit den Einsatzkräften übertragen sie die Verfahren nun in die Praxis und entwickeln schließlich Standard Operating Procedures (SOP). SOP ermöglichen es, sowohl auf deutscher als auch auf französischer Seite, zukünftig schnell und effektiv auf solche Einsatzlagen reagieren zu können und – etwa in Großschadenslagen – Hand in Hand zu arbeiten.
Einsatzkräfte des THW, der Feuerwehr Dortmund, der französischen Feuerwehren Bouches-du-Rhône (SDIS13) und Alpes-Maritimes (SDIS06) sowie dem Deutschen Roten Kreuz (DRK), entwickelten gemeinsam mit der Expertise der WissenschaftlerInnen verschiedene Szenarien, in denen die drei Methoden anzuwenden sind:
Desinfektion eines RTW mit Gas
Für die Desinfektion eines RTW benötigt es ein Verfahren, welches komplexe Strukturen durchdringen kann und zusätzlich kompatibel mit der Elektronik der Geräte ist. Für einen solches Szenario bietet sich Wasserstoffperoxid für die direkte Behandlung des RTW-Innenraums oder der entsprechenden Halle mit Gas an. Vorteil der Variante direkt im Innenraum des RTW ist, dass die benötige Zeit für eine erfolgreiche Desinfektion bedeutend kürzer ausfällt. Der Vorteil bei einer Behandlung der kompletten Halle liegt dagegen darin, dass zusätzlich eingebrachtes Material ebenfalls desinfiziert wird. Die Funktionsweise von gasförmigem Wasserstoffperoxid basiert auf der Bildung von Hydroxylradikalen, die eine äußerst starke oxidative Wirkung aufweisen. Begaste Bakterien und Viren werden durch diese Oxidierung verlässlich abgetötet, während die meisten Materialien dagegen resistent sind. Die Abbauprodukte von Wasserstoffperoxid (H2O2) sind Wasser (H2O und Sauerstoff (O2), was dieses Verfahren besonders umweltfreundlich macht. Obwohl eine Desinfektion mit Wasserstoffperoxid sehr zeitaufwendig ist, (RTW: vier Stunden, Halle: zwölf Stunden), ist es zeitgleich eine Methode, die wenig Personalbetreuung braucht. Um die Limitationen der Methode zu untersuchen, konnten die Gäste chemische Indikatoren an ihrer Meinung nach kritischen oder schwer erreichbaren Positionen anbringen. Diese Chemoindikatoren ermöglichen es, den erfolgreichen Ablauf des Prozesses optisch sichtbar zu machen: Sie zeigen einen Farbumschlag, wenn das Gas eingewirkt hat. Auf diese Weise konnten auch einige Stellen innerhalb des RTW identifiziert werden, die bei der Desinfektion besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. In Zukunft könnten neue Fahrzeugtypen serienmäßig mit der Zu- und Abluft für das Wasserstoffperoxid ausgestattet werden.
Dekon-Schleuse für Confoam
An der zweiten Desinfektionsstation sprühten Einsatzkräfte einen Gerätekraftwagen (GKW) des THW mit Hilfe einer Dekon-Schleuse mit dem Desinfektionsschaum Confoam ein. Dies geschah in voller PSA mit einem von CEA entwickelten Rucksack. Auch hier hatten geschulte Gäste die Möglichkeit, die Technik selbst zu testen. Des Weiteren wurde die Innenfläche eines THW-Zelts mit dem Desinfektionsschaum eingesprüht, um die Haftung an senkrechten und schrägen Oberflächen zu demonstrieren. Mit Hilfe von biologischen Indikatoren wurde die Wirkweise des Schaumes nachgewiesen. Im Feldtest hat sich gezeigt, dass das Aufbringen des Schaumes ein gewisses Training benötigt, um Lücken in der Bedeckung zu vermeiden. Ein enormer Vorteil des Schaumes ist es, dass er auch draußen und nach kurzer Einweisung angewendet werden kann.
Zelt-Desinfektion mittels Peressigsäure
In einer weiteren Demonstration wurde die Ausbringung von Peressigsäure-Nebel durch einen tragbaren Generator in einem THW-Zelt simuliert. Diese Methode greift ineinander mit Schaum und Gas. Sie ist zwar korrosiver als Wasserstoffperoxid und so schwieriger bei Elektronik einzusetzen, da jedoch ein Aerosol und kein Gas ausgebracht wird, kann Peressigsäure auch bei nicht komplett abgeschlossenen Innenräumen zur Anwendung kommen. Dies macht sie sehr attraktiv für Anwendungen in teils offenen Räumen wie etwa Zelten.
Alle drei Desinfektionsstrategien erwiesen sich als geeignet und die erfolgreiche Desinfektionswirkung konnte zusätzlich durch den Einsatz biologischer Indikatoren evaluiert werden, welche im Anschluss ausgewertet wurden. Auf diesen befinden sich jeweils eine Million sporenbildende Bakterien und nach erfolgreicher Desinfektion, wachsen keine Bakterien im entsprechenden Nährmedium. Entsprechend des Szenarios und des Erregers kommt jeweils eines der drei No-Touch-Desinfektionsverfahren zum Einsatz, wobei sich die Einsatzgebiete der Verfahren teilweise überschneiden.
Deutsch-französisches Krisenmanagement
SozialwissenschaftlerInnen untersuchen sowohl die organisationalen Strukturen der Notfallreaktion in Deutschland und Frankreich als auch das konkrete Vorgehen der Einsatzkräfte beider Länder. Hierzu modellieren Forschende der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg – Centre for Security and Society, und des Centre National de Recherche Scientifique, Délégation Ile-de-France Sud Netzwerke von Organisationen, um diese zu charakterisieren und Abläufe zu analysieren. Zusätzlich visualisiert das Model die Zusammenarbeit beider Länder. Ergänzend interviewen die Forschenden ExpertInnen aus Einsatz und Führung. So leisten sie einen wichtigen Beitrag zur deutsch-französischen Zusammenarbeit und sensibilisieren für den Zusammenhang zwischen institutioneller Struktur und Sicherheitskultur.
Der durchgeführte Feldtest war sehr erfolgreich und vermittelte den ProjektpartnerInnen wertvolle Erkenntnisse über die Anwendbarkeit der bisher untersuchten Techniken. So erhielten sie eine Vielzahl an Meinungen und Einschätzungen und konnten die Detektions- und alle Desinfektionsmaßnahmen vor Ort praktisch anwenden. Auch die SozialwissenschaftlerInnen profitierten von der Felderfahrung und knüpften Kontakte für weitere Interviews.
Ausblick und weitere Vorhaben
In der verbleibenden Projektlaufzeit bis Ende März 2024 werden die Einsatzparameter der angewandten Desinfektionsmethoden verfeinert und das nach dem Feldversuch erhaltene Feedback der EndanwenderInnen zur Verbesserung der Anwendbarkeit der Techniken genutzt. Außerdem wird das Vor-Ort-Detektionssystem weiter verbessert und im Labor auf Spezifität und Sensitivität getestet. Schließlich wird gegen Ende des Projektes ein zweiter groß angelegter Feldtest in Marseille stattfinden, bei dem erneut deutsche und französische Einsatzkräfte sowie Gäste anwesend sein werden. Bei diesem abschließenden Test wird sich letztendlich zeigen, ob die untersuchten Verfahren erfolgreich durch die Einsatzkräfte in der Praxis angewandt werden können.
Das Projekt DEFERM wird durch das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie die französische Agence Nationale de la Recherche (ANR) im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“, Bekanntmachung „Prävention und schnelle Hilfe bei biologischen Gefahren“ gefördert. Die Projektlaufzeit beträgt drei Jahre und läuft bis 31.03.2024.
Crisis Prevention 2/2023
Dr. Oliver Kaspari und Dr. Elisabeth Pfrommer
Fachgebiet ZBS2
Robert Koch-Institut
Seestraße 10, 13353 Berlin
E-Mail: Kaspario@rki.de
E-Mail: Pfrommere@rki.de
Katrin Wieden
Bundesanstalt Technisches Hilfswerk
Leitung | Referat E I 3 Forschungsprojekte
Provinzialstraße 93, 53127 Bonn
Dr. Jean-Claude Manuguerra
Institut Pasteur
Rue du Dr Roux, 75015 Paris
E-Mail: Project.Deferm@thw.de