Warum gibt es keine GSG-9 für den Katastrophenschutz in Deutschland?
Entspricht der Katastrophenschutz in Deutschland noch den heutigen Anforderungen? Sind alle für den Katastrophenschutz in Deutschland zuständigen (ca.400!) Kreise und kreisfreien Städte von jetzt auf gleich in der Lage, Katastrophen und Katastrophenfolgen wie die Ahrflut 2021 zu bewältigen?
Meine Antwort lautet: Nein!
Spätestens seit der Ahrflut 2021 sollte klar sein, dass wir in Zukunft vermehrt mit Katastrophen zu rechnen haben, die unser föderales und teils zergliedertes Katastrophenschutzpotenzial an seine Leistungsgrenzen und darüber hinaus bringt. Es gibt eine Fülle von Vorschlägen zur Optimierung des Katastrophenschutzes in Deutschland und einiges wurde bereits umgesetzt. Sehr gut.
Aber, wer glaubt, durch die Ertüchtigung der bundesweit ca. 400 Katastrophenschutzstäbe/Technische Einsatzleitungen das eigentliche Problem lösen zu können, der irrt. Die Katastrophenschutzstäbe / Technischen Einsatzleitungen setzen sich in der Regel aus Mitgliedern der Verwaltung, der Feuerwehren und Vertretern der sog. Hilfsorganisationen wie DRK usw. zusammen. Das Personal dieser (bundesweit ca. 400!) Stäbe auf so hohem Niveau zu schulen und einsatzbereit zu halten, damit diese von jetzt auf gleich in der Lage wären auch Katastrophen wie die Ahrflut zu handeln, halte ich für eine Illusion.
Das eigentliche Problem ist: Niemand kann vorhersagen, wann und an welcher Stelle in Deutschland ein nächstes vergleichbares Ereignis wie die Ahrflut eintreten wird. Wird ein solches Ereignis dann (wieder?) auf eine / n Katastrophenschutzstab / Technische Einsatzleitung treffen der / die aufgrund der Dimension des Ereignisses und aufgrund mangelnder Erfahrung der Lage nicht gewachsen ist? Ich fürchte: Ja
Wo ist die Lösung?
Ein Blick über den Tellerrand hilft bekanntlich manchmal weiter: Olympiade München 1972: Terroristen dringen in das Olympische Dorf ein, nehmen Geiseln und stellen bestimmte politische Forderungen. Ich habe heute noch die Bilder vor Augen, auf denen (Schutz-) Polizeibeamte mit Schirmmütze und Handfeuerwaffe hochgerüsteten Terroristen mit Maschinenwaffen gegenüberstehen. Das Ergebnis ist bekannt: x Tote, eine Reihe zerstörter Helikopter: ein Desaster!
Was haben die Polizeien in Deutschland daraus gelernt, und was ist u.a. danach geschehen? Die GSG 9 wurde gegründet, die schon bald ihre Bewährungsprobe in Mogadischu bestehen musste und bestanden hat. Zug um Zug wurden in den Bundesländern bei den Polizeien weitere Spezialeinheiten für besondere Lagen aufgestellt.
Um es kurz zu sagen: Ähnliches braucht Deutschland für den Katastrophenschutz, um die Organisation und Führung vor Ort bei der Bekämpfung von Katastrophen hoch professionell zu unterstützen. Derartige Unterstützungseinheiten müssen optimal ausgebildet, (luftverlastbar) ausgestattet und 7/24 (7 Tage, 24 Std. am Tag) einsatzbereit sein. Diese Einheiten müssen inner-halb weniger Stunden an jedem beliebigen Ort von Deutschland sein können, um die dort zuständigen, ortskundigen verantwortlichen Führungskräfte / Stäbe im Bereich der Führungs- und Einsatzorganisation im Katastrophenfall zu unterstützen.
Die Struktur und personelle Ausstattung dieser Einheiten sollte sinnvollerweise die Struktur der Katastrophenschutzstäbe spiegeln. D.h. ebenfalls den Führungsgrundgebieten, S1 Personal; S2 Lage; S3 Führung; S4 Versorgung; S5 Öffentlichkeitsarbeit und S6 Technische Kommunikation / Fernmeldewesen entsprechen. Weiter können diese Unterstützungseinheiten regelmäßig mit den KatS-Stäben üben, selber entsprechende größere Übungen ausarbeiten und zusammen mit den Kräften vor Ort durchführen. Dadurch lernt man sich persönlich kennen, was dem Zusammenspiel im Einsatz nur förderlich sein kann.
Geht nicht? Geht, man muss es nur wollen und zugegeben, manch dickes Brett ist zu bohren.
Jahrelang nur „Trockenübungen“ durchzuführen und möglicherweise niemals tatsächlich gefordert zu werden, befähigt kaum Katastrophen biblischen Ausmaßes bewältigen zu können, wie sie aller Voraussicht nach auch in Zukunft öfter auftreten werden.
Meine Ausführungen sind provokant? Ja, das sind sie, aber anders, und das ist meine feste Überzeugung, werden wir den Katastrophenschutz in Deutschland nicht aus seinem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf erwecken können. Ein wenig Kosmetik hier, eine Woche Seminar dort und ein Hubschrauber mehr reichen nicht. Hier muss Professionalität ans Werk, alles andere ist Selbstbetrug. Wer es nicht glaubt, der warte getrost auf die nächste Katastrophe und erkläre dem Bürger dann, dass man mal wieder von dem Ausmaß der Ereignisse überrascht wurde.
Dipl.-Ing. Helmut Strunk
Haupt- und ehrenamtlich im Zivil- und Katastrophenschutz tätig seit1965
30 Jahre hauptamtlicher Mitarbeiter des Bundesamtes für Zivilschutz und der THW-Leitung in Bonn