Auf der Grundlage eigener wissenschaftlicher Arbeiten prüft und entwickelt das WIS Technologien zum Schutz von Personen, Geräten und Infrastrukturen vor biologischen, chemischen und nuklearen Massenvernichtungswaffen, elektromagnetischen Feldern und Bränden. Dazu nutzt es chemische, biologische und physikalische Labore und Großversuchsanlagen.
CRISIS PREVENTION sprach mit dem Institutsleiter Direktor Professor Dr. Winfried Schuhn.
CP:
Inwieweit hat die Vergangenheit seit dem ersten Weltkrieg hier in Munster noch Auswirkungen auf Ihre Arbeit, und arbeitet das Institut auch heute noch an der Beseitigung von Altlasten?
Dr. Schuhn:
Das Arbeiten an einem Standort, der aus zwei Perioden – dem Gasplatz Breloh im 1. Weltkrieg und der Nebelfüllstelle im 2. Weltkrieg – massiv mit Rüstungsaltlasten durchsetzt ist, hat für das WIS bis heute Konsequenzen. Nicht einmal ein Rohr kann verlegt werden ohne Nachsuche durch die Kampfmittelbeseitigung und meist auch Bergung von Munition oder kontaminiertem Material.
In einem aktuellen Fall wurden in einem Gemenge aus Boden, Kalk und Holz Schliffflaschen, z.T. noch intakt und mit Kampfstoff gefüllt, verrostete Munition mit Lungenkampfstoff sowie Glasampullen mit flüssiger Blausäure gefunden.
Jahrzehnte hat sich die Dienststelle mit der Erkundung und Entsorgung von Altlasten befasst. So wurde hier die erste Kampfstoffverbrennungsanlage Europas konzipiert und 1982 in Betrieb genommen, die dann 1998 bei gleichzeitiger Erweiterung in die Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten mbH (GEKA) ausgegliedert wurde. Speziell die analytischen und technischen Fähigkeiten des WIS, die in diesem Zusammenhang erworben wurden, werden bis heute von der Bundeswehr und externen Kunden in Anspruch genommen.
Zugleich ist die Kenntnis dieser Altlasten für das WIS eine stete Motivation, jederzeit Vorsorge zu treffen, dass aus den eigenen Aktivitäten keine Umweltbelastungen entstehen können.
CP:
Welche Aufgaben hatte das Institut seit der Gründung in der Anfangszeit der Bundeswehr, wie haben sich die Aufgaben entwickelt hin zum heutigen Auftrag?
Dr. Schuhn:
Im Februar 1958 wurde das heutige WIS als „Erprobungsstelle der Bundeswehr für ABC-Abwehr – Munster/Lager“ gegründet. Mit dem Einrichtungserlass wurden technische Erprobungen in Auftrag gegeben wie Brandschutz, Schutz gegen radioaktive und thermische Strahlung sowie Prüfung von Biologischen Geräte, Geräten zum Schutz gegen chemische Kampfstoffe, Brandmittel und Nebelmittel. In den 1960`er Jahren begann die Nutzung der inzwischen etablierten Versuchsanlagen zu anwendungsbezogenen Grundlagenuntersuchungen, da man im ABC-Schutz nur sehr begrenzt auf Ergebnisse ziviler Forschung zurückgreifen konnte. Das so um Forschung erweiterte Aufgabenspektrum mit dem besonderen Augenmerk auf Schutz war der Anlass zur Umbenennung in Wehrwissenschaftliches Institut für Schutztechnologien. Folgerichtig wurde das Institut in die Reihe der Ressortforschungseinrichtungen des Bundes aufgenommen, die neben Prüf- und Beratungsaufgaben auf der Grundlage eigener Forschungsprogramme Wissen für die jeweiligen Ressorts erarbeiten.
Inhaltlich haben sich die Aufgaben immer parallel zum wissenschaftlichen Fortschritt und dem Bedarf der Bundeswehr entwickelt. Brand- und Nebelmittel spielen heute keine Rolle mehr, elektromagnetische Wirkungen sind als Schwerpunkt hinzugekommen. Auch aus außenpolitischen Gründen hat sich das WIS als nationales Verifikationslabor zum Chemiewaffenübereinkommen etabliert.
Insgesamt hat sich so in jedem Themengebiet eine Aufgabenkonstellation entwickelt, die am besten mit den drei Begriffen „Forschen-Prüfen-Beraten“ beschrieben werden kann.
CP:
In welcher Gliederung und Unterstellung, mit welchem Personal und mit welchem technisch/wissenschaftlichen Apparat wird heute der Auftrag erfüllt?
Dr. Schuhn:
Das Wehrwissenschaftliche Institut ist dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz nachgeordnet und leistet im Rahmen des Rüstungsprozesses CPM fachliche Beiträge für die Beschaffung und Nutzung von Wehrmaterial. Es ist in seinen Kernfunktionen an den Fähigkeiten der Streitkräfte ausgerichtet: Detektion, Schutz, Dekontamination. Ergänzt wird dies durch Geschäftsfelder für Verifikation, Elektromagnetische Wirkungen, Brandschutztechnik sowie Wasseraufbereitung.
Jedem Bereich stehen dabei spezialisierte Labore oder technische (Groß-) Versuchsanlagen zur Verfügung, die von fachspezifischem Personal auf anerkannt hohem Niveau genutzt werden. Mit Schwerpunkten in den Disziplinen Biologie, Chemie, Physik sind im WIS mehr als 70 Berufe und Ausbildungsgänge vertreten. Über einen Hochschulabschluss verfügen mehr als 40 % der Beschäftigten.
CP:
Ihre Aufgaben sind ja vergleichsweise heterogen: Managementaufgaben bei der Projektierung und Einführung von ABC- und Brandschutzausrüstungen, eigenständige F+T Vorhaben, Ausbildung und Schulung in Sachen ABC-Abwehr und Brandschutz, Vertretung von Deutschland in internationalen Gremien in Ihrem Fachbereich, aber auch wissenschaftliche Grundlagenarbeit: lässt sich das alles „unter einen Hut“ bringen mit Ihren ca. 200 Mitarbeitern und Ihrer Ausstattung?
Dr. Schuhn:
Die Vielzahl der fachlichen Themen – und in der Konsequenz die Vielzahl der beruflichen Qualifikationen der Mitarbeiter sowie die Herausforderungen in der Arbeit mit Strahlung, Krankheitserregern oder Giften – setzt eine strikte Zielorientierung am Bedarf der Bundeswehr voraus. So geht es in der wissenschaftlichen Arbeit stets um die Orientierung an künftigen Fähigkeiten und die Umsetzung von Erkenntnissen in mögliche industrielle Lösungen. Zugleich werden die Grundlagen für Prüfmethoden erarbeitet und bis in die Normungsarbeit (DIN / ISO usw.) vorangetrieben. Bestmögliche Verzahnung der Aufgaben bei hoher Qualität der Einzelarbeit ist der Schlüssel zur Leistungsfähigkeit des WIS. Daher befasst sich das Institut umfassend mit Qualitäts- und Wissensmanagement im Sinne der weiteren Verbesserung der Leistungsfähigkeit.
Dennoch bleiben Lücken, die mit Unterstützung durch externe Forschungspartner (Fraunhofer-Institute, Hochschulen, auch Unternehmen) geschlossen werden. Hierzu eignen sich ebenfalls sog. Drittmittelprojekte, z. B. aus der EU gefördert, bei denen in (auch internationalen) Konsortien arbeitsteilig Fortschritte erzielt werden können.
CP:
Nachgefragt beim Punkt Persönliche Schutzausrüstung (PSA) der Soldaten: Gibt es neue Entwicklungen oder Projekte, z. B. wegen neuer Gefährdungen und auch neuer Materialien? Und können Sie ggfs. etwas sagen zu laufenden Projekten?
Dr. Schuhn:
Die PSA eines Soldaten muss an mögliche Szenarien und Einsatzbedingungen angepasst sein, d. h. nicht für jedes Szenario eignet sich dieselbe Schutzausrüstung. Während des kalten Krieges standen sich in Europa, d. h. in einer gemäßigten Klimazone, zwei hochgerüstete Militärblöcke gegenüber, und große Mengen an hochtoxischen, speziell produzierten, aber schwerflüchtigen Chemikalien standen für die Verwendung in der chemischen Kriegsführung bereit. Der heutige Schwerpunkt möglicher Einsätze liegt in klimatisch wärmeren Zonen der Erde, wobei immer häufiger toxische Grundchemikalien verwendet werden. Ein typisches Beispiel ist der syrische Bürgerkrieg, bei dem leichtflüchtiges, toxisches Chlorgas zum Einsatz kommt. Somit wird z. B. Schutzbekleidung benötigt, die auch in heißen Klimazonen getragen werden kann oder auch Filterelemente, die Schutz vor einer Vielzahl an unterschiedlichen Chemikalien bieten. Es ist daher Aufgabe, Lösungen für den bestmöglichen Schutz gegen Bedrohungen jeglicher Art an jedem Ort der Erde zu bieten. Am WIS wurde z. B. ein Filterelement entwickelt und patentiert, welches modular aufgebaut ist und durch unterschiedliche Filtermaterialien einen breitbandigen Schutz bietet. Dieses Jahr wurde vom WIS die Entwicklung eines neuen Gummimaterials publiziert, welches durch den Einsatz von Nanotechnologie verbesserte Schutzeigenschaften zeigt.
CP:
Trotz internationaler Ächtung haben Chemiewaffen „Konjunktur“: In wieweit waren Sie an Detektion und Vernichtung von Chemiewaffen (Libyen, IRAK, Syrien) beteiligt bzw. Ihre Expertise gefragt?
Dr. Schuhn:
Das Thema Chemiewaffen im vorderen Orient hat das WIS bereits vor Jahrzehnten erreicht. Ich erinnere z. B. an die Beteiligung bei UN-Missionen im IRAK. Zur Aufklärung der Ereignisse in Syrien hat das WIS als designiertes Labor der „Organisation für das Verbot Chemischer Waffen“ (OVCW) wiederholt eine Vielzahl von Untersuchungen durchgeführt, zuletzt nicht nur zur Frage, was eingesetzt wurde, sondern auch mit dem Ziel zu klären, wer diese Stoffe eingesetzt hat.
Zur Frage der Vernichtung hat das WIS fachlich beraten, die deutschen Anteile in der Umsetzung des Vernichtungsplanes wurden von der GEKA bewältigt. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass auch die bestmögliche Ausrüstung der Soldaten der Bundeswehr im Einsatz Aufgabe des WIS ist. Einsätze am Südrand der Türkei oder im IRAK erfordern nicht nur die fachliche Unterstützung im Reachback sondern ggf. die techn. Einweisung an neuen Systemen vor Ort.
CP:
Und last but not least: Die stärkere Hinwendung der Bundeswehr zu Landes- und Bündnisverteidigung hat m. E. eine stärkere Betonung des vernetzten, gesamtstaatlichen oder auch gesamtgesellschaftlichen Ansatzes zur Folge. Daraus müsste eine enge Zusammenarbeit mit den übrigen BOS, insbesondere dem BBK, THW und DFV folgen. Ist die Beobachtung richtig, und passiert bereits genug auf diesem Gebiet?
Dr. Schuhn:
Das WIS ist als Forschungs- und Prüfeinrichtung für die Bundeswehr aufgestellt und besitzt aus 60 Jahren fachlicher Arbeit eine Expertise, die national und international gefragt ist. Die Zusammenarbeit mit Einrichtungen des Bundes ist fachlich in vielen Ansätzen vorhanden, stößt aber immer wieder an Kapazitätsgrenzen.
Zudem sind – weniger auf Fachebene – die typisch deutschen Berührungsängste (äußere Sicherheit vs. innere Sicherheit) wahrzunehmen, die eine optimale Nutzung der m.E. knappen Ressourcen verhindert. Es ist zwar – auch der Not nach Anschlägen Rechnung tragend – eine vorsichtige Öffnung zu registrieren. Von einem gesamtstaatlichen Ansatz kann aber noch keine Rede sein.
CP: Herr Dr. Schuhn, wir danken herzlich für das Gespräch.
Crisis Prevention 3/2018
Interview: Hans-Herbert Schulz