Seit nunmehr zwei Jahren prägen unsere Nachrichten alle möglichen Informationen und Desinformationen über Covid-19 bzw. Corona. Das öffentliche Interesse ist am Themenspektrum der unzähligen Talkshows gut erkennbar: ein 100 bis 160 Nanometer kleines Virus schaffte es, sämtliche Talkshowstudios Deutschlands zu füllen.
An „Lessons Learned“ wird an verschiedenen Stellen gearbeitet. Ein Beispiel ist das „GRÜNBUCH Spezial – Perspektiven aus der Corona-Krise“, das bereits im August 2021 vom Zukunftsforum öffentliche Sicherheit e.V. (ZOES) herausgegeben wurde.
Welche Schlüsse lassen sich aus der bisherigen Entwicklung ziehen? Die Verfasser haben hier ihre Feststellungen und Überlegungen festgehalten.
1. Wenn man die Lage nicht genau kennt, kann man sie nur ungenau beurteilen
In den ersten Monaten der Corona-Pandemie wurden meistens die Daten des Dashboards der privaten John-Hopkins-Universität in Baltimore, Maryland (USA) zitiert. Sie verfügte offensichtlich von den USA aus über eine bessere Datenlage für Deutschland als deutsche Stellen.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) muss von Beginn der Pandemie an darauf hinweisen, dass die Zahlen am Montag nicht alle Meldungen vom Wochenende enthalten. Gründe hierfür sind sowohl die unzureichende Digitalisierung als Voraussetzung zur Vernetzung als auch Arbeitsunterbrechungen öffentlicher Stellen am Wochenende. Hier hat Deutschland im Vergleich zu vielen europäischen Staaten noch enormen Aufholbedarf.
Es wurden bislang nicht alle Möglichkeiten zum rechtzeitigen Erkennen von Corona-Ausbrüchen ergriffen, wie zum Beispiel die Analyse des Abwassers. Inzwischen ist dies von der EU vorgeschrieben und die ersten Kommunen fangen damit an. In Griechenland wird dies bereits seit 2021 praktiziert.
2. Aus veralteten Daten lässt sich kein aktuelles Lagebild ableiten
Die Entscheidungsfindung setzt stets eine gute Beobachtung und zutreffende Bewertung der Lage voraus. Hierbei sind zwei konkurrierende Grundsätze zu beachten: „Das Bessere ist des Guten Feind“ und „Das Perfekte verhindert das Gute“. Man muss auch bereit sein, Entscheidungen zu treffen, wenn noch nicht „die letzte Frage beantwortet ist“. Und wenn man erkennt, dass gewisse Daten dringend erforderlich sind, muss man sich darum kümmern, sie zu sammeln. In den letzten zwei Jahren wäre dies deutlich besser möglich gewesen. Es lohnt sich aber, dies jetzt für die Zukunft zu tun und die dafür notwendigen Strukturen aufzubauen.
Sinnvoll wäre ein „schmales“ Register zur Erhebung von Behandlungsdaten in Deutschland. Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin (KV Berlin) fängt das für Long-Covid-Behandlungen an. Dieses Register müsste ebenso flächendeckend und sektorenübergreifend aufgebaut sein wie das „Digitale Impfquoten-Monitoring des RKI (DIM)“. Ziel eines solchen „epidemiologischen Schnellerfassungs-Instrument“ ist, die Wirkungen von Therapieansätzen durch kurzfristige Erhebungen in der jeweiligen Pandemiesituation zu erkennen und vergleichbar werden zu lassen. Diese Ergebnisse böten nachvollziehbare Grundlagen für politische Entscheidungen.
3. Wenn man unter einer Datenflut zu ersticken droht, muss man intelligent selektieren
Zu viele Daten können auch zum Problem werden – insbesondere, wenn sie manuell verarbeitet oder gar erhoben werden müssen. Sendungen per Fax sind allenfalls eine Rückfallebene, aber keine zeitgemäße Methode.
Hier können Methoden der digitalen Welt und der „Künstlichen Intelligenz“ mit großem Erfolg eingesetzt werden. Auf diesem Feld gibt es in Deutschland noch „viel Luft nach oben“.
4. In Behörden des Bundes und der Länder gibt es vorzügliche Fachkompetenzen – sie müssen herangezogen werden
Die Fachkompetenz der öffentlichen Verwaltung in den Kommunen, den Ländern und auf Bundesebene ist ein noch zu hebender Schatz. Manche Institute, Ämter und Behörden führen beinahe noch einen Dornröschen-Schlaf. Sie müssen herangezogen und gefordert werden.
Weil Corona nahezu alle Bereiche unseres Lebens betrifft (Stichwort: Health in all Policies), können beispielsweise auch Behörden wie das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) oder das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) bestimmte Entwicklungen begleiten und beratende Auskünfte geben. Doch wer kennt schon diese Einrichtungen?
5. Deutschland verfügt über hochkarätig besetzte Gremien – sie müssen mehr befragt werden
In Deutschland gibt es kompetente, auch international wertgeschätzte Behörden und Gremien:
Robert-Koch-Institut (RKI):
Das RKI ist die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf den Gebieten Gesundheitsprävention, Infektionsschutz und Forschung (z.T. auf Drittmittel angewiesen!). Das RKI fungiert ebenfalls als Kontaktstelle zur WHO.
Leitung: Prof. Lothar WIELER und Prof. Lars SCHAADE
Das RKI muss in seiner Rolle als beratendes Institut unabhängig von politischen Weisungen bleiben.
Fachgruppe COVRIIN beim RKI:
Die Fachgruppe COVRIIN besteht aus Vertreterinnen und Vertretern der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI), der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie e.V. (DGI) sowie des Ständigen Arbeitskreises der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger (STAKOB). Sie erstellt Übersichten über mögliche Therapeutika zur Behandlung von COVID-19 mit Erkenntnissen aus der Praxis für die Praxis. Außerdem berät diese Fachgruppe das RKI beim Management von COVID-19 Fällen. Ziel der Fachgruppe ist, hochspezialisiertes Expertenwissen aus den Fachbereichen Intensivmedizin, Infektiologie und Notfallmedizin bereitzustellen und komplexe Sachzusammenhänge in der Versorgung von COVID-19 Patienten interdisziplinär zu bewerten und zu kommentieren. U.a. hat COVRIIN das „Kleeblatt-Konzept“ zur Verlagerung von Patientinnen und Patienten innerhalb von Deutschland entwickelt.
Paul-Ehrlich-Institut (PEI):
Das PEI ist das Bundesinstitut für Impfstoffe und Biomedizinische Arzneimittel. Von aktuellem Interesse sind die akribisch fortgeschriebenen, vergleichenden Evaluierungen zur Sensitivität von SARS CoV2-Antigenschnelltests. Diese Übersichten könnten helfen, kein zweitklassiges oder gar minderwertiges Material zu beschaffen. Wegen Ressourcenmangels kann leider nur eine eingeschränkte Anzahl der verfügbaren Tests evaluiert werden.
Leitung: Prof. Klaus CICHUTEK und Prof. Stefan VIETH.
PEI und RKI ergänzen sich in klassischer Weise.
Zentrum für Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutika (ZEPAI):
Das ZEPAI wurde im Herbst 2021 vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) am PEI errichtet, um für zukünftige Pandemien gerüstet zu sein. Das ZEPAI hat das Ziel, gemeinsam mit Partnern auf nationaler und internationaler Ebene im Pandemiefall die kurzfristige Entwicklung sicherer und wirksamer Impfstoffe und Therapeutika voranzutreiben. Relevante Schritte sind die Aktivierung von vorgehaltenen Herstellungskapazitäten, die Beschaffung sowie die Verteilung von Impfstoffen und anderen Arzneimitteln. Basis sind etablierte Lagerkapazitäten und stabile Verteilungswege.
Prof. Dr. Isabelle BEKEREDJIAN-DING wurde zur kommissarischen Leiterin ernannt.
Ständige Impfkommission (STIKO):
In der STIKO arbeiten 18 ehrenamtlich engagierte, politisch unabhängige Experten. Sie ist beim RKI angesiedelt. Die Mitglieder werden vom Bundesministerium für Gesundheit im Benehmen mit den obersten Landesgesundheitsbehörden grundsätzlich alle drei Jahre neu berufen. Die Mitglieder sind Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen der Wissenschaft und Forschung, aus dem Bereich des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der niedergelassenen Ärzteschaft. Neben den berufenen Mitgliedern nehmen Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit und oberster Landesgesundheitsbehörden, des Paul-Ehrlich-Institutes und des RKI beratend, aber ohne Stimmrecht, an den Sitzungen der STIKO teil. Außerdem wirken Bundesbehörden wie der „Gemeinsame Bundesausschuss“ mit.
Vorsitz: Prof. Thomas MERTENS, Prof. Sabine WICKER.
Deutscher Ethikrat:
Der Deutsche Ethikrat bearbeitet gemäß seinem gesetzlichen Auftrag ethische, gesellschaftliche, naturwissenschaftliche, medizinische und rechtliche Fragen sowie die voraussichtlichen Folgen für Individuen und Gesellschaft. Der Ethikrat stellt den Zusammenhang mit der Forschung und den Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften und ihrer Anwendung auf den Menschen her. Zu seinen Aufgaben gehören insbesondere die Information der Öffentlichkeit und die Förderung der Diskussion in der Gesellschaft, die Erarbeitung von Stellungnahmen sowie von Empfehlungen für politisches und gesetzgeberisches Handeln für die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag. Er arbeitet mit nationalen Ethikräten und vergleichbaren Einrichtungen anderer Staaten und internationaler Organisationen zusammen.
Der Deutsche Ethikrat ist in seiner Tätigkeit unabhängig und nur an den durch das Ethikrat-Gesetz begründeten Auftrag gebunden. Die 26 Mitglieder des Deutschen Ethikrates üben ihr Amt persönlich und unabhängig aus. Sie dürfen keine aktiven Mitglieder des Bundestages oder der Bundesregierung beziehungsweise eines Landtages oder einer Landesregierung sein. Die Ratsmitglieder sollen naturwissenschaftliche, medizinische, theologische, philosophische, ethische, soziale, ökonomische und rechtliche Belange in besonderer Weise repräsentieren sowie unterschiedliche ethische Ansätze und ein plurales Meinungsspektrum vertreten.
Vorsitz: Prof. Alena BUYX, Prof. Volker LIPP, Prof. Susanne SCHREIBER, Prof. Julian NIDA-RÜMELIN.
LEOPOLDINA
Die Leopoldina ist seit 2008 die Nationale Akademie der Wissenschaften. Schirmherr ist der Bundespräsident. Sie wurde 1652 gegründet und ist die älteste ununterbrochen existierende naturwissenschaftlich-medizinische Akademie der Welt. Die in der Leopoldina zusammengeschlossenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bearbeiten gesellschaftliche Zukunftsthemen aus wissenschaftlicher Sicht, vermitteln die Ergebnisse der Politik und der Öffentlichkeit und vertreten diese Themen national wie international. Die Leopoldina hat 28 nach Forschungsgebieten gegliederte Sektoren.
Präsident: Prof. Gerald HAUG, Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten: Prof. Ulla BONNAS, Prof. Thomas KRIEG, Prof. Regina RIPPHAN und Prof. Robert SCHLÖGEL.
Deutsches Institut für Normung (DIN)
Im DIN entwickeln Hersteller gemeinsam mit Nutzern Standards. Das Normenwerk stellt eine Vielzahl von Normen für Prozesse und Produkte bereit, die zur Bewältigung von gesundheitlichen Ausnahmesituationen einen Beitrag leisten können. Um die einschlägigen Aktivitäten zu bündeln, wurde eine „Kommission Gesundheitswesen (KGw)“ eingerichtet. Sie sorgt für die Verzahnung der Aktivitäten von DIN im Bereich Gesundheitswesen mit den Tätigkeiten anderer Institutionen. Die Kommission hat beratende Funktion und spricht im Bereich des Gesundheitswesens Empfehlungen aus, deren Durchsetzung dem Vorsitzenden des DIN-Vorstandes obliegt.
Die „Kommission Gesundheitswesen (KGw)“ hat einen Sonderausschuss „Thinktank – Support für Ausnahmesituationen“ gegründet. Dieser hat anlässlich der SARS Cov2-Pandemie ein Konzept entwickelt, wie die Fachöffentlichkeit sowie verantwortliche Personen in Behörden und Institutionen schnell auf dienliche Normen und Standards hingewiesen werden können. Ziel ist es, auch zukünftig anlässlich anderer Katastrophen-Szenarien präventiv und situativ Normen bereitstellen zu können. Motto: Preparedness - Prevention - Response – Recovery.
Außerdem gibt es fundiertes Fachwissen in Wirtschaftsverbänden, insbesondere den großen Playern der kritischen Infrastruktur. Leider haben viele Behörden gewisse Berührungsängste und lassen diese Ressourcen immer wieder „links liegen“. Sofern Interessenkonflikte und Lobbyismus transparent sind, können sie jedoch mit entsprechend einschränkender Wertung einbezogen werden.
In Anbetracht der Vielfalt dieser hochkarätigen Expertengremien wäre ein auf dem laufenden Stand gehaltener Überblick über das jeweils verfügbare Expertenwissen an zentraler Stelle mehr als hilfreich.
Anstatt selbsternannten Fachleuten öffentliches Gehör (nicht nur in Talkshows!) zu bieten, sollten seriöse Fachauskünfte bei einer der genannten Stellen eingeholt werden. Hier ist das geballte Fachwissen verfügbar.
6. Die Fachkompetenz von Wissenschaft und Privatwirtschaft muss in staatliches Handeln integriert werden
Die Vernetzung ist ein Schlüssel für erfolgreiches Handeln. Auch wenn die Wissenschaft und die Privatwirtschaft nicht einfach handzuhabende Bereiche sind, liegt hier ein großes Potential in Teilen brach. Es ist erforderlich, Schranken zu öffnen und Abgrenzungen wegzulassen. Das ist sicher leichter aufgeschrieben als getan, muss aber gemacht werden.
7. Soziologische und sozioökonomische Aspekte müssen stärker berücksichtigt werden
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig außer medizinischen auch soziologische und sozioökonomische Aspekte sind. Hier seien nur ein paar drängende Fragen aufgeführt – ohne Antworten geben zu können:
- Was empfinden Alte, die einsam in Altenheimen dahinsiechen und sterben?
- Wie verkraften Angehörige den Umstand, dass sie sich nicht von Sterbenden verabschieden konnten?
- Wie geht es Kindern, die nicht in den Kindergarten dürfen oder in die Schule, auch nicht auf Spielplätze?
- Wie geht es Jugendlichen und Erwachsenen ohne die sozialen Kontakte? Wann sind Schäden hierdurch größer als (mögliche) Gesundheitsschäden durch eine Infektion?
- Wie können die Nachteile der virtuellen Konferenzformen kompensiert werden?
- Welche Auswirkungen hat das Home-Office?
- Mit welchen psychosozialen Folgen ist zu rechnen und wie können die negativen Auswirkungen begrenzt werden?
- Wie können die Arbeitsbedingungen für medizinisches Personal so verbessert werden, dass die starke Abwanderung aus diesem Berufsfeld eingedämmt und eine langfristige Tätigkeit ermöglicht wird?
8. Mit gebündelten, interdisziplinären Kompetenzen kann man komplexe Probleme gut lösen
Die Bearbeitung komplexer Aufgaben setzt die Zusammenarbeit in Teams voraus. Statt Ressort-Egoismus ist Sektoren-übergreifendes Planen und Handeln gefragt. Die Corona-Pandemie ist zweifellos eine Aufgabe für das Gesundheitswesen. Aber daraus zu folgern, dass das Gesundheitswesen die Stabsarbeit praktizieren soll, ohne darauf vorbereitet zu sein, ist ein Fehlschluss.
Das „A und O“ eines erfolgreichen Krisenmanagements sind gut funktionierende Krisenstäbe. Ziel ist, die „Chaos-Phase“ möglichst kurz zu halten – sie ist zu Beginn eines außergewöhnlichen Vorkommnisses nicht zu vermeiden. Zentrale Voraussetzung ist das Erlangen eines Lageüberblicks – der Anfangs auch Ungenauigkeiten und Abschätzungen enthalten darf. Eine große Herausforderung ist ein kontinuierlich aktualisiertes Lagebild sowie eine aktuelle Lagebewertung. Aus der permanenten Abfrage von Berichten aus allen Ebenen bildet sich keinesfalls „von selbst“ ein umfassendes Lagebild. Es müssen die unterschiedlichen Berichts- und Meldesysteme zusammengeführt, ausgewertet und die verschiedenen Erkenntnisse gebündelt werden. Zum Erstellen des Lagebildes sind auch Informationen der Wirtschaft, insbesondere der Betreiber kritischer Infrastrukturen einzubeziehen.
Lagezentren arbeiten Ressort übergreifend und kontinuierlich. Sie sind Elemente des Krisenmanagements und müssen darauf vorbereitet sein, jederzeit (mit zusätzlichem Personal) als Krisenstab arbeiten zu können. Sofern ein Krisenstab den Dienst aufnimmt, bedeutet dies nicht „automatisch“ die Übernahme der Krisenmanagements. Die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sind klar abzugrenzen und zu kommunizieren. Oftmals ist eine rein beratende Funktion eines Krisenstabes sinnvoll, die sich in die vorhandenen behördlichen Strukturen und Dienstwege einfügt, ohne diese grundsätzlich zu verändern. Empfehlenswert ist, im Zweifelsfall rein vorsorglich einen „Krisenstab“ einzuberufen.
Konkrete Berechtigungen und Entscheidungsbefugnisse sind erforderlich, damit geschultes Personal eigenverantwortlich handeln kann. Dies betrifft z.B. die Vergabe von Aufträgen, Vergabehöhen, den Zugriff auf Mitarbeitende oder die Anordnung von Überstunden bzw. Mehrarbeit. Auch die Schließung von Verwaltungsteilen oder Verlagerung von Aufgaben müssen vorgeplant werden.
Eine Unterstützungsmöglichkeit ist der Einsatz von „Virtual Operation Support Teams (VOST)“. Diese Teams bestehen aus spezialisierten Freiwilligen. Wenn sie „alarmiert“ werden, suchen sie (grundsätzlich vom Home-Office aus) im Internet relevante Informationen, bewerten diese und übermitteln dies dem Krisenstab.
Im Katastrophenschutz, bei Polizei und Bundeswehr ist die Stabsarbeit geübte, eingespielte Praxis. Diese Kompetenzen sind in der Pandemie nur vereinzelt zum Tragen gekommen – meistens mit überragenden Erfolgen. Allerdings sind so lange Einsatzlagen über mehrere Monate für alle Stäbe eine zusätzliche Herausforderung hinsichtlich der Durchhaltefähigkeit.
9. Zwischen der Legislative und der Exekutive muss klar getrennt werden
Entscheidung über gesetzliche Regelungen – hierzu zählen prinzipiell auch Rechtsverordnungen – werden von der Legislative getroffen. Die Exekutive, also die Bundesregierung und die Landesregierungen setzen um. Selbstverständlich ist eine enge Verzahnung sowohl mit der Exekutive als auch mit der Wissenschaft erforderlich. Schwierig wird es, wenn diese Grenzen verwischen. Ist die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten (MPK) das oberste Gremium? Oder ist es nicht vielmehr das Parlament?
Berechtigterweise gibt es lokale Entscheidungen sowie Entscheidungen auf regionaler und nationaler Ebene. Sie sollten im Zweifelsfall Basis nah und stets „mit dem Blick nach rechts uns nach links“ getroffen werden. Nach Möglichkeit sollten Ermessensspielräume eingeräumt werden. In Verbindung mit dem „gesunden Menschenverstand“ sind dann qualitativ bessere Entscheidungen zu erwarten. Es ist nicht sinnvoll, die Maskenpflicht in der Bahn von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich zu regeln: Keine Masken, OP-Masken, FFP2-Maske, denn viele Züge befahren mehrere Länder.
Unnötig schwierig wird es, wenn sich verschiedene „Runden“ auf verschiedenen (Hierarchie-) Ebenen unabhängig voneinander zu denselben oder ähnlichen Themen treffen und Verzahnungen allenfalls über den Austausch von Ergebnisprotokollen stattfinden. Somit entstehen Konflikte zwischen Fachebene und Leitungsebene oder zwischen operativer und legislativer Ebene.
10. Entscheidungen müssen klar kommuniziert und konsequent umgesetzt werden
Um die Wirksamkeit von Entscheidungen nachvollziehbar beurteilen zu können, braucht man transparente Indikatoren. Selbstverständlich ist es erforderlich, diese Kriterien gegebenenfalls der veränderten Lage anzupassen.
Bemerkenswert ist beispielsweise, dass im vergangenen Jahr um Inzidenzwerte von 50 oder 100 fachlich und politisch gerungen wurde. Aktuell scheinen Werte von über 1.000 kein ernsthaftes Problem darzustellen. Diese Verschiebung der Maßstäbe sind nur schwer zu vermitteln.
Unklar ist die Evidenz, unklar sind häufig die Quellen. Das sind keine Methoden der Wissenschaft oder des geordneten Verwaltungshandelns – sprich der Bürokratie.
Politische Entscheidungen müssen nicht „blind“ den Vorschlägen der Fachwelt folgen.
11. Folgen und Nebenwirkungen erkennen und für Gesamtlösungen sorgen
Ein Beispiel für Nebenwirkungen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der KRITIS fehlten häufig, wenn die Kinder wegen Schließungen oder Quarantäne nicht in Schule oder Kita gehen durften. Für diese Fälle (nicht bei Erkrankung der Kinder) könnte bei Engpässen ein Pool von Kinderbetreuern, die im häuslichen Umfeld eine Betreuung übernehmen, Abhilfe schaffen.
Der Bund weiß regelmäßig nicht, was seine Vorgaben und Maßnahmen für die Bundesländer, Landkreise und Kommunen bedeuten und welcher zeitliche Vorlauf zur flächendeckenden Umsetzung erforderlich ist. Ein Beispiel war die Verordnung zur Testpflicht für alle Rückkehrer aus Risikogebieten, die am Mittwoch bekanntgegeben wurde und ab Samstag zu vollziehen war.
12. Ist der Föderalismus ein Problem oder hilft er Probleme zu lösen?
Die Vorteile des Föderalismus überwiegen die Probleme, die er (angeblich) verursacht. Deutschland ist ein Land mit unterschiedlichen Regionen, die man „nie über einen Kamm scheren“ kann. Jede Region hat Stärken, und die gilt es zu nutzen. Statt Konkurrenz ist ein vergleichender Wettbewerb hilfreich. Ziel sollte sein, passende „Best-Practice-Beispiele“ wahrzunehmen und zu übernehmen.
Meistens wird über das Verhältnis von Bund und Ländern gesprochen. Der Ruf einiger Rufer nach einer Reform der Verfassung blieb bisher unerhört. Die wichtigste, alltägliche Schnittstelle zwischen der Bevölkerung und der Verwaltung und „der Politik“ ist jedoch weder der Bund noch ein Land, sondern der Landkreis bzw. die Kommune. Bei Gesetzen muss dies stärker berücksichtigt werden: das Ausschöpfen von ermöglichten Ermessensspielräumen verhindert, dass gut gemeinte Regelungen „von ganz oben“ an der Basis Kopfschütteln verursachen.
13. Wie kann das verlorene Vertrauen vieler Menschen in „die Politik“ zurückgewonnen werden?
Grundsätzlich sind die Menschen verlässliche Staatsbürger. Das Vertrauen bekommt jedoch schnell „einen Knacks“, wenn ein „Zick-Zack-Kurs“ gefahren wird oder wenn die Verwaltung oder die Justiz kaum nachvollziehbare, sprich: intransparente, Entscheidungen trifft.
Das Beibehalten von getroffenen Entscheidungen und die konsequente Umsetzung werden von vielen Menschen erwartet. Hierzu gehören vorausschauendes Planen und Geduld. Die Entwicklung der Inzidenzwerte und deren Prognose orientiert sich nicht an der nächsten Konferenz der Regierungschefs.
Intransparenz ist durch gut aufgearbeitete, verlässliche Informationen zu ersetzen. Kritisches Hinterfragen ist (eigentlich) erwünscht, sofern es nicht nur aus Prinzip erfolgt.
Von „der Politik“ und von Führungskräften wird erwartet, dass sie getroffene Entscheidungen mit Überzeugung vertreten.
14. Kosten überschauen und Finanzierung planen
Corona hat insgesamt -zig Milliarden Euro verschlungen. Unabhängig von der Frage, ob bessere Vorbereitungen zu geringeren Kosten geführt hätten, sollte auch im Krisenmodus das Kostenbewusstsein nicht ausgeblendet werden. Zum einen wird es – u.a. von den Rechnungshöfen – irgendwann kritische Frage geben. Zum anderen gilt es, unlautere Entwicklungen zu verhindern.
Selbstverständlich konnten – zumindest im ersten Jahr der Pandemie, also 2020 – die Haushaltsmittel nirgendwo eingeplant gewesen sein. Aber spätestens im Haushalt für 2022 hätten die absehbaren Kosten zumindest vorgemerkt sein können. Das hätte allerdings die Erkenntnis vorausgesetzt, dass Corona uns noch länger beschäftigen wird. Eine Pandemie orientiert sich weder an politischen Grenzen noch an Haushaltsjahren.
15. Sichere Beschaffungen und sinnvolle Bevorratung
Im öffentlichen Vergaberecht sind Ausschreibungen für alle Beschaffungen vorgeschrieben. Die Corona-Sonderregeln waren hilfreich, jedoch nicht weitreichend genug. Die Möglichkeit der beschränkten Ausschreibungen bietet hinreichend viel Transparenz, sofern man erfahrene Beschafferinnen und Beschaffer damit betrauen kann. Wichtig ist auch hier das Vier-Augen-Prinzip.
Mehrmals wurden hektische Entscheidungen getroffen, als „plötzlich“ der Verfall von Impfstoffen drohte. Ein Problem war die Unklarheit, ob die Transport- und Lagerungsbedingungen eingehalten wurden, insbesondere bei den niedergelassenen Ärzten. Letztlich wurde auch viel Verwurf entsorgt, der leider statistisch nicht erfasst wurde.
In den ersten Monaten der Impfkampagne waren aus formalen Gründen Impfstoffe zu entsorgen, die z.B. beim Betriebsarzt übrig waren und in einem Impfzentrum hätten verimpft werden können. Die durchgehende Kühlkette musste selbstverständlich gewährleistet sein.
Die Schaffung von Vorratslagern ist eine Möglichkeit, kritische Lieferketten zu kompensieren. Sie müssen aber gut geführt und den wechselnden Bedarfen angepasst werden. Auf bevorstehenden Fristablauf der Verwendbarkeit muss rechtzeitig reagiert werden. Sichere Lieferketten sind dann gut darstellbar, wenn lange Transportwege z.B. von China nach Europa entfallen. Es ist möglich, zu wirtschaftlichen Konditionen z.B. FFP2-Masken in Europa komplett zu produzieren. Die Aussage, dass dies nur in Asien möglich sei, trifft nicht zu.
16. Erhöhung der Impfstoffproduktion durch Freigabe von Patenten?
Die Forderung nach Freigabe von Patenten ist eine absurde Idee, denn die Produktion von Impfstoff setzt einschlägiges Knowhow sowie hohe Qualitätsstandards voraus – das lässt sich nicht „einfach so“ vervielfältigen.
Sofern man die Produktionskapazitäten erhöhen möchte, kann man dies auch mit bestehenden Patenten weltweit tun oder Lizenzen vergeben. Die Abschätzung des Bedarfes muss auch die realistische Einschätzung einschließen, wie die Spritze in den Oberarm kommt.
Vieles betrachten wir „mit unserer Brille“. Das ist verständlich, führt aber nicht immer zu zutreffenden Einschätzungen. Die Forderung nach einer weltweiten Impfquote von 80 % der Bevölkerung impliziert, dass Corona überall dasselbe Problem darstellt.
Über die sogenannten vernachlässigten Krankheiten („Neglected Tropical Diseases“) wird kaum gesprochen. Es handelt sich um in Europa wenig bekannte Krankheiten wie Buruli-Ulkus, das Dengue Fieber, Bilharziose, Morbus Chagas, Drakunkulose, Lepra, Schlafkrankheit, Körnerkrankheit, Eumyzetom, Taeniasis, Mycetom und Krätze. Diese Krankheiten, die oft über unsauberes Trinkwasser oder Insekten verbreitet werden, stellen in vielen Ländern der Welt ein gravierenderes Problem als Corona dar. Daher dienen weltweite Impfquoten eher dem Vorteil für den industrialisierten Teil der Welt.
Es gibt noch viel zu forschen. Es sind verstärkt Investitionen zugunsten der Bevölkerung in anderen Gebieten der Welt erforderlich. Möglicherweise kann das Prinzip der mRNA-Impfstoffe dazu führen, weitere Impfstoffe schneller zu entwickeln. Ebenso wichtig sind Medikamente zur Therapie.
17. Ohne Kontrolle kann man den Erfolg nicht messen
Es zählt zum typischen Regelkreis (nicht nur in der Technik), die Qualität vorzugeben und zu kontrollieren. Ebenso müssen Indikatoren zur Messung der Wirksamkeit feststehen (die ggf. anzupassen sind). Die Messbarkeit von Maßnahmen wäre bei fortgeschrittener Digitalisierung mühelos möglich, da haben wir in Deutschland aber noch einen langen Weg vor uns. Der Datenschutz wird immer wieder als Verhinderer des Fortschritts angeprangert. Das stimmt jedoch nicht. Man muss ihn jedoch von vornherein gedanklich einbinden und nicht erst, wenn eine App fertig programmiert ist.
Zur Kontrolle der Impfungen gehört zweifellos auch ein Impfregister, was bislang von Vielen rundweg abgelehnt wird. Ohne zu wissen, wer wie geimpft ist bzw. wie viele womit wie oft geimpft sind, kann man viele Entscheidungen nicht richtig treffen. Das ist vergleichbar mit einem Raser im Nebel…
18. Best Practice
Aus guten Beispielen zu lernen ist eine einfache Methode, Verbesserungen zu vollziehen. Dies setzt jedoch voraus, dass man die guten Beispiele überhaupt kennt oder etwas davon erfährt. Zur Bewältigung der Corona-Pandemie gab es Kommunen mit großartigen Ideen, ebenso Landkreise und Länder – doch wer kennt sie? Stärker berücksichtigt werden müssen auch Erfahrungen aus dem Ausland. Umgekehrt gibt es auch negative Erfahrungen aus dem Ausland, die in in Deutschland nicht reproduziert werden müssten.
Beim puren Vergleich von Zahlen, wie z.B. den Inzidenzwerten, ist so lange Vorsicht geboten, bis die Methoden der Erhebungen und die epidemiologischen Umgebungsbedingungen klar sind. Die Umsetzung von guten Beispielen setzt allerdings die Erkenntnis voraus, dass es Verbesserungsbedarf gibt – und das fällt vielen Menschen unglaublich schwer!
19. Versorgungssicherheit über die Apotheken
Die Verteilung von Medikamenten, Verbandsmaterial und anderen Verbrauchsgütern erfolgt im Alltag mit hoher Qualität über die rund 16.000 Apotheken in Deutschland. Die Versorgungssicherheit ist mustergültig, die Lieferketten sind gut durchdacht. Der pharmazeutische Großhandel arbeitet ebenfalls mit hoher Fachkompetenz und Flexibilität. Gerade in einer Krise ist es ratsam, bewährte Wege auch für neue Aufgaben zu benutzen – solange dies logistisch möglich ist. Manch staatliches „Experiment“ ging daneben und hat auch noch viel Geld gekostet.
Auch die Herstellung von Desinfektionsmitteln in Apotheken ist ein gutes Beispiel zu Entlastung der Produktions- und Lieferketten.
Das flächendeckende Netz der Öffentlichen Apotheken wird in dieser Breite nicht weiter existieren, wenn nicht politisch gegengesteuert wird. Man muss sich überlegen, ob man dieses Netz aufrechterhalten möchte und was dies der Gesellschaft wert ist. In schwach besiedelten Gegenden wären finanzielle Unterstützungen z. B. in Form einer „Allgemeinwohlzulage“ erforderlich. Diese könnte die Raum- und Personalkosten für die gesetzlich vorgeschriebene Arzneimittelbevorratung (Bedarf für eine Woche) sowie zur Arzneimittelherstellung abfedern.
20. Kommunikation und Krisenkommunikation
Die Bedeutung der Kommunikation ist hinlänglich bekannt. Eine besondere Herausforderung ist eine erfolgreiche Krisenkommunikation. Sie muss auf der alltäglichen Kommunikation aufbauen, muss aber der aktuellen Lage angepasst werden.
Die Krisenkommunikation muss zielgruppenorientiert sein, was bei der Pandemie häufig – aber keineswegs immer – die komplette Bevölkerung ist. Es mangelt nach wie vor an Texten in „einfacher Sprache“ sowie an Übersetzungen in den gängigen zehn Fremdsprachen.
Bei der Berichterstattung gibt es Abstufungen hinsichtlich des Anspruchs an Seriosität und Wahrheitsgehalt:
- Wahrheitsgemäße, aktuelle Berichterstattung
- Ungenaue Berichterstattung
- Berichte mit unabsichtlich irreführenden Inhalten
- Absichtliche Falschinformation
- Irreführende politische Wertung
- Irreführender Pseudojournalismus
- Propaganda
Wir haben sämtliche Stufen erlebt. Schwierig ist die Zuordnung und sie ist nicht immer trivial.
Bei der Wahl der Begriffe ist mehr Sorgfalt erforderlich: es gibt Geimpfte und Ungeimpfte. Aber nicht jeder Nicht-Geimpfte ist ein Impfskeptiker oder gar Impfgegner. Und unpassende Schlagworte dürfen nicht benutzt werden. Ein aktuelles Beispiel ist, den Wegfall der Corona-Einschränkungen Ende März als „Freedom-Day“ zu bezeichnen. Die aktuelle Lage in Europa zeigt deutlich, wie wertvoll FREIHEIT tatsächlich ist.
21. Kommunikation über Fernverbindungen
Bis zur Pandemie war es üblich, zur puren Teilnahme an einer Sitzung ggf. quer durch die Welt hin- und herzureisen. Diese Reisen kosten Geld, Energie und Zeit und sind schlecht für unser Klima. Inzwischen sind Videokonferenzen und Telefonkonferenzen „salonfähig“.
Leider ist es nicht gelungen, eine real funktionierende, bundesweit einheitliche nutzbare Plattform zu entwickeln. Diese Plattform müsste sämtliche Kriterien aller IT-Sicherheit des Bundes und der 16 Länder erfüllen! Wenn man feststellt, dass dies unmöglich ist, muss man die einschlägigen Vorschriften anpassen.
Das Ausweichen auf private Laptops, das ewige Warten, bis der letzte Teilnehmer oder die letzte Teilnehmerin den Zugang geschafft hat, kosten Zeit und Nerven. Dieses Problem existiert übrigens auch bei Konzernen. Outsourcing erfordert mehr Schnittstellen und verursacht somit zusätzliche Probleme.
Wer mobil unterwegs ist, kennt inzwischen sämtliche Funklöcher, die das 3G-Netz nach wie vor bietet. Welche Fortschritte wird das 5G-Netz tatsächlich bringen – abgesehen vom zusätzlichen Energieverbrauch von schätzungsweise 5 Mrd. Kilowattstunden?
22. Ärztliche Behandlungsleitlinien
In Deutschland koordiniert die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) die Entwicklung der Leitlinien. In der AWMF arbeiten die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bundeszahnärztekammer sowie weitere 176 Fachgesellschaften mit. Die Leitlinien sind zwar nicht rechtlich bindend, fassen aber das aktuelle medizinische Wissen zusammen.
Die ehrenamtliche Leitung der AWMF sind Prof. Rolf-Dieter TREEDE, Prof. Henning SCHLIEBHAKE und Prof. Fred ZEPP.
Die Leitlinien wägen Nutzen und Schaden von Untersuchungen und Behandlungen ab und geben auf dieser Basis konkrete Empfehlungen zum Vorgehen. Außerdem geben sie an, wie gut sie wissenschaftlich belegt ist. Insofern sind die Leitlinien eine wichtige Richtschnur für behandelnde Ärzte.
Dringend erforderlich ist die fortlaufende Aktualisierung der Leitlinien zur Behandlung von Covid-19-Erkrankten sowie von Long-Covid-19-Patienten. Dazu ist eine auskömmliche Finanzierung der Mitarbeit bei der Leitlinienerstellung auf breiter Basis erforderlich.
23. Covid-Erkrankte und Long-Covid-Erkrankte
Zu Beginn der Corona-Pandemie gab es (fast) keine standardmäßigen Therapien. Sauerstoffgabe und Beatmung waren Eckpfeiler der lebensrettenden Maßnahmen. Inzwischen ist die Medizin weitergekommen. Der größte Erfolg der Forschung war die Entwicklung und Zulassung gleich mehrerer Impfstoffe. Sie schützen zwar nicht vollkommen vor einer Ansteckung, führen aber im Allgemeinen zu milderen Krankheitsverläufen. Zu Long-Covid-19-Auswirkungen – die möglicherweise zu lebenslangen Einschränkungen führen – kann es naturgemäß noch nicht hinreichend viele Erkenntnisse geben.
Im Zusammenhang mit den Impfungen in den staatlichen Impfzentren wurde leider die Chance nicht ergriffen, auf freiwilliger Basis zusätzliche Befragungen und Untersuchungen bei den Impflingen durchzuführen. Hiermit hätten Millionen von Daten gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden können.
Die öffentliche Diskussion um die „Einführung“ der TRIAGE verkennt die Tatsache, dass die Triage längst stattfindet. Die Priorisierung gibt es nicht bei den Corona-Behandlungen in Krankenhäusern, wohl aber bei der Festlegung, welche planbaren Behandlungen stattfinden oder aufgeschoben werden. Außer den über 125.000 „Corona-Toten“ gibt es also eine traurige Anzahl von anderen Menschen, die nicht mehr operiert oder therapiert werden konnten. Fast jeder Hausarzt kennt etliche Beispiele. Eine Statistik hierüber gibt es jedoch nicht.
24. Resümee und Ausblick
Deutschland war auf eine Pandemie schlecht vorbereitet. Dies stand spätestens seit der Länderübergreifenden Übung (LüKEx) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) im Jahre 2007 fest. Vieles musste daher „im laufenden Betrieb“ entwickelt und verbessert werden. Dies ist in Teilen auch gelungen. Ein Beispiel ist die in Berlin erdachte „Corona-Ampel“. Das Gesundheitssystem brach zwar nicht zusammen, das Personal ist jedoch seit Monaten überbeansprucht.
Solange es nicht gelingt, die Datenerhebung zu vereinheitlichen, die Prozesse zu synchronisieren und den Egoismus einzelner Länder (insbesondere im Zusammenhang mit Wahlen) zu minimieren, wird auch die nächste Pandemie nur mühsam zu bewältigen sein. Die „Corona-Demenz“ vertreibt sehr schnell die unangenehmen Erlebnisse und Erfahrungen.
Es muss gelingen, rasch „vor die Lage zu kommen“, indem man sie besser erkennt und analysiert. Es sind etablierte Strukturen erforderlich, die durchgehend „betriebsbereit“ sind und bei Bedarf jederzeit lagebedingt „hochgefahren“ werden können. Damit wäre die Phase der „Schockstarre“ deutlich verkürzt.
Mögen diese Punkte dazu führen, diskutiert und vor allem auch umgesetzt zu werden. Dann sind wir für die nächste Pandemie besser gewappnet – es sei denn, dass sich Ignoranz und „Corona-Demenz“ durchsetzen.
Im Übrigen sind viele dieser Überlegungen auf andere kritische Lagen wie aktuell die Welle der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine übertragbar.
Crisis Prevention 2/2022
Dipl.-Ing. Albrecht Broemme
Brandassessor Vorstandsvorsitzender des Zukunftsforum öffentliche Sicherheit e.V. (ZOES), Berlin
Beate Kern
Fachapothekerin für öffentliches Gesundheitswesen, Berlin