Dekontamination von Personen in ABC-Gefahrenlagen

Thilo Schuppler

OWR GmbH – www.owrgroup.com

Unter dem Oberbegriff „Besondere Lagen“ werden auch ABC-Gefahrenlagen (bzw. CBRNe-Gefahrenlagen) zusammengefasst. Gefahren durch chemische, biologische und radiologische/nukleare Stoffe/Tatmittel als Folge terroristischer Anschläge werden meist als eher unwahrscheinlich eingeschätzt. Seit die Terrormiliz IS vermutlich improvisierte und entwendete C-Kampfmittel und TICs (Toxische Industrie Chemikalien) eingesetzt hat, sowie dem Anschlag auf die Skripals in London mit einem Nervenkampfstoff militärischen Ursprungs, sind CBRNe-Gefahren wieder mehr ins Bewusstsein gerückt.

Verschiedene Behörden haben entsprechende Konzepte z. B. für so genannten „High-Visibility Events“ (Sportveranstaltungen, politische Veranstaltungen etc.) erarbeitet. Die Bundeswehr hat in den letzten Jahren ihre Fähigkeit zur Personen- und Verwundetendekontamination grundlegend erneuert und in allen Sanitätsregimentern etabliert. Die spezialisierte Industrie bietet umfangreiches Material vom handlichen Dekon-Koffer bis zum kompletten Abrollcontainersystem an.

Wie bei allen Großschadenslagen im zivilen Bereich sind unterschiedliche Organisationen auf gute Zusammenarbeit angewiesen. Insbesondere bei terroristischen oder ungeklärten Lagen sind die strukturierte Führung und der Informationsaustausch zwischen den „waffenführenden Einsatzkräften“ (Polizei, Sondereinsatzkräfte, ggf. auch Bundeswehr) und den „nicht waffenführenden Einsatzkräften“ (Feuerwehr, Rettungsdienst, zivile Behörden) von entscheidender Bedeutung. Neben der Feststellung (Nachweis), der Eingrenzung und der Dekontamination kontaminierter Bereiche spielte hierbei insbesondere die Rettung, Behandlung und Versorgung von Verletzten und damit auch ihre Dekontamination eine besondere Rolle. Eine Verschleppung der Kontamination in medizinische Einrichtungen sollte vermieden werden.

1. Überwachen, Messen, Spüren, ­Probennahme und Bestätigen

Eine ständige Aktualisierung der CBRNe-Lage ist unabdingbar für die Gefahreneinschätzung. Eine schnelle Alarmierung und Bestätigung ist wesentlich zur Minimierung von Opfern. Daher erfolgt

  • messtechnisches überwachen z. B. bei Zugangskontrollen und Raumüberwachung (Fernerkundung)
  • punktuelles messen und spüren insb. A und C
  • nehmen und untersuchen von Proben an Gefahrenschwerpunkten und bei Verdacht
  • bestätigen von Ergebnissen durch Fachleute mittels mindestens zweier unabhängiger Methoden

Oft steht das aufspüren von konventionellen Sprengstoffen und ggf. Drogen im Mittelpunkt, CBRN Gefahrstoffe werden meist „beiläufig“ miterfasst.

2. Rettung, Dekontamination und medizinische Versorgung der Zivilbevölkerung

Im Falle eines Anschlags oder einer Freisetzung von CBRN Gefahrstoffen steht die Minimierung von zivilen Opfern im Mittelpunkt. Gut vorbereitete und ausgerüstete Einsatzkräfte sind ­erforderlich, die auch über das nötige Gefahrenbewusstsein (awareness) verfügen, den CBRN Einsatz zu erkennen.

  • Rettung aus der kontaminierten Gefahrenzone
    • Je nach Lage müssen hierzu geschützte waffenführende Einsatzkräfte oder geschützte Kräfte der Feuerwehr herangezogen werden.
  •  Aufbau und Betrieb von Notdekontaminationsplätzen zwischen dem Ereignisort und Sammelplätzen
    • An den Notdekontaminationsplätzen werden Sofortmaßnahmen durchgeführt, die die Wirkung der CBRN-Gefahrstoffe reduzieren sollen und die Überlebenswahrscheinlichkeit der Personen erhöht (aber nicht garantiert). Hierzu ist entsprechend geschütztes (!) Personal erforderlich. Die sichtbare Aktion der Rettungskräfte vermindert zudem ein Zerstreuen der betroffenen Personen und unkontrollierte Selbsteinweisung.
    • Mögliche Sofortmaßnahmen sind ein schnelles entfernen der Oberbekleidung, Schutz der Atemwege (Einwegmaske mit Aktivkohle), punktuelle Dekontamination mit geeigneten Mitteln (z. B.alldecontMED) oder Behelfsmitteln ggf. auch schlichtes „abspülen“ mittels feuerwehrtechnischer Ausrüstung und Wasser. Die parallele Notdekontamination von möglichst vielen Betroffenen ist anzustreben, um den Durchsatz zu maximieren.
    • Nicht zu vernachlässigen ist das Stillen von Blutungen und der Wärmeerhalt.
    • Betreuung der betroffenen Personen, um möglichst „gefühlt kontaminierte“ von „real kontaminierten“ trennen zu können.
    • Bei einem Massenanfall (CBRN-MANV) muss sich von der Individualversorgung distanziert und auf Algorithmen der Katastrophenmedizin zurückgegriffen werden (Triage).        
      (MANV: „Goldene Stunde“ à CBRN-MANV: „Platin 10-Minuten“)
AB MANV Dekontamination der Fa. OWR GmbH
Abrollcontainer MANV-Dekontamination der Fa. OWR GmbH.
Quelle: OWR GmbH – www.owrgroup.com
  • Aufbau und Betrieb von speziellen Einrichtungen zur Dekontamination von verletzten und möglicherweise kontaminierten Personen (meist Liegendpatienten)
    • Diese Dekon-Einrichtungen sollten mindestens vorerkundet, im Idealfall bereits arbeitsbereit eingerichtet sein (z. B. bei „high-visibility events“).
    • Auch hier gilt: bei einem Massenanfall (CBRN-MANV) muss sich von der Individualversorgung distanziert und auf Algorithmen der Katastrophenmedizin zurückgegriffen werden (Triage).
    • Dekon-Einrichtungen dieser Art stellen meist den „Flaschenhals“ in der Versorgungskette dar. Eine dynamische
        Triage ist anzustreben.
    • Es ist weiterhin abzuwägen, ob die Einrichtung nahe am Schadensereigniss betrieben wird oder nahe an der medizinischen Versorgung (Krankenhaus). Dementsprechend muss der Transport von kontaminierten oder bereits dekontaminierten Personen geplant werden.
    • Eine schnelle medizinische Versorgung ist wesentlich um die Überlebenswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Unter allen Umständen ist jedoch zu verhindern, dass medizinische Einrichtungen durch Kontaminationsverschleppung lahmgelegt werden oder Hochwertpersonal wie Notärzte ausfällt.
    • CBRN-Alarmpläne müssen implementiert sein, das Klinik-Personal muss dazu geschult sein, auch in der Zusammenarbeit mit der Feuerwehr und Laien-Helfern („Konzept der bunten Linien und Westen“).
    • Die Gabe von Antidoten (insb. Atropin) muss geregelt sein.
    • Zufahrtswege, Halteräume, Abfahrtswege müssen beschildert sein, die Logistik muss stehen (Wasserversorgung, Dekonmittel-Versorgung, Antidote etc.), der Betrieb bei Nacht, schlechtem Wetter, tiefen Temperaturen muss gewährleistet sein.
    • Sicherstellen der „Äußeren Sicherheit“: ein Krankenhaus ist ein bevorzugtes weiches Sekundärziel. Vom Gefahrgut­unfall zur Terrorlage verschiebt sich der Focus zunehmend hin zu militärischen Fragestellungen.

3. Schutz und Dekontamination der Einsatzkräfte am Ereignisort

  • Schutz aller am Ereignisort und in unmittelbarer Umgebung eingesetzten Einsatzkräfte
    • Die verschiedenen Organisationen sind sehr unterschiedlich ausgerüstet und ausgebildet. Je nach Szenario und Risikobeurteilung sind die Kräfte einzusetzen.
    • Eigenschutz geht vor, GAMS, Klärung der Lage, Rettung von Zivilpersonen
  • Aufbau und Betrieb eines geeigneten Dekontaminationsplatzes zur Dekontamination der Einsatzkräfte
    • Sofern es die Lage erlaubt, rücken geschützte Kräfte erst in den Gefahrenbereich vor, wenn der Dekon-Platz Betriebsbereitschaft meldet. Sollte die Lage dies nicht zulassen, ist schnellstmöglich eine Not-Dekon sicherzustellen.
  • Es ist davon auszugehen, dass auch ungeschützte Einsatzkräfte dekontaminiert und behandelt werden müssen z. B. die erste Streife, die unvorbereitet am Ereignisort eingetroffen ist.

Fazit

Unter den „Besonderen Lagen“ gehört die CBRNe-Lage / CBRN-MANV und insbesondere die Terror-CBRMANV-Lage zu den komplexesten Szenarien überhaupt. Trotzdem darf diese wegen ihrer geringen Wahrscheinlichkeit nicht ignoriert werden, sondern sollte aufgrund ihres extremen Schadensrisikos im Rahmen von Planung und Übung im Vorfeld geklärt werden.

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