Roboter für Aufgaben mit Strahlenexposition

Dr. Frank E. Schneider, Dennis Wildermuth

Fraunhofer FKIE

Die Nutzung unbemannter Systeme in Szenarien mit radiologischen und nuklearen (RN) Gefahren und Bedrohungen bietet unbestreitbar großes Potenzial. So hat das European Reference Network for Critical Infrastructure Protection (ERNCIP) beispielsweise bereits vor Jahren eine Untergruppe zum Schutz kritischer Infrastruktur bei radiologischen und nuklearen Bedrohungen (engl.: Radiological and Nuclear Threats – RNT) eingerichtet. Diese Arbeitsgruppe betrachtet Problemfelder wie die Zertifizierung von Detektor-Hardware, die Standardisierung von Reaktions- und Einsatzprotokollen sowie auch die Nutzung unbemannter Robotiksysteme. Als mögliche Anwendungsszenarien für Roboter werden radioaktiv hochbelastete Umgebungen betrachtet, in denen selbst der kurzzeitige Einsatz menschlichen Personals nicht mehr infrage kommt.

Dies kann einerseits die Folge von Störfällen in Kernkraftwerken oder (zivilen) Lagerstätten für radioaktives Material sein, andererseits müssen aber natürlich auch kriminelle oder terroristische Angriffe auf kerntechnische Anlagen oder Angriffe mit sogenannten »schmutzigen Bomben« in Betracht gezogen werden.

Katastrophen aus der Vergangenheit wie Tschernobyl oder Fuku­shima, um nur zwei der bekanntesten zu nennen oder auch die Probleme, die sich in der Schachtanlage Asse und selbst beim kontrollierten Rückbau ehemals aktiver Kernkraftwerke stellen, zeigen deutlich die möglichen Vorteile des Einsatzes unbemannter Systeme auf. Roboter können gefahrlos in strahlenbelasteten Umgebungen arbeiten. Auch extreme Hitze, drohende Explosionen oder Einsturzgefahr stehen der Nutzung unbemannter Fahrzeuge nicht prinzipiell entgegen. Mit der passenden Hardware ausgestattet vermögen sich Roboter auch in schwierigen Umgebungen einen Weg zu bahnen und Proben von möglicherweise belastetem Material zu nehmen. Weiterhin können sie die Strahlenbelastung der Umgebung messen, nach Strahlenquellen suchen und ihre Erkenntnisse ohne Zeitverlust an die Leitstelle übermitteln.

Automatisierte Probennahme als typisches Einsatzfeld unbemannter Systeme, hier...
Automatisierte Probennahme als typisches Einsatzfeld unbemannter Systeme, hier als Wischprobe einer potenziell kontaminierten Oberfläche.
Quelle: Fraunhofer FKIE

Analyse des aktuellen Stands der Robotik legt große Schwachstellen offen

Im Rahmen einer systematischen Analyse untersuchte die ­ERNCIP RNT-Untergruppe zunächst den aktuellen Stand der Technik von mobilen Roboterplattformen sowie unbemannten Systemen im Allgemeinen insbesondere im Hinblick auf die Aufgabenbereiche Strahlungsmessung und Probennahme. Darüber hinaus wurden tatsächliche Einsätze von Robotern sowohl im Bereich von RN-­Vorfällen als auch – allgemeiner – in der Katastrophenhilfe (engl.: Search and Rescue – SAR) analysiert. 

Dabei wurde besonders der tatsächliche – und in fast allen Fällen sehr beschränkte – Nutzen für die jeweiligen Hilfskräfte betrachtet. In einem weiteren Schritt untersuchte die RNT-Arbeitsgruppe Aktivitäten im Bereich Forschung und Entwicklung für SAR-Robotik. Insgesamt lieferten diese Analysen sehr ernüchternde Ergebnisse: Neben dem begrenzten Nutzen vorhandener Systeme stellte sich heraus, dass es bisher keinerlei Normen, Standards oder auch nur „Best Practices“ für den Einsatz von Robotern in RN/SAR-Szenarien gibt.

Im Hinblick auf geeignete Anwendungen und Aufgaben für unbemannte Systeme können zwei generelle Kategorien unterschieden werden. Auf der einen Seite Kontroll- und Überwachungsaufgaben, um Vorfälle möglichst frühzeitig zu erkennen und die Ausbreitung von Strahlung und radioaktivem Material zu verhindern, sowie auf der anderen Seite Einsätze nach Störfällen und Katastrophen. In beiden Fällen kann man drei Haupteinsatzbereiche für unbemannte Systeme identifizieren:


  1. Räumliches Erfassen und Kartieren von RN-Sensordaten
  2. Suche nach radioaktiven Quellen
  3. Probennahme (z. B. Luft, festes Material oder Wischproben)

Expertenumfrage bestätigt vorrangige ­Einsatzbereiche von Robotern

Um zusätzliches Feedback zu erhalten, führte die ERNCIP RNT-­Arbeitsgruppe eine weltweite schriftliche Umfrage unter Robo­tikern sowie Experten aus dem Gebiet radiologischer und nuklearer Anwendungen durch. Zielgruppen waren jeweils Wissenschaftler, Vertreter der Industrie und auch Anwender, speziell aus dem Bereich Katastrophenhilfe/SAR. Zwar war die Anzahl an Rückläufern, insbesondere aus dem Bereich kommerzieller Unternehmen und Endanwender, begrenzt, doch ließen sich aus den eingesammelten Antworten durchaus sinnvolle Informationen gewinnen. So stimmten die befragten Experten grundsätzlich mit den oben als prioritär identifizierten Aufgabenkategorien und Einsatzbereichen für Roboter überein. Und ebenfalls wenig überraschend waren die identifizierten Schwachstellen heute verfügbarer Systeme, zu denen Manövrierfähigkeit, Benutzungsschnittstellen, Funk/Kommunikation, autonome Funktionen und Dekontaminierbarkeit als häufige Begriffe fielen. Eine eher unerwartete Erkenntnis war dagegen das weitgehend fehlende Interes­­se großer Bereiche der Robotik an Szenarien mit radiologischen und nuklearen Aufgabenstellungen. Dabei beginnt sich gerade hier ein wichtiger (ziviler) Markt für Robotikanwendungen abzuzeichnen

Blick in den Reaktor des Kernkraftwerks Zwentendorf, dem Austragungsort des...
Blick in den Reaktor des Kernkraftwerks Zwentendorf, dem Austragungsort des „European Robotics
Hackathon“ (EnRicH) 2019.
Quelle: Fraunhofer FKIE

Roboter messen sich in realen Einsatz­szenarios

Um innerhalb der Robotik das Interesse an radiologischen und nuklearen Problemstellungen zu erhöhen, entschieden sich die Mitglieder der ERNCIP RNT-Arbeitsgruppe dazu, das Thema bei einem der etablierten Robotik-Wettbewerbe zu platzieren – und zwar möglichst mit einem eigenen Szenario und mit echter radio­aktiver Strahlung. Dieser Plan ließ sich im Jahr 2016 bei den »European Land Robot Trials« (ELROB) umsetzen. Die ELROB 2016 wurde vom Österreichischen Bundesheer auf dem ABC- und Katastrophenhilfeübungsplatz Tritolwerk, einer ehemaligen Munitionsfabrik, durchgeführt und bot damit die nötigen Voraussetzungen für den Einsatz echter Strahlenquellen.

Aufgabe der teilnehmenden Robotik-Teams war das Auffinden zweier versteckter Strahlenquellen (Kobalt-60 mit maximal 2,8GBq) sowie das Übertragen von Strahlungsmessungen an einen Leitstand. Das Fazit: Zehn Teams mühten sich redlich, hatten jedoch sichtlich Schwierigkeiten mit der ungewohnten Sensorik und den Eigenheiten radioaktiver Strahlungsmessung. Dennoch wurde das Szenario vonseiten der Veranstalter schon aufgrund des großen Interesses bei Teilnehmern und Publikum als Erfolg gewertet.

Einer der teilnehmenden Roboter am RN-Szenario der ELROB 2016.
Einer der teilnehmenden Roboter am RN-Szenario der ELROB 2016.
Quelle: Fraunhofer FKIE

Das Österreichische Bundesheer konnte 2017 abermals als Ausrichter gewonnen werden, diesmal für ein vollständig neues Wettbewerbsformat, dessen Fokus ausschließlich auf das RN-Thema gerichtet war. Im – vollständig errichteten, aber niemals in Betrieb gegangenen – Kernkraftwerk Zwentendorf an der Donau fand erstmalig der »European Robotics Hackathon« (EnRicH) statt. Im Vergleich zur ELROB 2016 waren die zu bearbeitenden Aufgaben in diesem Wettbewerb noch stärker an den oben genannten Einsatzbereichen für unbemannte Systeme orientiert: Wieder sollten die Roboter einige Strahlungsquellen identifizieren, diesmal allerdings aus einer Reihe von identisch aussehenden, jedoch nicht strahlenden Attrappen. 

Zusätzlich sollten die echten Strahler eingesammelt und in einen sicheren Behälter transferiert werden. Zudem sollte eine vollständige Strahlungskarte der Umgebung erzeugt werden. Aufgrund der starken Strahlungsbelastung konnte niemand die Fahrzeuge begleiten. Die Systeme waren somit auf dem Reaktorlevel, 40 Meter über Grund, weitgehend auf sich allein gestellt. Um dennoch allen Teams eine sichere Teilnahme zu ermöglichen und die Roboter nicht zu gefährden, war das gesamte Gebäude mit Kameras und einer WLAN-Infrastruktur ausgestattet worden.

Elf internationale Teams nahmen an der EnRicH 2017 teil, davon verfügten sieben über Systeme mit Manipulatorarmen, konnten also im Prinzip die echten Strahlungsquellen aussortieren und im entsprechenden Behälter platzieren. Tatsächlich schafften es jedoch nur drei Teilnehmer, Strahler und Attrappen korrekt zu unterscheiden und ausschließlich die radioaktiven Objekte zu sichern. Auch die erzeugten Strahlungskarten der Reaktorebene lieferten allenfalls rudimentäre Informationen. Ursache war nach Einschätzung der Organisatoren und Schiedsrichter – wie schon bei der ELROB 2016 – mangelnde Erfahrung der Robotiker mit RN-spezifischen Themen, insbesondere auch der Umgang mit radioaktiven Messgeräten und die korrekte Interpretation der gelieferten Messwerte.

Wettbewerbe bringen Wissenschaft, ­Industrie und Endanwender zusammen

Dennoch waren sich in der abschließenden Bewertung der Veranstaltung alle Beteiligten – Organisatoren, Teilnehmer und Zuschauer – einig, dass die EnRicH einen wichtigen Beitrag dabei liefert, radiologische und nukleare Aufgaben als Thema in der Robotik zu etablieren. Veranstaltungen mit Wettbewerbscharakter bieten eine gute Möglichkeit, Wissenschaft, Industrie und potenzielle Endanwender zusammenzubringen und ihnen den Austausch über Anforderungen und praktikable Lösungswege zu ermöglichen. Gleichzeitig zeigen sich unter den vergleichsweise praxisnahen Bedingungen solcher Wettbewerbe immer auch typische Schwachstellen vieler Robotersysteme, zum Beispiel die bereits angeführten Bereiche Manövrierfähigkeit, Benutzungsschnittstellen, Funk/Kommunikation oder Autono­miefunktionen. 

Anderseits bietet sich natürlich auch die ­exzellente Möglichkeit, innovative Lösungsansätze einem breiten Publikum zu präsentieren. Der »European Robotics ­Hackathon« wird daher auch in diesem Jahr veranstaltet: EnRicH 2019 findet vom 1. bis zum 5. Juli erneut im Kernkraftwerk Zwentendorf an der Donau statt. Interessierte Beobachter sind herzlich eingeladen, sich vor Ort ein eigenes Bild vom derzeitigen Leistungsstand unbemannter Systeme in Szenarien mit radiologischen und nuklearen Gefahren und Bedrohungen zu machen.

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