In einer Reihe von Kurzinterviews, berichten Personen aus verschiedenen Bereichen über die Corona-Krise. Wie der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Christoph Unger, mit der Pandemie umgeht und was für Veränderungen noch wünschenswert wären, erfahren Sie im Folgenden.
- Name/Funktion
Christoph Unger, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) - Welche konkreten Aufgaben hatten/haben Sie bisher während der Corona- Krise?
Ich leite eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des BMI, die sich jetzt im Krisenmodus mit einer besonderen Aufbauorganisation (BAO) befindet. Etwa 75 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im Homeoffice tätig. Damit sind einige technische, aber auch neue fachliche Herausforderungen verbunden. Aber diese haben wir gut gemeistert. - Wie war der Kontakt zu anderen Institutionen, mit denen Sie zusammengearbeitet haben?
Im Rahmen des Krisenmanagements der Bundesregierung ist das BBK eingebunden in den Krisenstab von BMI und BMG, arbeitet mit seiner besonderen fachlichen Expertise in vielen Bereichen und Fähigkeiten den Ministerien oder auch dem Bundespresseamt zu. Daneben sind wir eingebunden in die Abstimmungs- und Kooperationsprozesse zwischen Bund und Ländern im Rahmen der IMK-Strukturen (Innenministerkonferenz). Gerade im Bereich der Kritischen Infrastrukturen profitieren wir in der Krise von den im Vorfeld aufgebauten, etablierten Strukturen der Zusammenarbeit mit den Unternehmen. Sie haben jetzt eine schnelle Unterstützung und Beratung dieser Bereiche ermöglicht. - Wie hat die Umsetzung Ihrer Aufgaben funktioniert? Was waren/sind dabei die größten Probleme?
Das Krisenmanagement der Bundesregierung, insbesondere die Krisenkommunikation mit der Bevölkerung, hat in der Krise selbst anerkanntermaßen bisher gut funktioniert. Sowohl die Bevölkerung als auch wissenschaftlich unterlegte Vergleiche und Untersuchungen mit anderen Staaten attestieren der Regierung gute Ergebnisse. Durch unsere konzeptionelle Arbeit im Risiko- und Krisenmanagement und auch durch die LÜKEX-Übungen haben wir sicher ein Stück weit zu diesem Erfolg beigetragen.
Die Dynamik der Lage, viele offene Fragen darüber, wie sich die Pandemie entwickelt und mangelnde Erfahrungen mit einer solchen Krise stellten und stellen immer noch alle verantwortlichen Akteure vor Herausforderungen. Anders als bei den meisten anderen Katastrophenlagen – wobei die Mehrheit der Länder diese Lage als eine der Gesundheitsbehörden einstuft, nur Bayern hat den Katastrophenfall ausgerufen – sind auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BBK selbst betroffen. Sie unterliegen, wie alle im Land, in hohem Maße beruflichen und privaten Einschränkungen, machen sich Sorgen und haben Ängste. Dabei sind sich aber alle ihrer Verantwortung, gerade auch bei uns in der Behörde und im öffentlichen Dienst, für die Bewältigung dieser Lage bewusst. - Haben Sie etwas Neues über Ihre Mitmenschen gelernt?
Häufig wird den Menschen unterstellt und in Katastrophenfilmen ja auch dargestellt, dass sie sich in einer Krisen- oder Katastrophenlage unsozial und sogar aggressiv und gewalttätig verhalten, sodass eine solche Lage zu Plünderungen und Auflösung jeder Ordnung führen werde. Die Corona-Krise hat demgegenüber eigentlich unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse – wir arbeiten schon längere Zeit an diesem Thema – bestätigt, dass die Menschen sich sehr wohl solidarisch verhalten und auch das allgemeine Wohl im Auge behalten. Es ist gut zu sehen, dass unsere Analysen bis jetzt zutreffen. - Welche Konsequenzen ziehen Sie persönlich für Ihre künftige Arbeit?
Erstens: Als BBK hatten wir eine Pandemie-Lage mit zahlreichen Beteiligten ja bereits im Jahr 2007 im Rahmen der Übungsreihe LÜKEX geübt, 2013 gab es eine weitere Übung zu einem biologischen Szenario, es gab die Risikoanalyse 2012 zu SARS. Vieles, was wir heute an Maßnahmen und Reaktionen auf die Krise sehen, war also schon gedacht und in Plänen umgesetzt. Trotzdem müssen wir uns immer wieder klar machen, dass die „echte“ Lage dann doch wieder ganz anders aussieht, als wir es uns fachlich begründet gedacht haben, und dass sie uns in ihrer Dynamik auch ganz anders fordert.
Zweitens: Ein erfolgreicher Bevölkerungsschutz und seine wirkungsvolle Weiterentwicklung kann nur gelingen, wenn der Staat und seine Akteure sich weiterhin im Vorfeld mit den Risiken für die Bevölkerung befassen. Daher sind drei Fragen zu klären:
- Mit welchen Gefahren/Ereignissen müssen wir in Deutschland rechnen?
- Wie ist der deutsche Bevölkerungsschutz darauf vorbereite
- Was ist konkret umzusetzen und wer kontrolliert das?
Wenn wir als Expertinnen und Experten, z. B. im Rahmen unserer Risikoanalysen, Handlungsempfehlungen geben, müssen wir noch stärker darauf drängen, dass diese bei den politisch Verantwortlichen zumindest zur Diskussion gestellt werden bzw. brauchen wir ein verbindliches Verfahren zur Beseitigung bestehender Defizite.
Drittens: Wir müssen als Behörden die Fähigkeit entwickeln, uns sehr viel schneller auf solche verdichteten, dynamischen Lagen einzustellen, sehr schnell in den Krisenmodus umschalten können. Wir haben das bei der Flüchtlingskrise 2015 erlebt, nun erneut. Positiv haben wir erfahren, dass plötzlich viele Dinge gehen, die ansonsten sehr lange Zeit benötigen, Haushaltsmittel vorhanden sind, neue Regelungen geschaffen werden, Verwaltungshandeln vereinfacht wird. Das gilt es zu bewahren, ohne natürlich gleichzeitig alle richtigen und wichtigen Grundsätze guten Verwaltungshandelns „über Bord zu werfen“. „Lessons learned“ darf kein abstrakter Begriff für Kongresse und umfangreiche Handbücher bleiben. - Was hat Ihnen bis jetzt am meisten gefehlt in der Corona-Zeit?
Als Präsident des BBK fehlt mir der unmittelbare Austausch mit unseren Partnern in Deutschland und weltweit. Wir arbeiten in einer Reihe von internationalen Projekten gut zusammen. Das setzt Gespräche voraus, die nicht alle durch digitale Alternativen ersetzt werden können. Wichtige Teilprojektziele können jetzt nicht erreicht werden. Es gilt der Grundsatz „In Krisen Köpfe kennen“, also das „Drei K-Prinzip“. Diese Möglichkeiten gibt es jetzt nicht.
Ein ganz anderer Aspekt betrifft den unmittelbaren Umgang mit Beschäftigten des BBK. Bei besonderen Anlässen wie Einstellungen, Beförderungen oder Verabschiedungen ist es auch Zeichen der Wertschätzung, dass ich als Präsident diese Maßnahmen persönlich vornehme. Wenn zum Beispiel lang gediente und verdiente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ruhestand gehen, ohne dass dies in einem würdigen Rahmen erfolgen kann, ist das für alle Beteiligten bitter. - Gibt es etwas, worauf Sie stolz sind?
Das BBK hat trotz aller Belastungen seinen Auftrag in den letzten Wochen erfolgreich erfüllt. Wir haben den Menschen geholfen und einen Beitrag zu ihrem Schutz geleistet.
Nur um ein Beispiel zu nennen: Innerhalb kürzester Zeit konnten wir dank zusätzlicher Haushaltsmittel in Zusammenarbeit mit unseren Partnerunternehmen und mit Unterstützung des BMI, dem BMG und dem Bundespresseamt unsere Warn-App NINA so ausbauen, dass sie als „Sprachrohr“ der Bundesregierung in dieser Krisenlage, zum direkten Kontakt zwischen Bundesregierung und Bevölkerung genutzt werden kann. Wir können jetzt Warninformationen im Auftrag des BMG versenden, es gibt einen eigenen „Corona-Kanal“, der inhaltlich vom Bundespresseamt gefüllt wird, und letztlich können wir die Nutzerzahl auf 40 Millionen Nutzer steigern. Das war ein Kraftakt, den wir im BBK gemeistert haben. Festzustellen bleibt: Jede und jeder in meinem Amt hat das Beste rausgeholt und sich den bestehenden Herausforderungen gestellt. Darauf bin ich in der Tat stolz. - Was muss sich ändern, wenn die unmittelbare Gefahr durch Corona vorbei ist?
Der Glaube, dass große Risiken und Krisen zwar existieren, sie uns aber nicht betreffen, weil wir bisher immer Glück hatten. Krisenbilder aus den Medien blieben oftmals sehr abstrakt und weit entfernt. Die Wahrnehmung von und der Umgang mit Risiken der unterschiedlichsten Art muss in der Bevölkerung, den Unternehmen, den Medien und nicht zuletzt in der Politik realistischer werden. Es macht auch keinen Sinn, sich nach dieser Krise allein auf die Bewältigung einer erneuten Pandemie zu konzentrieren. Wir müssen weiterhin den „Allgefahren-Ansatz“ verfolgen. Im letzten Jahr hatte unsere Risikoanalyse das Thema „Dürre“ zum Gegenstand, eine Dürreperiode von sechs Jahren. Wenn der Sommer 2020 auch wieder so trocken wird wie die letzten beiden Jahre, wäre das auch schon das dritte Jahr in Folge! - Welche Chancen für die Zukunft könnten in dieser Krise liegen?
Diese Krise wird sicherlich die Digitalisierung der Gesellschaft in allen Bereichen voranbringen – ohne dass deren Gefahren negiert werden dürfen. Ich hoffe, dass die Erfahrungen mit der Krise unsere Gesellschaft aber gleichzeitig weniger überheblich und solidarischer im Alltag werden lassen.
Als Präsident des BBK hoffe ich, dass wir das Bevölkerungsschutzsystem in Deutschland mit dem Rückenwind eines allseits gestiegenen Risiko-, nicht Angstbewusstseins fortentwickeln und leistungsfähiger machen können.
Crisis Prevention-Fragebogen zur Corona-Krise
Crisis Prevention 2/2020
Christoph Unger
Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)